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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.05.2011, Az.: 1 StR 190/11
Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eine "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" erforderlich; Erforderlichkeit einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" für die Anordnung der Sicherungsverwahrung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.05.2011
Referenz: JurionRS 2011, 18433
Aktenzeichen: 1 StR 190/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Augsburg - 02.11.2010

Verfahrensgegenstand:

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern u.a.

BGH, 17.05.2011 - 1 StR 190/11

Redaktioneller Leitsatz:

Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, 3 StGB darf nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 nur nach einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angeordnet werden.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 17. Mai 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. November 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass in den elf Fällen zu II. 2. der Urteilsgründe die Verurteilung wegen tateinheitlichen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen jeweils entfällt.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen insgesamt 50 Sexualstraftaten zum Nachteil seines Stiefsohns sowie zweier leiblicher Töchter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen war es während der in einem Zeitraum von mehr als 14 Jahren teilweise gewaltsam verübten Taten u.a. zum Oral-, Anal- und Vaginalverkehr mit den Geschädigten gekommen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

2

1.

a)

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. April 2011 zutreffend ausgeführt hat, ist bei den elf zu II. 2. der Urteilsgründe festgestellten Taten zum Nachteil K. s hinsichtlich des jeweils tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Kindern begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen Verfolgungsverjährung eingetreten, so dass der Schuldspruch insoweit entfallen muss.

3

b)

Der Senat schließt auch angesichts der Anzahl und des Gewichts der übrigen Taten aus, dass das Landgericht die in den betreffenden Fällen verhängten Strafen niedriger bemessen hätte, wenn es den Umstand der Verjährung bedacht hätte, zumal auch verjährte Tatteile bei der Strafzumessung - wenn auch mit geringerem Gewicht - berücksichtigt werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 1 StR 224/06).

4

2.

a)

Die vom Landgericht auf § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat ebenfalls Bestand. Denn insofern hat sich durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) nichts zugunsten des Angeklagten geändert (vgl. § 2 Abs. 6 StGB; Art. 316e Abs. 2 EGStGB).

5

b)

Anderes ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.). Zwar sind hierdurch u.a. die angewendeten Bestimmungen als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - weiter anwendbar bleiben, jedoch nur nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung vor ihrer gleichwohl erfolgenden Anordnung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung". In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG a.a.O. Rn. 172).

6

Diesen strengen Maßstäben ist das Landgericht gerecht geworden. Es hat insbesondere tatsachenfundiert, sachverständig beraten und rechtsfehlerfrei eine "hohe Wahrscheinlichkeit von Wiederholungsgefahr" festgestellt (UA S. 48) und sich davon überzeugt, dass der Angeklagte "aufgrund seiner fest eingewurzelten Neigung immer wieder mit Sexualstraftaten an Kindern oder Schutzbefohlenen straffällig werden wird" (UA S. 51).

Nack
Wahl
Rothfuß
Jäger
Sander

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