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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 18.03.2010, Az.: I ZR 1/09
Inanspruchnahme eines Paketdienstunternehmens auf Schadensersatz wegen Verlusts von Transportgut
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.03.2010
Referenz: JurionRS 2010, 17325
Aktenzeichen: I ZR 1/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stuttgart - 27.06.2008 - AZ: 34 O 147/07 KfH

OLG Stuttgart - 10.12.2008 - AZ: 3 U 173/08

nachgehend:

OLG Stuttgart - 11.05.2011 - AZ: 3 U 114/10

BGH - 19.07.2012 - AZ: I ZR 104/11

BGH, 18.03.2010 - I ZR 1/09

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 18. März 2010
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und
die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2008 gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin nimmt das beklagte Paketdienstunternehmen wegen Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin, die in S. eine Apotheke betreibt, bestellte im März 2007 bei zwei in Deutschland ansässigen Pharmaunternehmen Medikamente. Die Versender beauftragten die Beklagte mit dem Transport der Arzneimittel zur Klägerin. Mit der Auslieferung der Sendungen von ihrem Frachtdepot in S. an die Klägerin betraute die Beklagte ihre Streithelferin. Eine Fahrerin der Streithelferin übergab am 30. März 2007 mehrere Pakete an Mitarbeiter der Klägerin. Am 5. April 2007 zeigte die Klägerin bei der Streithelferin den Verlust von zwei Paketen mit einem Gewicht von 3,05 kg und 7,10 kg an. Sie hat behauptet, ihr sei durch den Verlust der beiden Pakete ein Schaden in Höhe von 42.408,05 € entstanden, den die Beklagte, die sich nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen könne, ersetzen müsse.

3

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es ist dabei von einer unbeschränkten Haftung der Beklagten gemäß § 425 Abs. 1, § 435 HGB und einer Anspruchsberechtigung der Klägerin aus § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB ausgegangen. Das Berufungsgericht hat der Klägerin auf die Berufung der Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels lediglich einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 95,83 € nebst Zinsen zuerkannt. Es hat angenommen, die Ersatzpflicht der Beklagten sei auf den gemäß § 431 HGB zu ermittelnden Haftungshöchstbetrag begrenzt, da die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung der Beklagten gemäß § 435 HGB nicht vorlägen. Die Klägerin habe ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder ihrer Streithelferin nicht belegt. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

4

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Annahme, die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung der Beklagten nach § 435 HGB lägen nicht vor, das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.

5

1.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2008 darauf hingewiesen, dass ihr aufgrund des Umstands, dass der Schadensfall im Dunkeln liege, eine sekundäre Darlegungslast obliege, der sie bis dahin nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei mit der Folge, dass in ihrer Person ein qualifiziertes Verschulden vermutet werde. Auf Antrag der Beklagten hat das Berufungsgericht ihr eine Schriftsatzfrist bis zum 19. November 2008 gewährt. Die Beklagte hat ihren Vortrag daraufhin innerhalb der ihr eingeräumten Frist ergänzt. Mit Verfügung vom 27. November 2008 hat das Berufungsgericht den Parteien mitgeteilt, es neige zu der Auffassung, dass die Beklagte durch den ergänzenden Vortrag ihrer sekundären Darlegungslast in ausreichendem Maße nachgekommen sei und dass nunmehr die Klägerin die Voraussetzungen für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder deren Streithelferin zu beweisen hätte. Darüber hinaus enthält die Verfügung den Hinweis, dass die Klägerin bislang keinen geeigneten Nachweis für ein qualifiziertes Verschulden angetreten habe. Dementsprechend hat das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil - ohne die mündliche Verhandlung zuvor wiedereröffnet zu haben - ein Verschulden der Beklagten i.S. von § 435 HGB verneint.

6

2.

Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass die Verfahrensweise des Berufungsgerichts die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

7

a)

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Vorbringen einer Partei, das auf einen gewährten Schriftsatznachlass hin erfolgt, nach § 296a Satz 2 ZPO zu berücksichtigen ist, soweit es mit dem erteilten Hinweis im Zusammenhang steht (Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., § 139 Rdn. 30; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 139 Rdn. 20; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 139 Rdn. 14; MünchKomm.ZPO/Prütting, 3. Aufl., § 296a Rdn. 6). Hat das Gericht einer Partei - wie der Beklagten im vorliegenden Fall - eine Schriftsatzfrist gemäß § 139 Abs. 5 ZPO gewährt, so ist dem Gegner zum nachgereichten Schriftsatz rechtliches Gehör zu gewähren (Deppenkemper in Prütting/Gehrlein aaO § 296a Rdn. 6 a.E.). Dies gilt zumindest dann, wenn das nachgelassene Vorbringen vom Gericht als entscheidungserheblich angesehen wird und damit eine Stellungnahme des Gegners erfordert (Musielak/Stadler aaO § 139 Rdn. 30; Zöller/Greger aaO § 139 Rdn. 14 und § 296a Rdn. 4; MünchKomm.ZPO/Wagner aaO § 139 Rdn. 58; siehe auch BGH, Beschl. v. 15.2.2005 - XI ZR 144/03, BGH-Rep. 2005, 936).

8

b)

Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 19. November 2008 als erheblich angesehen und bei seiner Entscheidung in der Weise berücksichtigt, dass es angenommen hat, die Beklagte habe damit ihrer sekundären Darlegungslast genügt mit der Folge, dass sie die Vermutung des qualifizierten Verschuldens ausgeräumt habe. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht der Klägerin Gelegenheit geben müssen, zu dem ergänzenden Vortrag der Beklagten Stellung zu nehmen. Dies konnte - wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht geltend macht - mit Blick auf das in § 128 Abs. 1 ZPO niedergelegte Mündlichkeitsprinzip entweder durch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO oder - mit Zustimmung der Parteien - durch einen Übergang in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO erfolgen. Beides ist nicht geschehen. Es war nicht ausreichend, dass das Berufungsgericht der Klägerin den Schriftsatz der Beklagten vom 19. November 2008 übersandt und ihr mitgeteilt hat, wie es das darin enthaltene Vorbringen zu bewerten beabsichtige. Die Klägerin hat zwar zu dem ergänzenden Vortrag der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz Stellung genommen. Diese Ausführungen waren aber nicht Gegenstand einer mündlichen Verhandlung und mussten daher vom Berufungsgericht außer Acht gelassen werden. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht mit seiner Verfahrensweise den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

9

c)

Gemäß § 544 Abs. 7 ZPO ist danach das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Streitwert: 42.312,22 €.

Bornkamm
Pokrant
Büscher
Kirchhoff
Koch

Verkündet am: 18. März 2010

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