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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 14.03.2012, Az.: 5 StR 63/12
Fehlende näherere Mitteilung des Aussageinhalts einer Zeugin im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung als Mangel in der Beweiswürdigung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.03.2012
Referenz: JurionRS 2012, 13198
Aktenzeichen: 5 StR 63/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Chemnitz - 25.10.2011

Rechtsgrundlage:

§ 349 Abs. 4 StPO

Fundstelle:

StV 2013, 7-8

Verfahrensgegenstand:

Vergewaltigung u.a.

BGH, 14.03.2012 - 5 StR 63/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen besitzt.

  2. 2.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

  3. 3.

    Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. März 2012 beschlossen:

Tenor:

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 25. Oktober 2011 gewährt.

Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts misshandelte der Angeklagte seine damalige Lebensgefährtin M. "nicht mehr näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 1. August 2010" zunächst körperlich, indem er einen Aschenbecher gegen ihren Körper warf, sie mit einer Holzlatte schlug, ihr mehrfach mit dem Fuß in die Rippen trat und ihr mit dem Handrücken auf die Oberlippe schlug (Tat 1). Einige Tage danach zwang er sie gegen ihren Willen mit Gewalt zum Analverkehr (Tat 2).

Nachdem die Geschädigte den Angeklagten nach diesen Vorfällen zunächst verlassen hatte, später jedoch wieder zu ihm zurückgekehrt war, vollzog der Angeklagte im genannten Zeitraum neuerlich gegen ihren Willen gewaltsam mit ihr den Analverkehr (Tat 3).

3

Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten. Er habe M. nicht geschlagen; zu den zwischen ihnen ausgeübten Sexualpraktiken habe auch der einvernehmliche Analverkehr gehört. Das Landgericht stützt die Verurteilungen zu den Taten 2 und 3 ausschließlich auf die Bekundungen der Geschädigten M. , deren Aussagetüchtigkeit wegen ihrer Polytoxikomanie von einer Sachverständigen begutachtet worden war.

4

2. Das Urteil hält aufgrund von Mängeln in der Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5

a) Das Landgericht hat es bereits rechtsfehlerhaft unterlassen, den Aussageinhalt der Zeugin im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung näher mitzuteilen. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., und vom 17. November 1998 - 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256; siehe auch Brause NStZ 2007, 505, 509 f.) müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird. Daran fehlt es.

6

Insbesondere hat das Landgericht die Gründe nicht vollständig dargelegt und erörtert, warum der Geschädigten eine nähere zeitliche Einordnung der Taten nicht möglich gewesen sei. Die Strafkammer stellt - sachverständig beraten - dazu nur fest, dass durch den Drogenkonsum die Wahrnehmungs- und Merkfähigkeit der Zeugin nicht beeinträchtigt gewesen sei; Erinnerungsdefizite in der zeitlichen Einordnung der Taten seien dadurch erklärbar, dass sie als Drogenkonsumentin mehr auf ihre Versorgung mit der Droge geachtet und alles andere ausgeblendet habe. Die Zeugin habe über weite Strecken ihres Lebens in den Jahren 2008 bis 2010 über keinen feststehenden Tagesrhythmus mehr verfügt. Das ist bei dem besonders weiten Tatzeitraum allzu pauschal.

7

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Taten 1 und 2 in der Anklageschrift auf den Zeitraum Januar oder Februar 2009 und die Tat 3 auf Juli oder August 2009 datiert wurden. Es wird nicht dargelegt und erörtert, warum die Zeugin, auf deren (früheren) Angaben die Anklageschrift ausschließlich basieren kann, die Einordnung der Tatzeiten nunmehr auf den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 1. August 2010 abänderte.

8

b) Einer näheren Darstellung und Erörterung hätten zudem bereits die Umstände bedurft, die zur Anzeigeerstattung geführt haben, um etwaige Falschbelastungsmotive seitens der Zeugin M. beurteilen zu können. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass M. den Angeklagten Anfang August 2010 endgültig verlassen, ihn aber nicht angezeigt habe, weil sie auch ihre eigene Strafverfolgung wegen ihres Drogenkonsums befürchtet habe. Nachdem sie ihren neuen Freund R. kennengelernt habe, habe sie die Vorfälle vergessen und die Sache auf sich beruhen lassen wollen. Erst als R. am 21. Dezember 2010 vom Angeklagten in einem Internet-Café mit einem Billard-Queue angegriffen worden sei und R. - ihr davon berichtet habe, habe sie sich aus einem "Schutzbedürfnis" diesem gegenüber zur Strafanzeige entschlossen.

9

Das Landgericht teilt Einzelheiten des Vorfalls vom 21. Dezember 2010 nicht mit. Es bleibt unklar, was im Einzelnen geschehen ist und wie es zur Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und R. gekommen ist. Ob der Angeklagte und, wenn ja, wie er sich hierzu eingelassen hat, bleibt unerörtert. Auch etwaige Gesprächsinhalte zwischen R. und M. werden nicht dargestellt. Die Aussage R. s wird nicht ansatzweise dargelegt; es wird lediglich festgestellt, dass für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten spreche, dass deren Aussage mit den "glaubhaften Angaben" von R. "korrespondiere".

10

c) Auch die Beweiswürdigung zu Tat 1 begegnet durchgreifenden Bedenken. Zwar liegt insoweit eine "Aussage gegen Aussage"-Konstellation nicht vor, weil die Misshandlung der Geschädigten M. teilweise in Gegenwart des Zeugen W. stattgefunden hat. Welchen Geschehensablauf dieser Zeuge aber selbst wahrgenommen hat - ein großer Teil der Misshandlungen hat nach den Feststellungen in einem verschlossenen Nebenzimmer stattgefunden - teilt das Landgericht nicht mit. Es kann damit nicht beurteilt werden, weswegen die Aussage der Geschädigten mit der des Zeugen W. "korrespondiert".

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