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Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.01.2013, Az.: III ZR 168/12
Anforderungen an die Erkennbarkeit des Willens des Berufungsklägers als Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 17.01.2013
Referenz: JurionRS 2013, 32243
Aktenzeichen: III ZR 168/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stuttgart - 15.06.2011 - AZ: 9 O 244/10

OLG Stuttgart - 24.04.2012 - AZ: 12 U 113/11

Fundstellen:

BRAK-Mitt 2013, 120

JZ 2013, 231

MDR 2013, 672

NJW-RR 2013, 692-694

BGH, 17.01.2013 - III ZR 168/12

Amtlicher Leitsatz:

ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2

Zur Erkennbarkeit des Willens des Berufungsklägers zur Fortsetzung des Verfahrens als Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und Dr. Remmert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24. April 2012 aufgehoben.

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Rückzahlung von Treuhandgeld in Anspruch, das dieser im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erhalten hatte.

2

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 9.848,23 € verurteilt. Gegen das ihm am 28. Juni 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte, der sich vor dem Landgericht selbst vertreten hat, am 8. Juli 2011 Berufung eingelegt.

Das Berufungsgericht hat den Beklagten mit Beschluss vom 5. August 2011 wegen eines gegen ihn am 31. Juli 2010 verhängten Vertretungsverbotes nach § 156 Abs. 2 BRAO als Prozessbevollmächtigten zurückgewiesen. Zugleich hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die Zurückweisung gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen sei. Mit Verfügung vom 25. August 2011 hat es dem Beklagten gemäß § 244 Abs. 2 ZPO aufgegeben, einen neuen Anwalt zu bestellen. Nach Ablauf der - antragsgemäß einmal verlängerten - hierfür gesetzten Frist hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 28. September 2011 darauf hingewiesen, dass das Verfahren mit dem Ablauf der Frist gemäß § 244 Abs. 2 Satz 2 ZPO als aufgenommen anzusehen sei. Auf Antrag des neuen Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten vom 28. November 2011 hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 30. November 2011 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Dezember 2011 verlängert. An diesem Tag ist die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Mit dem Beklagten am 24. Januar 2012 zugegangener Verfügung vom 18. Januar 2012 hat das Berufungsgericht den Beklagten darauf hingewiesen, dass noch geprüft werden müsse, ob die Berufung zulässig sei. Da ein amtlich bestellter Vertreter des Beklagten vorhanden gewesen sei, könne es an den Voraussetzungen von § 244 ZPO fehlen. Der Beklagte hat auf diesen Hinweis nicht reagiert. Das Berufungsgericht hat daraufhin nach mündlicher Verhandlung die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und - unter Wiedereinsetzung des Beklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4

Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18. Januar 2007 - III ZR 44/06, NJW-RR 2007, 621 Rn. 6; BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff).

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die erst am 28. Dezember 2011 erfolgte Begründung der Berufung sei verfristet, da die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 28. August 2011 geendet habe. Der Rechtsstreit sei nicht am 5. August 2011 durch die Zurückweisung des Beklagten als Prozessbevollmächtigten gemäß § 244 ZPO unterbrochen worden, da für den Beklagten ab 17. März 2011 ein allgemeiner Vertreter bestellt gewesen sei. Der Antrag des Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei erst am 28. November 2011 gestellt und bewilligt worden. Nach Ablauf der Begründungsfrist habe diese aber nicht mehr wirksam verlängert werden können.

6

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist lägen nicht vor. Zwar sei die Versäumung der Begründungsfrist angesichts der Hinweise des Berufungsgerichts entschuldbar gewesen. Der Beklagte habe jedoch nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung beantragt. Diese Frist habe mit dem Hinweis des Berufungsgerichts vom 18. Januar 2012 zu laufen begonnen, weil der Beklagte ab diesem Zeitpunkt habe erkennen können, dass die Voraussetzungen einer Unterbrechung möglicherweise nicht gegeben gewesen sein könnten und die Berufung daher unzulässig sein könne. Auf den Hinweis vom 18. Januar 2012 habe der Beklagte nicht reagiert. Er habe auch nicht konkludent Wiedereinsetzung beantragt.

7

Für eine Wiedereinsetzung ohne Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei kein Raum. Voraussetzung hierfür sei, dass das Gericht erkennen könne, dass das Verfahren trotz der Fristversäumnis fortgesetzt werden solle. Daran fehle es, wenn - wie hier - die Partei nach Mitteilung der Tatsachen, aus denen die Fristversäumnis erkenntlich sei, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO untätig bleibe.

II.

8

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO verneint:

9

1. Der Beklagte hat die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt.

10

Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass - abweichend von seinem Hinweis vom 5. August 2011 - das Berufungsverfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war.

11

Ebenfalls zutreffend hat es angenommen, dass - entgegen seinem weiteren Hinweis vom 28. September 2011 und der von ihm mit Verfügung vom 30. November 2011 bis zum 28. Dezember 2011 gewährten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - die am 28. Dezember 2011 eingegangene Berufungsbegründung nicht mehr fristgerecht erfolgte, da das Verfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war, die Begründungsfrist somit am 28. August 2011 abgelaufen war und eine wirksame Verlängerung nicht erfolgen konnte, weil der entsprechende Antrag des Beklagten erst nach Fristablauf, nämlich am 28. November 2011 bei Gericht einging (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 1982 - GSZ 1/81, BGHZ 83, 217, 221 und vom 17. Dezember 1991 - VI ZB 26/91, BGHZ 116, 377 ff).

12

2. Dem Beklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

13

a) Zutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Versäumung der Begründungsfrist durch den Beklagten entschuldbar im Sinne von § 233 ZPO ist, weil sie durch die fehlerhaften Hinweise des Berufungsgerichts auf die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 244 ZPO verursacht wurde (vgl. zum Gerichtsfehler als Ursache für die Fristversäumung BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003 - IX ZB 36/03, WM 2003, 2478, 2479; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 233 Rn. 48). Hierauf konnte der Beklagte ohne weitere Nachprüfung vertrauen.

14

b) Nicht zu beanstanden ist schließlich die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat.

15

c) Dem Beklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

16

aa) Eine Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO war vorliegend entbehrlich, weil diese, wenn auch verspätet, bereits vor Beginn der Wiedereinsetzungsfrist vorgenommen worden war (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. Januar 1978 - VII ZB 20/77, VersR 1978, 449; MünchKommZPO/Gehrlein aaO § 236 Rn. 14; Musielak/Grandel, ZPO, 9. Aufl., § 236 Rn. 6).

17

bb) Das Berufungsgericht hat dennoch eine Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgelehnt, weil der Beklagte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO untätig geblieben sei und damit für das Gericht nicht - wie erforderlich - erkennbar geworden sei, ob das Verfahren fortgesetzt werden solle. Diese Bewertung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand:

18

(1) Es kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Entscheidung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren ist, im - nur einer beschränkten Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegenden - Ermessen des Gerichts liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 1986 - AnwZ (B) 26/86, BRAK-Mitt. 1987, 90, 91; BAG, NJW 1989, 2708 [BAG 23.05.1989 - 2 AZB 1/89]; s. demgegenüber etwa Musielak/Grandel aaO § 236 Rn. 8; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 236 Rn. 5). Nachprüfbar ist in jedem Fall, ob das Berufungsgericht im Rahmen seines Ermessens alle wesentlichen festgestellten Tatsachen berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 1992 - XII ZB 135/91, NJW 1992, 1513 [BGH 15.01.1992 - XII ZB 135/91] für die Ermessensvorschrift des § 3 ZPO; allgemein: MünchKommZPO/Krüger, 4. Aufl., § 546 Rn. 14).

19

(2) Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Das vom Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Erfordernis der Erkennbarkeit des Fortsetzungswillens der Partei, die die Frist versäumt hat, entspricht zwar der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts (BGH, Beschluss vom 29. September 1986 aaO; BAG aaO S. 2709; Münch-KommZPO/Gehrlein, aaO, § 236 Rn. 16; Musielak/Grandel aaO Rn. 8). Der Fortsetzungswille des Beklagten war jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles auch ohne seine erneute Bekräftigung für das Berufungsgericht ohne weiteres erkennbar. Eine Gefahr, dem Säumigen die Wiedereinsetzung aufzudrängen (vgl. BAG aaO), bestand nicht. Vielmehr ließen sämtliche Handlungen des Beklagten, insbesondere die vermeintlich fristgerecht am letzten Tag der verlängerten Begründungsfrist eingereichte Berufungsbegründung, auf den erforderlichen Fortsetzungswillen schließen. Da ein Wiedereinsetzungsgrund offensichtlich gegeben war, konnte die Versäumung der Begründungsfrist allein an dem Fortsetzungswillen keine vernünftigen Zweifel wecken. Angesichts der sehr zurückhaltenden Formulierung des Berufungsgerichts in seinem Hinweis vom 18. Januar 2012 war eine Reaktion des Beklagten hierauf nicht geboten. Aus ihrem Fehlen konnte nicht auf seinen mangelnden Fortsetzungswillen geschlossen werden. Eher konnte der Beklagte darauf vertrauen, zu nächst eine weitere Mitteilung des Berufungsgerichts über das Ergebnis der angekündigten Prüfung zu erhalten, bevor ernsthaft von einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auszugehen war.

20

Es war mithin ermessensfehlerhaft, zur Feststellung des Fortsetzungswillens noch ein erkennbares Zeichen und Tätigwerden des Beklagten zu erwarten. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO lagen vielmehr auch ohne eine solche Bekräftigung seines Fortsetzungswillens vor.

21

3. Dem Beklagten ist somit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Diese Entscheidung kann das Revisionsgericht selbst treffen (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1992 - V ZB 6/92, VersR 1993, 713, 714). Die Wiedereinsetzung hat zur Folge, dass das angefochtene Urteil, durch das die Berufung als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos wird (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1986 - VIII ZB 41/84, BGHZ 98, 325, 328 mwN und vom 8. Oktober 1992 aaO). Zur Klarstellung ist das Berufungsurteil dennoch aufzuheben (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1992, [...] Rn. 6, insoweit in VersR 1993, 713[BGH 08.10.1992 - V ZB 6/92] nicht abgedruckt).

Zugleich ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Schlick

Herrmann

Hucke

Tombrink

Remmert

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. Januar 2013

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