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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 18.11.2010, Az.: IX ZB 137/08
Glaubhaftmachung der Wahrscheinlichkeit einer konkreten messbaren Schlechterstellung der Gläubiger als Versagungsvoraussetzung einer Restschuldbefreiung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.11.2010
Referenz: JurionRS 2010, 29152
Aktenzeichen: IX ZB 137/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Aachen - 25.10.2007 - AZ: 19 IN 603/02

LG Aachen - 05.05.2008 - AZ: 6 T 16/08

Fundstellen:

InsbürO 2011, 78-79

NJW-Spezial 2011, 182

VuR 2011, 352-353

BGH, 18.11.2010 - IX ZB 137/08

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser und
den Richter Vill,
die Richterin Lohmann,
die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
am 18. November 2010
beschlossen:

Tenor:

Dem Schuldner wird wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 5. Mai 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 5. Mai 2008 und der Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 25. Oktober 2007 aufgehoben.

Der Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 bis 11 als unzulässig verworfen. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren fallen den weiteren Beteiligten zu 1 bis 11 zur Last.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Mit Beschluss vom 28. November 2005 wurde dem Schuldner unter der Voraussetzung, dass er während der Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) die Obliegenheiten gemäß § 295 InsO erfülle, die Restschuldbefreiung angekündigt. Mit Beschluss vom 6. März 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aufgehoben.

2

Unter dem 8. September 2006 beantragte die weitere Beteiligte zu 5 als Insolvenzgläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Schuldner habe den Treuhänder nicht über die Aufnahme seiner Tätigkeit als Direktor der P. Ltd. und die hieraus sich ergebenden Einkünfte unterrichtet. Diesem Antrag haben sich die Beteiligten zu 1 bis 4, 6 bis 11 angeschlossen.

3

Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag für zulässig und begründet erachtet und dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Zurückweisung des Versagungsantrages begehrt.

II.

4

Dem Schuldner ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 ZPO).

III.

5

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 296 Abs. 3 Satz 1 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist begründet.

6

1.

Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Schuldner habe gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verstoßen, weil er dem Treuhänder die Aufnahme einer Beschäftigung im Mai 2006 verschwiegen und diesem erst auf Anfrage hierüber Auskünfte erteilt habe. Von einer Beeinträchtigung der Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger sei auszugehen. Von einem Schuldner, der die in § 295 InsO genannten Obliegenheiten nicht hinreichend beachte, sei in aller Regel anzunehmen, dass seine Bemühungen während der Wohlverhaltensperiode nicht auf eine optimale Gläubigerbefriedigung gerichtet seien. Darüber hinaus bestehe kein Erfahrungssatz, nach dem ein Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze keine Aussicht auf Befriedigung der Gläubiger biete. Es sei denkbar, dass ein Schuldner durch überobligatorische Arbeit einen Mehrverdienst erwirtschafte oder aus sonstigen Gründen eine Gehaltserhöhung erhalte.

7

2.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 5 vom 6. Oktober 2006, dem sich die übrigen Beteiligten angeschlossen haben, ist unzulässig und daher ohne weiteres zurückzuweisen.

8

a)

#Gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO bedarf es zur Versagung der Restschuldbefreiung zwingend eines Gläubigerantrages. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn die Versagungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht werden, die sich aus § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO ergeben. Nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO, der Wohlverhaltensperiode, eine seiner Obliegenheiten schuldhaft verletzt haben. Weitere Voraussetzung ist, dass die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch die Obliegenheitsverletzung beeinträchtigt ist. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut genügt für eine Versagung eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger nicht; vielmehr muss bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkrete messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich sein (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413 Rn. 4; v. 8. Februar 2007 - IX ZB 88/06, WM 2007, 661 Rn. 5; v. 12. Juni 2008 - IX ZB 91/06, VuR 2008, 434 Rn. 3; v. 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 Rn. 9; v. 1. Juli 2010 - IX ZB 148/09, WM 2010, 1076 Rn. 7). Das in § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimmte Erfordernis der Glaubhaftmachung bezieht sich gerade auch auf diese Versagungsvoraussetzungen (BGH, Beschl. v. 5. April 2006, aaO; v. 1. Juli 2010, aaO). Dazu muss im Rahmen einer Vergleichsrechnung die Vermögensdifferenz zwischen der Tilgung der Verbindlichkeiten mit und ohne Obliegenheitsverletzung ermittelt werden. Nach Abzug aller vorrangig zu befriedigenden Verbindlichkeiten muss eine pfändbare Summe verbleiben und dieser an die Insolvenzgläubiger zu verteilende Betrag durch die Obliegenheitsverletzung verkürzt worden sein (BGH, Beschl. v. 1. Juli 2010, aaO).

9

b)

Diesen Anforderungen genügt der Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 5 nicht. Sie hat lediglich die Tätigkeit des Schuldners für die P. Ltd. geltend gemacht; eine konkrete Schlechterstellung der Gläubiger, insbesondere, ob pfändbares Einkommen überhaupt erzielt wurde, wurde dagegen nicht glaubhaft gemacht. Auch die übrigen Gläubiger, die sich dem Versagungsantrag angeschlossen haben, haben hierzu keine ergänzenden Angaben vorgetragen. Versagungsanträge, bei denen die Gläubigerbenachteiligung lediglich pauschal vermutet wird, sind ebenso unzulässig wie das Geltendmachen einer bloßen Gefährdung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger (BGH, Beschl. v. 12. Juni 2008, aaO; v. 1. Juli 2010, aaO).

IV.

10

Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach Letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 577 Abs. 5 ZPO.

Kayser
Vill
Lohmann
Fischer
Pape

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