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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.11.2011, Az.: V ZB 236/11
Rechtmäßigkeit einer Abschiebungshaft im Falle des Vorliegens eines unvollständigen und fehlerhaften Haftantrags durch die beteiligte Behörde
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 31438
Aktenzeichen: V ZB 236/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Hamburg-Mitte - 28.12.2010 - AZ: 219h XIV 41909/10

LG Hamburg - 22.06.2011 - AZ: 329 T 11/11

Verfahrensgegenstand:

Abschiebungshaftsache

BGH, 17.11.2011 - V ZB 236/11

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 22. Juni 2011 (329 T 11/11) aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 28. Dezember 2010 (219h XIV 41909/10) den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 EUR.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Mai 2010 ohne die erforderlichen Papiere in das Bundesgebiet ein. Er wurde am 31. August 2010 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Am 30. September 2010 wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt; der Untersuchungshaftbefehl wurde aufgehoben. Diese Entscheidung ist seit dem 8. Oktober 2010 rechtskräftig.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 28. September 2010 ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. September 2010 gegen den Betroffenen Abschiebungshaft "bis zu seiner Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland, längstens jedoch bis acht Wochen nach U-Haftende ..." an. Zuvor hatte die beteiligte Behörde bei der Staatsanwaltschaft um das Einverständnis mit der Abschiebung gebeten, worauf diese mitteilte, dass "keine Bedenken gegen eine Abschiebung nach Erledigung des Strafverfahrens" bestünden.

3

Am 4. Oktober 2010 wurde der Betroffene dem türkischen Generalkonsulat vorgeführt. Bei der dortigen Anhörung bekundete er erstmalig, dass er seine Lebensgefährtin heiraten und demnach im Bundesgebiet verbleiben wolle. Aus diesem Grund war das Generalkonsulat vorerst nicht bereit, Passersatzpapiere auszustellen.

4

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 24. November 2010 hat das Amtsgericht mit Beschluss von demselben Tag Abschiebungshaft gegen den Betroffenen "bis zu seiner Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland, längstens jedoch bis zum 29. Dezember 2010, 16.00 Uhr" und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde, mit welcher der Betroffene nach seiner Abschiebung am 24. Januar 2011 die Feststellung der Rechtsverletzung durch den amtsgerichtlichen Beschluss beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (V ZB 162/11) die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

5

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 27. Dezember 2010 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2010 Abschiebungshaft gegen den Betroffenen längstens bis zum 1. Februar 2011 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde, mit welcher der Betroffene nach seiner Abschiebung am 24. Januar 2011 wiederum die Feststellung der Rechtsverletzung durch den amtsgerichtlichen Beschluss beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit welcher der Betroffene die Feststellung beantragt, dass ihn die vorinstanzlichen Beschlüsse in seinen Rechten verletzt haben.

II.

6

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat der in § 62 Abs. 2 Nr. 1AufenthG genannte Haftgrund vorgelegen. Der Betroffene habe etwaige Verzögerungen der Abschiebung zu vertreten gehabt, weil er die Ausstellung von Passersatzpapieren nicht selbst beantragt gehabt habe. Die beabsichtigte Heirat habe der Abschiebung ebenso wenig entgegengestanden wie ein zwischenzeitlich gestellter Asylfolgeantrag. Mildere Mittel als die Inhaftierung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht seien nicht ersichtlich gewesen. Die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft habe vorgelegen.

III.

7

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8

1.

Die - nach Auslegung des in der Rechtsbeschwerdebegründung gestellten Antrags dahingehend, dass die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgehoben und nur die Rechtsverletzung durch den Beschluss des Amtsgerichts festgestellt werden soll - mit einem Antrag nach § 62 FamFG gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte (vgl. nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 5, [...]) und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Deshalb ist festzustellen, dass die Anordnung der Abschiebungshaft vom 28. Dezember 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

9

2.

Das gilt jedenfalls schon deshalb, weil der Haftanordnung kein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen hat.

10

Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter III. 2. in dem Senatsbeschluss vom heutigen Tag in der Sache V ZB 162/11 Bezug genommen. Auch in dem Haftantrag vom 27. Dezember 2010 hat die beteiligte Behörde keine weiteren Angaben zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer und zu der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb dieser Haftdauer gemacht und das Versäumnis nicht nachgeholt.

IV.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die F. und H.

H. als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

12

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 KostO.

Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Stresemann
Czub

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