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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 15.05.2012, Az.: KVR 34/11
Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gegen die Verletzung rechtlichen Gehörs im kartellrechtllchen Verfahren
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.05.2012
Referenz: JurionRS 2012, 20238
Aktenzeichen: KVR 34/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Stuttgart - 20.04.2011 - AZ: 201 Kart 1/11

Rechtsgrundlage:

74 Abs. 4 Nr. 3, 6 GWB

BGH, 15.05.2012 - KVR 34/11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs i.S. von § 74 Abs. 4 Nr. 3 GWB muss der Rechtsbeschwerdeführer aufzeigen, welchen Vortrag das Beschwerdegericht übergangen haben soll.

2.

Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfrage gestützt, so muss in der Beschwerdebegründung in dem Fall, dass die angefochtene Entscheidung auf eine Hilfsbegründung gestützt wird, auch aufgezeigt werden, dass diese Hilfsbegründung unzutreffend, die klärungsbedürftige Rechtsfrage mithin entscheidungserheblich ist.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Mai 2012 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn und Dr. Löffler
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. April 2011 wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem oben bezeichneten Beschluss wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerde- und Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Erledigung der Verfahren notwendigen Kosten des Antragsgegners.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde und der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf jeweils 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin ist ein Wasserversorgungsunternehmen mit Sitz in Trossingen. Die Stadt Trossingen ist alleinige Gesellschafterin. Mit der "Satzung über die öffentliche Wasserversorgung der Stadt Trossingen" vom 19. November 2001 wurde der Antragstellerin der Betrieb der Wasserversorgung als öffentliche Einrichtung übertragen. Die Nutzungsverhältnisse zu den Kunden sind privatrechtlich ausgestaltet. In der Satzung ist jedoch ein Anschluss- und Benutzungszwang angeordnet.

2

Mit Verfügung vom 26. Mai 2010 verlangte das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg als zuständige Landeskartellbehörde von der Antragstellerin wegen des Verdachts der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch das Verlangen überhöhter Trinkwasserpreise die Mitteilung der Kalkulationsgrundlagen für diese Preise betreffend die Jahre 2008 bis 2010. Nachdem es zu Unstimmigkeiten gekommen war, erließ die Landeskartellbehörde am 9. Februar 2011 eine zwangsgeldbewehrte Auskunftsverfügung. Die Antragstellerin hat Beschwerde dagegen eingelegt und mit ihr den Antrag verbunden, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 GWB herzustellen. Nachdem die Landeskartellbehörde eine Zurückstellung bis zu einer gerichtlichen Entscheidung abgelehnt hatte, hat die Antragstellerin Unterlagen herausgegeben und Auskünfte erteilt.

3

Das Beschwerdegericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde herzustellen und die Vollziehung aufzuheben, zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde und ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wehrt sich die Antragstellerin gegen diesen Beschluss.

4

II. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

5

Die Auskunftsverfügung belaste die Antragstellerin nicht mehr, weil sie das von der Landeskartellbehörde Geforderte freiwillig bewirkt habe. Die Antragstellerin müsse nicht mit Zwangsmaßnahmen aufgrund der angefochtenen Verfügung rechnen. Die Landeskartellbehörde habe erklärt, sie sehe die erteilten Auskünfte derzeit als Erfüllung der durch die Verfügung begründeten Pflicht an und werde, falls die Auskünfte unvollständig seien, eine neue Verfügung erlassen.

6

Auf die Gefahr, dass aufgrund der erteilten Auskünfte eine materiellrechtliche Verfügung erlassen werde, könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Denn über zukünftige Verwaltungsakte sei im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

7

Im Übrigen bestünden Bedenken gegen die Auffassung der Antragstellerin, sie falle nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Auch wenn die angefochtene Verfügung aufgehoben würde, bliebe die bestandskräftig gewordene Auskunftsverfügung vom 26. Mai 2010 wirksam.

8

III. Weder die Rechtsbeschwerde noch die Nichtzulassungsbeschwerde führen zum Erfolg.

9

1. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

10

a) Die nach § 74 Abs. 4 Nr. 3 GWB geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schlüssig dargelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - KVZ 16/09, WuW/E DE-R 2879 Rn. 10 - Kosmetikartikel). Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, welchen Vortrag der Antragstellerin das Beschwerdegericht übergangen haben soll. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Annahme des Beschwerdegerichts wendet, die Herausgabe der Unterlagen und die Erteilung von Auskünften sei "freiwillig" geschehen, vertritt sie lediglich eine andere Rechtsansicht als das Beschwerdegericht, legt aber keinen Gehörsverstoß dar.

11

b) Auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 4 Nr. 6 GWB liegen nicht vor. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, die angefochtene Entscheidung sei im Hinblick auf die nicht näher erläuterte Erwähnung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2011 (11 W 2/11) nicht mit Gründen versehen. Der Hinweis des Beschwerdegerichts auf diesen Beschluss hat aber ersichtlich keine tragende Bedeutung für die Begründung der Entscheidung, sondern befindet sich in dem Abschnitt, der mit "Ohne dass es darauf noch ankäme" eingeleitet wird.

12

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

13

Die Sache wirft weder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 74 Abs. 2 GWB).

14

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (siehe zu der vergleichbaren Regelung in § 544 ZPO etwa BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZR 54/09, ZIP 2010, 985 Rn. 3). Ist die Entscheidung - wie hier - auch auf eine Hilfsbegründung gestützt, muss die Nichtzulassungsbeschwerde zudem aufzeigen, dass die Hilfsbegründung unzutreffend, die klärungsbedürftige Rechtsfrage mithin entscheidungserheblich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008 - II ZR 62/07, ZIP 2008, 736 Rn. 7; Beschluss vom 12. Februar 2004 - V ZR 247/03, NJW 2004, 1167, 1168; Beschluss vom 7. Januar 2003 - X ZR 82/02, BGHZ 153, 254, 256 f.). Jedenfalls daran fehlt es hier.

15

Die Hilfsbegründung des Beschwerdegerichts, schon die bestandskräftige Verfügung vom 26. Mai 2010 trage das Auskunftsbegehren, beruht auf einer tat-richterlichen Würdigung des Sachverhalts. Das gilt sowohl für die Frage, ob die Auskunftsverfügung infolge der Erteilung von Auskünften erledigt ist, als auch für die damit zusammenhängende Frage, ob die zweite Auskunftsverfügung einen neuen Anwendungsbereich eröffnet oder nur die Anordnungen der alten Verfügung wiederholt und konkretisiert. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur überprüfen, ob der Tatrichter von einem zutreffenden Rechtsverständnis ausgegangen ist, der Sachverhalt ausgeschöpft ist und keine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt worden sind, sowie - bei entsprechenden Verfahrensrügen - ob die Verfahrensregeln eingehalten sind.

16

Derartige Rechtsfehler des Beschwerdegerichts zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf.

17

Nicht ausreichend ist insoweit ihr pauschaler Vortrag, die Verfügung vom 9. Februar 2011 wiederhole nicht nur die Anordnungen der Verfügung vom 26. Mai 2010, sondern verlange aufgrund eines weitergehenden Aufklärungsbedarfs detaillierte Nachweise zu Einzelpositionen und Kostenpunkten. Damit nimmt die Beschwerde eine abweichende Wertung vor, zeigt aber keinen Rechtsfehler auf. Ebenso wenig reicht der Einwand aus, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genüge es für die Annahme eines eigenständigen Verwaltungsakts, wenn Rechte und Pflichten konkretisiert würden. Zwar ist richtig, dass nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung eine verbindliche Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG auch dann anzunehmen sein kann, wenn eine generelle und abstrakte Regelung des Gesetzes für den Einzelfall mit Bindungswirkung als bestehend oder nicht bestehend festgesetzt, konkretisiert oder individualisiert wird (BVerwG, BVerwGE 79, 291, 293; Buchholz 442.16 § 18 StVZO Nr. 1). Die Auskunftsverfügung vom 26. Mai 2010 ist aber schon keine generelle und abstrakte Regelung. Vielmehr ist die Antragstellerin bereits aufgrund dieser Verfügung verpflichtet, detaillierte Auskünfte zu erteilen.

18

Darauf, dass in der Verfügung vom 9. Februar 2011 erstmals ein Zwangsgeld angedroht worden ist, stellt die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht nicht ab. Diese Androhung ist nach der Erklärung der Behörde, davon keinen Gebrauch machen zu wollen, gegenstandslos geworden.

19

Aus den vorgenannten Gründen ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

20

IV. Der Senat entscheidet über die Rechtsbeschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - KVZ 16/09, WuW/E DE-R 2879 Rn. 45 - Kosmetikartikel) und über die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 75 Abs. 2 Satz 2 GWB) ohne mündliche Verhandlung.

Tolksdorf

Meier-Beck

Raum

Strohn

Löffler

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