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Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.04.2012, Az.: VI ZR 108/11
Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit für den Beginn der Verjährung der deliktischen Ansprüche eines Sozialversicherungsträgers; Anwendbarkeit der Grundsätze der sekundären Darlegungslast bei Vorliegen der Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 17.04.2012
Referenz: JurionRS 2012, 15084
Aktenzeichen: VI ZR 108/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bielefeld - 30.11.2010 - AZ: 2 O 479/09

OLG Hamm - 28.02.2011 - AZ: 6 U 217/10

Fundstellen:

BGHZ 193, 67 - 78

DAR 2013, 309-310

DB 2012, 1327

KrV 2012, 177-181

MDR 2012, 766-767

NJW 2012, 2644-2647

NJW-Spezial 2012, 361-362

NZS 2012, 625

NZV 2012, 4

NZV 2013, 25-27

r+s 2012, 308-310

SVR 2012, 3

VersR 2012, 1005

VRR 2012, 259-260

VRR 2012, 242

VRS 2012, 129-134

zfs 2012, 440-443

ZfSH/SGB 2012, 598-601

BGH, 17.04.2012 - VI ZR 108/11

Amtlicher Leitsatz:

BGB § 199

  1. a)

    Im Deliktsrecht ist für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit abzustellen.

  2. b)

    Eine dem Sozialversicherungsträger zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis kann vorliegen, wenn die für den Regress zuständige Organisationseinheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass ein Regress veranlasst sein kann. Sie kommt ferner in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können.

  3. c)

    Bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben ist, sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast anwendbar.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung auf sie nach §§ 116, 119 SGB X übergegangene Schadensersatzansprüche ihres Versicherten aus einem Verkehrsunfall vom 23. Oktober 1987 geltend, für den der Beklagte allein haftet.

2

Bei dem Unfall wurde der Versicherte der Klägerin schwer verletzt. Mitte 1997 wurde deren Leistungsabteilung aufgrund eines von ihm gestellten Antrags auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Unfall befasst.

Einen weiteren (Arbeits-)Unfall hatte der Versicherte 1994 erlitten. Hinsichtlich dieses Unfalls erfolgte eine Abgabe an das für den Regress zuständige Rechtsreferat der Klägerin, nicht jedoch hinsichtlich des im Streitfall relevanten Unfalls. In dem entsprechenden Antrag und in einem weiteren Antrag auf Feststellung von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit wurde aufgrund entsprechender Fragen auf die Unfälle hingewiesen. Von der den Antrag aufnehmenden Gemeinde wurde dem Rentenantrag kein Unfallermittlungsbogen bezüglich des Unfalls im Jahre 1987 beigefügt. Einen solchen hat die Klägerin auch nicht angefordert. Auch in nachfolgenden Schreiben im Rahmen der Rentenverfahren erfolgten Hinweise auf die vorangegangenen Unfälle. Das Rechtsreferat der Klägerin wurde über den Unfall vom Jahre 1987 erst im Februar 2009 informiert, obgleich die Klägerin seit 1984 Büroverfügungen erlassen hatte, nach denen die Unterlagen dem Rechtsreferat zuzuleiten seien, wenn sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen Vorgängen ergebe, dass ein Anspruchsübergang nach § 116 oder § 119 SGB X möglich sei.

3

Die Klägerin verlangt Ersatz der für ihren Versicherten erbrachten Leistungen sowie Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich übergegangener Ansprüche. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

I.

4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts (OLG Hamm, r+s 2011, 225 [OLG Hamm 28.02.2011 - 6 U 217/10]) sind auf die Klägerin nach § 116 Abs. 1, § 119 SGB X übergegangene Schadensersatzansprüche wegen erbrachter oder zu erbringender Sozialleistungen infolge des Unfalls aus dem Jahre 1987 spätestens Ende des Jahres 2008 gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt.

5

Eine Verjährung sei nicht bereits nach § 852 BGB a.F. vor Inkrafttreten der neuen Verjährungsvorschriften in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung eingetreten. Nach der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift sei es bei Behörden darauf angekommen, wann der für Regressansprüche zuständige Bedienstete Kenntnis erlangt habe. Dass ein Mitarbeiter der Regressabteilung vor diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Unfall aus dem Jahre 1987 gehabt oder ein der Kenntnis gleichgestelltes missbräuchliches Sichverschließen vorgelegen habe, sei nicht feststellbar gewesen.

6

Die Verjährung sei aber nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. spätestens Ende 2008 eingetreten. Zwar habe der zuständige Sachbearbeiter der Regressabteilung, auf dessen positive Kenntnis es auch nach neuer Rechtslage ankomme, eine solche erst im Jahre 2009 erlangt. Der Klägerin sei aber grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen vorzuwerfen. Die Sachbearbeiter der Leistungsabteilung hätten bereits 1997 Kenntnis davon gehabt, dass der Versicherte 1987 wegen überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall als Beifahrer des Beklagten erlitten habe. Auch in den Folgejahren seien die Sachbearbeiter der Leistungsabteilung auf den Umstand eines Unfalls mit Fremdverschulden immer wieder aufmerksam gemacht worden. Sie hätten die Pflicht gehabt, dies an die Regressabteilung weiterzumelden. Die grob fahrlässige Nichtweiterleitung des in ihrer Leistungsabteilung vorhandenen Wissens an die Regressabteilung sei der Klägerin zuzurechnen. Bei der Alternative der grob fahrlässigen Unkenntnis sei nicht allein auf die Regressabteilung abzustellen, der ein solcher Vorwurf nicht gemacht werden könne, sondern auch auf verjährungsrelevantes Wissen anderer behördeninterner Stellen. Zu den Dienstpflichten der Mitarbeiter der Leistungsabteilung habe auch die Weiterleitung von Informationen zu möglichen Ersatzansprüchen gegen Dritte an die Regressabteilung gehört. Diese Weiterleitung habe trotz der in regelmäßigen Abständen wiederholten Hausverfügungen nicht funktioniert, so dass es zu einer Weiterleitung der Informationen erst im Jahre 2009 gekommen sei. Dies sei in Anwendung des Rechtsgedankens des § 166 Abs. 1 BGB der Klägerin anzulasten.

II.

7

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann nach den bisherigen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die geltend gemachten Ansprüche nach §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB verjährt sind.

8

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die im Jahr 1987 entstandenen und auf die Klägerin nach § 116 Abs. 1, § 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche ihres Versicherten, jedenfalls soweit es das Stammrecht betrifft, beim Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Januar 2002 noch nicht verjährt waren. Die Verjährung deliktischer Ansprüche hatte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mangels positiver Kenntnis der Klägerin im Sinne von § 852 BGB a.F. noch nicht begonnen. Da Schadensersatzansprüche, soweit sie kongruente Leistungen des Sozialversicherungsträgers umfassen, bereits im Augenblick ihrer Entstehung mit dem Schadensereignis auf die Klägerin übergegangen sind, ist auf deren Kenntnis abzustellen (Senatsurteile vom 25. Juni 1996 - VI ZR 117/95, BGHZ 133, 129, 138; vom 2. Dezember 2003 - VI ZR 243/02, VersR 2004, 492, 493; vom 18. Dezember 2007 - VI ZR 278/06, VersR 2008, 513 Rn. 9; BGH, Urteile vom 9. März 2000 - III ZR 198/99, VersR 2000, 1277, 1278; vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn. 12).

9

2. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Verjährung des Klageanspruchs nach dem seit dem 1. Januar 2002 geltenden Verjährungsrecht nicht bejaht werden. Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt seit dem vorgenannten Zeitpunkt für bis dahin nicht verjährte Schadensersatzansprüche die dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB n.F. Dabei setzt der Beginn der Frist das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. voraus.

10

a) Nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Gemäß den vom Bundesgerichtshof für die Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. sowie des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB n.F. entwickelten Grundsätzen beginnt bei Behörden und öffentlichen Körperschaften die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist (Senatsurteile vom 22. April 1986 - VI ZR 133/85, VersR 1986, 917, 918; vom 12. Mai 2009 - VI ZR 294/08, VersR 2009, 989 Rn. 12 [BGH 12.05.2009 - VI ZR 294/08] mwN; vom 15. März 2011 - VI ZR 162/10, VersR 2011, 682 Rn. 11 [BGH 15.03.2011 - VI ZR 162/10]). Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig - nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bezüglich der Geltendmachung von Schadensersatzoder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unmaßgeblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 1992 - VI ZR 133/91, VersR 1992, 627, 628; vom 15. März 2011 - VI ZR 162/10, VersR 2011, 682 Rn. 11; BGH, Urteile vom 9. März 2000 - III ZR 198/99, VersR 2000, 1277, 1278; vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, aaO).

11

b) Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. im Vergleich zur Regelung in § 852 Abs. 1 BGB a.F. nunmehr das subjektive Merkmal der grob fahrlässigen Unkenntnis hinzugefügt hat, wird in Literatur und Rechtsprechung zwar die vom Berufungsgericht geteilte Meinung vertreten, dass die bisherige Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. unter Geltung des neuen Rechts nicht mehr fortgeführt werden könne (so z.B. Münch-KommBGB/Grothe, 6. Aufl., § 199 Rn. 33, 35; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearbeitung 2009, § 199 Rn. 59; dahin tendierend auch Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 199 Rn. 25; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 13. Aufl., § 199 Rn. 14; zweifelnd Kesseler in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 6. Aufl. § 199 Rn. 12; für die Beibehaltung der Rechtsprechungsgrundsätze sprechen sich dagegen aus: Henrich/Spindler in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, § 199 Rn. 35 f. (Stand Februar 2012); jurisPK-BGB/Lakkis, § 199 Rn. 69 f. (Stand Januar 2012)). Im Unterschied zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 22. April 1986 - VI ZR 133/85, VersR 1986, 917, 918[BGH 22.04.1986 - VI ZR 133/85]; vom 11. Februar 1992 - VI ZR 133/91, VersR 1992, 627, 628[BGH 11.02.1992 - VI ZR 133/91]) beginne die Verjährung auch dann, wenn die fehlende Kenntnis der zuständigen Abteilung auf einem den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit rechtfertigenden Organisationsmangel beruhe (vgl. auch Krämer, ZGS 2003, 379, 381; OLG Saarbrücken, Urteil vom 31. August 2010 - 4 U 550/09, [...], Rn. 46 ff.) oder in der Leistungsabteilung eines Sozialversicherungsträgers vorliegende Erkenntnisse über mögliche Regressansprüche gegen Dritte grob fahrlässig nicht an die zuständige Regressabteilung weitergeleitet würden (so das Berufungsgericht).

12

c) Diesem rechtlichen Ansatz ist jedoch nicht zu folgen. Selbst wenn nunmehr grob fahrlässige Unkenntnis die Verjährungsfrist in Lauf setzen kann, hat sich dadurch die Rechtslage nicht dahingehend geändert, dass in Regressfällen hinsichtlich einer etwaigen Verjährung von Ansprüchen auch auf ein fehlerhaftes Verhalten von Mitarbeitern der Leistungsabteilung, etwa wegen unterlassener Initiativen zur Aufklärung des Schadensgeschehens oder einer unterlassenen Information der Regressabteilung, abzustellen und bei diesbezüglicher Nachlässigkeit eine grob fahrlässige Unkenntnis der öffentlichen Körperschaft oder Behörde anzunehmen wäre (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 9/11, zVb, Rn. 11 ff.; BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn. 18 ff. [BGH 20.10.2011 - III ZR 252/10]).

13

Zwar erfasst § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der § 852 Abs. 1 BGB a.F. nachgebildet ist (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 107), nicht nur deliktische, sondern auch rechtsgeschäftliche Ansprüche und geht das subjektive Merkmal der groben Fahrlässigkeit weiter als die Fälle der Versäumung gleichsam auf der Hand liegender Erkenntnismöglichkeiten, die in Anwendung des Rechtsgedankens des § 162 BGB der positiven Kenntnis bislang gleichgestellt worden sind (vgl. z.B. Senatsurteile vom 18. Januar 2000 - VI ZR 375/98, VersR 2000, 503, 504[BGH 18.01.2000 - VI ZR 375/98]; vom 14. Oktober 2003 - VI ZR 379/02, VersR 2004, 123 f.; vom 28. November 2006 - VI ZR 196/05, VersR 2007, 513 Rn. 8). Indessen lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass bei arbeitsteiliger Organisation in Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts höhere Anforderungen an diese als Gläubiger gestellt werden sollen. Auch wenn darin von einer Erweiterung des Merkmals der Kenntniserlangung um die grob fahrlässige Unkenntnis gesprochen wird (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 108), wird zugleich auf die "Auflockerungstendenzen" in der bisherigen Rechtsprechung, die bereits damals geltende und entsprechend ausgestaltete Vorschrift des § 12 ProdHaftG sowie den Rechtsgedanken des § 277 BGB hingewiesen (BT-Drucks. 14/6040, aaO). Der Gesetzgeber wollte mithin vor allem die praktischen Ergebnisse der Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. nachvollziehen und in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB integrieren, aber nicht in die Rechtsprechung zur Frage, ob und in welchem Umfang bei bestimmten Personen vorhandenes Wissen der "dahinter stehenden" juristischen Person oder Körperschaft zuzurechnen ist, korrigierend eingreifen. Angesichts dessen kann es im Ausgangspunkt auch nach neuem Recht im Bereich der deliktischen Haftung bei den hergebrachten Grundsätzen der Wissenszurechnung verbleiben (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 9/11, zVb, aaO; BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, aaO, Rn. 21).

14

d) Demnach ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nach neuem Verjährungsrecht auf die positive Kenntnis oder die grob fahrlässige Unkenntnis der Regressabteilung der Klägerin abzustellen. Dass die Leistungsabteilung das bei ihr vorhandene Wissen grob fahrlässig nicht an die Regressabteilung weiterleitete, genügte nicht, um die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB in Lauf zu setzen.

15

aa) Entgegen der Revisionserwiderung sind die von der Klägerin erlassenen Büroverfügungen, nach denen die Unterlagen dem Rechtsreferat zuzuleiten waren, wenn sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen Vorgängen ergab, dass ein Anspruchsübergang nach § 116 oder § 119 SGB X möglich ist, nicht geeignet, eine vorgelagerte, eigenverantwortliche Prüfung der Regressmöglichkeiten durch die Leistungsabteilung - mit der Folge, dass es auf deren Wissen ankäme - zu begründen. Vielmehr ergibt sich daraus, dass ein Vorgang schon dann an die für einen Regress zuständige Stelle weitergeleitet werden sollte, wenn aus der Akte zu erkennen war, dass es sich um einen Unfall oder sonst durch andere Personen verursachten Schadensfall handelte. Die eigentliche Prüfung der Angelegenheit sollte erkennbar den für die Bearbeitung eines Regresses zuständigen Bediensteten vorbehalten sein. Daraus ergab sich keine eigenverantwortliche Bearbeitung von möglichen Regressansprüchen und keine Verpflichtung der Leistungsabteilung, etwa allgemein weitere Erkundigungen einzuholen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, aaO, Rn. 14).

16

bb) Der Beurteilung des Senats steht auch nicht die von der Revisionserwiderung angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 1. Juli 2010 (B 13 R 67/09 R, SozR 4-2400 § 24 Nr. 5 Rn. 23) entgegen. Diese betrifft den Verschuldensmaßstab des § 24 Abs. 2 SGB IV und die Frage, ob bei Körperschaften des öffentlichen Rechts das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen eine unverschuldete Unkenntnis im Sinne dieser Vorschrift darstellen kann. Um einen vergleichbaren Sachverhalt geht es vorliegend nicht, so dass sich der Senat zu dieser Entscheidung nicht in Widerspruch setzt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10, aaO Rn. 22).

III.

17

Der Klageanspruch könnte aber aus einem anderen Grund verjährt sein. Die Klägerin könnte nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB zur Verjährung führende Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erlangt haben, weil sie sich die grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der Regressabteilung zurechnen lassen muss. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, unter diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt Feststellungen zu treffen.

18

1. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom 10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, VersR 2009, 558 Rn. 34; vom 17. Februar 2009 - VI ZR 86/08, VersR 2009, 839 Rn. 10; vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 13). Ihm muss ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (Senatsurteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, aaO mwN; vgl. auch BT-Drucks. 14/6040, S. 108). Dies kann nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls auch dann vorliegen, wenn eine Wissenszurechnung wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Geschädigten durch ein "Verschließen der Augen" vor einer sich geradezu aufdrängenden Kenntnis im Sinne der Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. noch nicht gegeben ist.

19

a) Die Obliegenheiten der Regressabteilung des Trägers der Sozialversicherung ergeben sich aus deren Aufgabe. Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der nach den §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Träger der Sozialversicherung dem geschädigten Versicherten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise zu sichern, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten.

20

b) Erhält die Regressabteilung aufgrund einer nachlässigen Handhabung der vorbeschriebenen Obliegenheiten nicht in angemessener Zeit Kenntnis von einer Regressmöglichkeit, kann das im Einzelfall als eine dem Träger der Sozialversicherung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis zu werten sein. So kann eine grob fahrlässige Unkenntnis der Behörde etwa zuzurechnen sein, wenn ein Mitarbeiter der Regressabteilung aus ihm zugeleiteten Unterlagen in einer anderen Angelegenheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass die Möglichkeit eines Regresses in einem weiteren Schadensfall in Betracht kommt, und er die Frage des Rückgriffes auf sich beruhen lässt, ohne die gebotene Klärung der für den Rückgriff erforderlichen Umstände zu veranlassen.

21

Danach kommt im Streitfall die Zurechnung der grob fahrlässigen Unkenntnis eines Mitarbeiters der Regressabteilung in Betracht. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfolgte hinsichtlich des Arbeitsunfalls des bei der Klägerin Versicherten im Jahre 1994 eine Abgabe an das für einen Regress zuständige Rechtsreferat. In dem Antrag hieß es bei der Frage nach einer Fremdverursachung: "Ja", "Verkehrsunfall v. 23.10.1987 und Arbeitsunfall vom 13.09.1994". Zudem war bei der Frage, ob Schadensersatzansprüche geltend gemacht worden sind, angekreuzt "Ja". Dies hat das Berufungsgericht nicht unter dem Gesichtspunkt einer grob fahrlässigen Unkenntnis eines Mitarbeiters der Regressabteilung bewertet, sondern nur unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung wegen der unterbliebenen Weiterleitung durch die Leistungsabteilung.

22

c) Als grob fahrlässige Unkenntnis kann weiter zu werten sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig sind oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam. Um solche, den Regress gefährdende Fallgestaltungen zu vermeiden, ist es naturgemäß Aufgabe der Regressabteilung, darauf hinzuwirken, dass eine zeitnahe Information sichergestellt wird.

23

2. Bei der Frage, ob dem Träger der Sozialversicherung - hier der Klägerin - die grob fahrlässige Unkenntnis eines Mitarbeiters der Regressabteilung zuzurechnen ist, sind an die Darlegungslast des sich auf Verjährung berufenden verklagten Regressschuldners regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen. Es liegen nämlich regelmäßig Vorgänge zugrunde, die sich im Wahrnehmungsbereich des klagenden Sozialversicherungsträgers abgespielt haben, dessen internen Geschäftsgang der beklagte Schadensersatzpflichtige nicht kennen kann. Sofern etwa wegen des langen Zeitablaufs, der Nichtbeachtung von Anweisungen zur Unterrichtung der Regressabteilung oder anderer Umstände eine geringen Anforderungen entsprechende Substantiierung seitens des Beklagten erfolgt ist, wird es mithin nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1987 - VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 195 f.; vom 14. Juni 2005 - VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 214 mwN) regelmäßig Sache des klagenden Trägers der Sozialversicherung sein, Einzelheiten der internen Organisation und der internen Abläufe darzulegen.

24

3. Die Sache ist mithin zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dabei wird es gegebenenfalls entsprechend der Rüge der Revisionserwiderung auch prüfen müssen, ob das für den Regress zuständige Rechtsreferat schon vor Ende 2005 Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat und der Beweisantritt der Klägerin durch den Zeugen M. erheblich ist. Zudem wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, die von der Revisionserwiderung geltend gemachte Verjährung einzelner Ansprüche nach § 197 BGB a.F. zu prüfen (vgl. dazu Senatsurteile vom 26. Februar 2002 - VI ZR 288/00, VersR 2002, 996, 997; vom 10. Januar 2012 - VI ZR 96/11, VersR 2012, 372 Rn. 14 ff., jeweils mwN).

Galke

Zoll

Wellner

Diederichsen

Stöhr

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. April 2012

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