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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.09.2011, Az.: XI ZR 17/11
Verletzung der vertraglichen Pflichten durch eine Garantiebank durch Herausgabe der Garantiesumme auf erstes Anfordern ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Forderung aus dem Valutaverhältnis
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.09.2011
Referenz: JurionRS 2011, 28076
Aktenzeichen: XI ZR 17/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hamburg - 24.02.2010 - AZ: 317 O 340/09

OLG Hamburg - 30.11.2010 - AZ: 9 U 56/10

Fundstellen:

NJW-RR 2012, 178-179

WM 2011, 2216-2218

WuB 2012, 17-18

BGH, 20.09.2011 - XI ZR 17/11

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers und die Richter Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und Pamp

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Streithelferin der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. November 2010 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht der insolventen S. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) die Erstattung eines Betrages, den die Beklagte aufgrund einer Bankgarantie zunächst an ihre Streithelferin ausgekehrt und mit dem sie dann das Konto der Schuldnerin belastet hat.

2

Die Schuldnerin, die auch als Reiseveranstalterin auftrat, schloss am 25. März 2004 mit der Streithelferin einen Kundengeldabsicherungsvertrag im Sinne von § 651k BGB. Nach § 3 dieses Vertrages war Voraussetzung für den Beginn des Versicherungsschutzes die Bereitstellung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 153.387 €. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung hatte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) bereits am 30. November 2001 zugunsten der Streithelferin "für alle bestehenden und künftigen auch bedingten oder befristeten Ansprüche der A. [= Streithelferin] ... aus der Reise-Ausfall-Versicherung Nr. ... sowie für solche Ansprüche, die aufgrund einer (auch zukünftigen) Zahlung der A. auf diese übergegangen oder an sie abgetreten worden sind, ... die unwiderrufliche Garantie bis zum Betrag von 153.387,00 € einschließlich etwaiger Nebenforderungen und Kosten" übernommen. Die Beklagte hatte sich in der Garantieerklärung verpflichtet, "auf erstes schriftliches Anfordern der A. [= Streithelferin] Zahlung zu leisten".

3

Nachdem die Streithelferin den Kundengeldabsicherungsvertrag im März 2006 fristlos gekündigt hatte, fand die Schuldnerin keinen neuen Versicherer. Eine von der Streithelferin veranlasste Testbuchung ergab, dass die Schuldnerin von der Testkundin eine Anzahlung auf den Reisepreis verlangt hatte, ohne einen Sicherungsschein im Sinne von § 651k Abs. 3 BGB bereitzustellen. Die Streithelferin mahnte die Schuldnerin ab, woraufhin diese am 22. Juni 2006 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgab. Nach dem Vortrag der Streithelferin kam es in der Folgezeit zu zwei Verstößen gegen diese Unterlassungserklärung. Die Streithelferin errechnete für Vertragsstrafe und Anwaltskosten einen von der Schuldnerin zu zahlenden Betrag von 13.615,86 €, den sie unter Hinweis auf die Garantieerklärung am 21. November 2006 von der Beklagten einforderte. Die Beklagte wies diese Forderung am 4. Dezember 2006 zunächst mit der Begründung zurück, die Garantie erfasse nur Ansprüche aus dem Kundengeldabsicherungsvertrag, nicht aber solche aus eigenständigen Unterlassungserklärungen nach dessen Beendigung. In der Folge zahlte die Beklagte den geforderten Betrag dennoch an die Streithelferin und belastete in dieser Höhe das Konto der Schuldnerin. Ihren mit der Klage geltend gemachten Rückforderungsanspruch hat die Schuldnerin am 23. Dezember 2006 an die Klägerin abgetreten.

4

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 13.615,86 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben. Die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Streithelferin ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist unbegründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Schuldnerin habe der an die Klägerin abgetretene Anspruch zugestanden, weil die Beklagte mit der Auszahlung des Garantiebetrages an die Streithelferin ihre vertraglichen Pflichten gegenüber der Schuldnerin verletzt habe, denn ihre Inanspruchnahme aus der Bankgarantie sei offensichtlich rechtsmissbräuchlich gewesen. Zwar sei die Garantiebank bei einer Garantie auf erstes Anfordern grundsätzlich verpflichtet, auf Verlangen des Garantienehmers die Garantiesumme zu zahlen, ohne Einwendungen aus dem Valutaverhältnis erheben zu können. Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht von selbst ergebe, seien nach erfolgter Zahlung in einem Rückforderungsprozess zwischen Garantiegeber und Garantienehmer zu klären. Unabhängig davon sei jedoch genau zu prüfen, zu welchem Zweck und mit welcher Reichweite die Garantieerklärung abgegeben worden sei. Entsprechend dem Inhalt des Kundengeldabsicherungsvertrages habe die Streithelferin nur für von ihr an Reisende zu leistende Ausfallzahlungen abgesichert werden und solche Leistungen nur bei Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erbringen sollen. Dazu hätten Ansprüche auf Vertragsstrafe oder auf Erstattung von Abmahnkosten offensichtlich nicht gehört. Hierbei handle es sich ersichtlich auch nicht um Nebenforderungen oder Kosten aus dem Kundengeldabsicherungsvertrag. Eine Garantiebank dürfe die Erfüllung einer Garantieforderung verweigern, wenn offensichtlich oder liquide beweisbar sei, dass ein durch die Garantie abgesicherter Anspruch nicht bestehe und die Anforderung der Garantiesumme deswegen rechtsmissbräuchlich erfolge. Dies habe die Beklagte erkennen können und tatsächlich auch erkannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 4. Dezember 2006 ergebe. Die Absicherung nachvertraglicher Nebenpflichten der Schuldnerin sei von der im Kundengeldabsicherungsvertrag vereinbarten Sicherungsleistung ersichtlich nicht erfasst gewesen. Die Aufrechnung der Streithelferin mit Vertragsstrafen- und Kostenerstattungsansprüchen habe das Landgericht zutreffend für nicht durchgreifend gehalten.

II.

8

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

9

1. Mit der Klage macht die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch der Schuldnerin aus positiver Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) des der Garantie zugrunde liegenden Vertrages auf Erstattung des Betrages geltend, den die Beklagte aufgrund der Garantie an die Streithelferin gezahlt und anschließend dem Konto der Schuldnerin belastet hat. Soweit das Berufungsgericht die Wirksamkeit der Abtretung dieses Anspruches durch die Schuldnerin an die Klägerin bejaht hat, erhebt die Revision keine Einwendungen und bestehen auch sonst keine Bedenken.

10

2. Bei der Garantieerklärung der Beklagten handelt es sich dem äußeren Anschein nach um ein Formular der Streithelferin, das bundesweit verwendet wird. Die Erklärung ist folglich eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB, die über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Verwendung findet und die der Senat deshalb selbst auslegen kann (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 29. Juni 2010 XI ZR 104/08, BGHZ 186, 96 Rn. 28 mwN).

11

3. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Garantie nur das Risiko einer Inanspruchnahme der Streithelferin durch Reisende und darauf erfolgte Zahlungen habe absichern sollen, hingegen nicht Ansprüche auf Zahlung von Vertragsstrafe und Erstattung von diesbezüglichen Anwaltskosten, und dass es sich bei letzteren auch nicht um "Nebenforderungen oder Kosten" aus der "Reise-Ausfall-Versicherung" handelt. Diese Auslegung ist richtig.

12

a) Dafür spricht zunächst die im Wortlaut der Garantieerklärung enthaltene ausdrückliche Bezugnahme auf die "Reise-Ausfall-Versicherung". Hierbei handelt es sich, wie die an gleicher Stelle genannte Vertragsnummer belegt, um den Vertrag der Schuldnerin mit der Streithelferin über die "Kundengeldabsicherung", in dem es, wie schon seine Bezeichnung belegt, nur um die Sicherung von Ansprüchen der Kunden der Schuldnerin für "während der Dauer dieses Vertrages veranstaltete Reisen" geht, zu der die Schuldnerin nach § 651k BGB verpflichtet ist. Von Ansprüchen der Streithelferin auf Vertragsstrafe und Erstattung diesbezüglicher Anwaltskosten und deren Absicherung ist dort keine Rede. Das ist auch folgerichtig, weil sich solche Ansprüche allenfalls aus der strafbewehrten Unterlassungserklärung ergeben könnten, die die Schuldnerin erst nach der Beendigung des Kundengeldabsicherungsvertrages abgegeben hat.

13

b) Der demgegenüber von der Revision erhobene Einwand, von der Garantie der Beklagten werde auch die Verletzung nachvertraglicher Treuepflichten abgedeckt, greift nicht durch.

14

Insbesondere handelt es sich bei den streitgegenständlichen Ansprüchen nicht um solche, die im Sinne der Garantieerklärung "aufgrund einer (auch zukünftigen) Zahlung der" Streithelferin "auf diese übergegangen ... sind". Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass sich die Garantie der Beklagten angesichts des in § 1 des Kundengeldabsicherungsvertrages ausdrücklich vereinbarten "Versicherungsschutzes gemäß § 651 BGB" insoweit nur auf Rückgriffansprüche der Streithelferin bezieht, die im Wege des in § 651k Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB angeordneten gesetzlichen Forderungsüberganges entstehen. Dies geschieht jedoch nur dann, wenn ein Kundengeldabsicherer infolge der Insolvenz eines Reiseveranstalters durch Reisende auf die Erstattung des Reisepreises sowie der notwendigen Aufwendungen im Sinne von § 651k Abs. 1 BGB in Anspruch genommen wird und diese Ansprüche befriedigt. Der Kundengeldabsicherer hat folglich nur Zahlungen an Reisende zu leisten, die ihren Reisevertrag während der Laufzeit des Kundengeldabsicherungsvertrages abgeschlossen haben und deren Ansprüche gegen den insolventen Reiseveranstalter deshalb auf ihn übergehen. Hierzu gehören die streitgegenständlichen Ansprüche der Streithelferin nicht.

15

4. Wie das Berufungsgericht weiter zu Recht angenommen hat, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Garantie von der Beklagten "auf erstes schriftliches Anfordern" zu erfüllen war.

16

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes muss die Garantiebank bei einer Garantie auf erstes Anfordern auf Verlangen des Garantienehmers die Garantiesumme sofort zahlen. Einwendungen gegen die materielle Berechtigung der Ansprüche des Garantienehmers kann sie grundsätzlich erst nach Zahlung durch eine Rückforderungsklage gegen diesen geltend machen. Ist jedoch klar erkennbar, d.h. offensichtlich oder liquide beweisbar, dass es an einer materiellen Berechtigung des Gläubigers fehlt und dieser infolgedessen seine formale Rechtsstellung als Garantienehmer missbraucht, entfällt die Zahlungspflicht der Garantiebank. Streitfragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, deren Beantwortung sich nicht von selbst ergibt, sind dagegen im Rückforderungsprozess zwischen Garantiegeber und Garantienehmer zu klären (vgl. Senatsurteile vom 17. Januar 1989 XI ZR 65/88, WM 1989, 433, 434, vom 10. November 1998 XI ZR 370/97, BGHZ 140, 49, 51 ff. und vom 10. Oktober 2000 XI ZR 344/99, BGHZ 145, 286, 291 ff. mwN).

17

b) Vorliegend ergibt sich die vom Berufungsgericht bejahte missbräuchliche Inanspruchnahme der Beklagten aus der Garantie schon daraus, dass die Beklagte entsprechend dem aufeinander bezogenen Wortlaut von Kundengeldabsicherungsvertrag und Garantieerklärung nur den Versicherungsschutz für Teilnehmer an "während der Dauer" des Kundengeldabsicherungsvertrages "veranstaltete Reisen" und nur "für Ansprüche aus der Reise-Ausfall-Versicherung" garantieren sollte. Die von der Streithelferin behaupteten Vertragsstrafen- und Kostenerstattungsansprüche aus einer später abgegebenen Unterlassungserklärung der Schuldnerin werden davon offensichtlich nicht erfasst. Dafür spricht auch der vom Berufungsgericht angeführte Umstand, dass die Beklagte die Streithelferin bereits mit ihrem ersten Schreiben vom 4. Dezember 2006 darauf hingewiesen hat, die Garantie erfasse keine Ansprüche aus eigenständigen Unterlassungserklärungen der Schuldnerin nach Beendigung des Kundengeldabsicherungsvertrages. Demgemäß hat das Berufungsgericht unangegriffen und rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Beklagte erkannt hat, dass die Inanspruchnahme der Garantie nicht gerechtfertigt war.

18

5. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die von der Streithelferin erklärte Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe und Anwaltskosten gegen die Schuldnerin nicht durchgreifen lassen.

19

Dabei kann vorliegend dahin gestellt bleiben, ob der zur Aufrechnung gestellte Anspruch besteht, wozu Feststellungen des Berufungsgerichts fehlen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, also der Anspruch bestehen würde und er gemäß §§ 404, 406 BGB auch gegenüber der Klägerin als der neuen Gläubigerin geltend gemacht werden könnte, würde es gleichwohl an der nach § 387 BGB erforderlichen Gegenseitigkeit mit dem von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Anspruch aus positiver Vertragsverletzung fehlen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 387 Rn. 4). Dieser Anspruch richtet sich allein gegen die Beklagte, nicht gegen die Streithelferin. In Übereinstimmung damit ist es allgemeine Auffassung im Schrifttum, dass eine Streithelferin im Rechtsstreit der Hauptpartei nur dann mit einer eigenen Forderung aufrechnen darf, wenn sie Gesamtschuldnerin mit der Hauptpartei ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 67 Rn. 11; PG/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 67 Rn. 3; MünchKommZPO/Schultes, 3. Aufl., § 67 Rn. 15).

Wiechers

Ellenberger

Maihold

Matthias

Pamp

Von Rechts wegen

Verkündet am: 20. September 2011

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