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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.02.2013, Az.: RiZ 3/12
Vorliegen einer Maßnahme der Dienstaufsicht gem. § 26 Abs. 3 DRiG durch Zugriff des Präsidenten des BGH auf die dienstlichen Erklärungen eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit i.R.d. richterlichen Unabhängigkeit
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 14.02.2013
Referenz: JurionRS 2013, 34787
Aktenzeichen: RiZ 3/12
ECLI: [keine Angabe]

Fundstelle:

NJW-RR 2013, 1215-1216

Verfahrensgegenstand:

Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht

BGH, 14.02.2013 - RiZ 3/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Ein Antrag ist ohne Vorverfahren zulässig, wenn sich die oberste Dienstbehörde im Prüfungsverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG sachlich auf den Antrag eingelassen und seine Zurückweisung als unbegründet beantragt hat.

  2. 2.

    Ein Prüfungsantrag ist nur dann zulässig, wenn eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG vorliegt und nachvollziehbar dargelegt ist, dass diese Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt.

  3. 3.

    Eine Maßnahme der Dienstaufsicht muss sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen Verhalten eines oder mehrerer Richter befassen oder geeignet sein, sich auf das künftige Verhalten dieser Richter in bestimmter Richtung auszuwirken. Wegen dieser erforderlichen Zielsetzung sind etwa bloße Meinungsäußerungen einer dienstaufsichtführenden Stelle zu einer Rechtsfrage nicht als "Maßnahme der Dienstaufsicht" im Sinn von § 26 Abs. 3 DRiG anzusehen.

  4. 4.

    Die Einsichtnahme in die dienstlichen Erklärungen eines Richters am BGH durch den Präsidenten des BGH ist weder als Stellungnahme zu einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten des Richters anzusehen noch ist sie geeignet, auf die künftige Tätigkeit des Richters Einfluss zu nehmen. Als dienstaufsichtliche Maßnahme kommt die Einsichtnahme nur in Frage, wenn sie als Vorbereitungsmaßnahme für dienstaufsichtliche Maßnahmen zu verstehen wäre, um damit mittelbar das weitere Verhalten des Richters zu steuern. Die Einordnung eines Geschehens als Vorbereitungsmaßnahme für dienstaufsichtliche Maßnahmen kann sich zum einen daraus ergeben, dass eine Maßnahme ausdrücklich als Ermittlungsmaßnahme im Rahmen der Dienstaufsicht gekennzeichnet ist; die Einordnung kann sich aber auch aus der den Umständen zu entnehmenden objektiven Bedeutung ergeben. Die Befürchtung eines Richters, ein Vorfall diene der Vorbereitung dienstaufsichtlicher Maßnahmen, die in den Umständen bei objektiver Betrachtung keinen hinreichenden Anhaltspunkt findet, genügt dagegen nicht, um aus einem Geschehen eine Vorbereitungsmaßnahme zu machen.

Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Bergmann, die Richterin am Bundesgerichtshof Safari Chabestari, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher und Pamp sowie die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Der Antragsteller ist Richter am Bundesgerichtshof und dem 2. Strafsenat zugewiesen. Die Stelle des Vorsitzenden war seit 1. Februar 2011 vakant. Im Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs für 2012 wurde dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. E. neben dem Vorsitz im 4. Strafsenat auch der Vorsitz im 2. Strafsenat übertragen. Mit Beschluss vom 11. Januar 2012 setzte der 2. Strafsenat in dem Verfahren 2 StR 346/11 die Hauptverhandlung aus, weil der Senat in der Person des Vorsitzenden falsch besetzt sei; ein Vorsitzender Richter könne nicht gleichzeitig zwei voll ausgelastete Strafsenate des Bundesgerichtshofs leiten. In anderer Besetzung entschied der 2. Strafsenat am selben Tag in der Sache 2 StR 482/11, er sei vorschriftsmäßig besetzt.

2

Am 18. Januar 2012 beschloss das Präsidium des Bundesgerichtshofs, die Geschäftsverteilung für den 2. Strafsenat nicht zu ändern. Am 8. Februar 2012 entschied der 2. Strafsenat das Verfahren 2 StR 346/11 in der Sache. Da das Präsidium der Rechtsprechung des Senats zur Besetzung nicht gefolgt sei, wolle er der Sache Fortgang geben, weil den Verfahrensbeteiligten anders nicht zu einer zeitnahen Entscheidung zu verhelfen sei.

3

Ab Ende Februar 2012 wurden in mehreren Verfahren Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit gegen Richter des 2. Strafsenats gestellt, die sich darauf stützten, dass der Senat am 8. Februar 2012 seine Meinung geändert habe. Grund sei vermutlich eine Anhörung von Mitgliedern des 2. Strafsenats am 18. Januar 2012 gewesen, in der auf Richter, die der Rechtsansicht des Präsidiums nicht folgen wollten, entsprechender Druck ausgeübt worden sei. Davon seien auch die nicht angehörten Richter betroffen, so dass die Richter nicht mehr die Gewähr unbeeinflusster und unabhängiger Entscheidungsfindung böten. Die abgelehnten Richter wurden von dem Vorsitzenden der jeweils zur Entscheidung berufenen Sitzgruppe aufgefordert, dienstliche Erklärungen abzugeben. Der Antragsteller gab in den Verfahren 2 StR 620/11, 622/11 und 25/12 am 28. März 2012 dienstliche Stellungnahmen ab und leitete sie dem Vorsitzenden der zuständigen Sitzgruppe zu.

4

Der Präsident des Bundesgerichtshofs fragte den Vorsitzenden der für das Verfahren 2 StR 25/12 zuständigen Sitzgruppe, ob er Bedenken habe, dass der Präsident Einsicht in die dienstlichen Erklärungen nehme, nach der Darstellung der Antragsgegnerin auch in die Ablehnungsgesuche. Dieser habe so die Antragsgegnerin erklärt, er habe keine Bedenken und es sei Sache des Präsidenten, über die Einsichtnahme zu entscheiden.

5

Am 10. April 2012 überbrachte die Geschäftsstellenbeamtin der Präsidialrichterin des Bundesgerichtshofs auf deren im Auftrag des Präsidenten des Bundesgerichtshofs geäußerte telefonische Bitte zusammen mit dem Senatsheft 2 StR 25/12 sechs dienstliche Erklärungen, die die Präsidialrichterin an den Präsidenten des Bundesgerichtshofs weitergab.

6

Der Antragsteller trägt vor, der Zugriff des Präsidenten des Bundesgerichtshofs auf seine dienstliche Erklärung sei eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinn von § 26 Abs. 3 DRiG gewesen und habe unzulässig in den Bereich seiner richterlichen Unabhängigkeit eingegriffen. Die Abgabe dienstlicher Erklärungen gehöre zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit. Ein Zugriff des Dienstvorgesetzten auf eine solche Erklärung mit dem erklärten Zweck, zu sehen, was darin stehe, um dem gegebenenfalls in der Presse entgegenzutreten, greife unzulässig in den Kernbereich richterlicher Tätigkeit ein. Ein unzulässiger Eingriff liege nicht erst vor, wenn der Dienstvorgesetzte den Inhalt dienstlicher Erklärungen zum Gegenstand von Vorhaltungen mache oder in sonstiger Weise auf Abgabe oder Inhalt der Erklärung und damit auf die richterliche Tätigkeit Einfluss zu nehmen versuche. Entscheidend sei, dass es um jeweils richterliche Handlungen gehe, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, unmittelbar im Zusammenhang stünden. Daher sei schon der Zugriff auf die Erklärung im laufenden Verfahren unzulässig gewesen. Es gebe keinen legitimen Anlass, der einen solchen Zugriff rechtfertigen könnte. Die Maßnahme sei auch nicht durch eine möglicherweise vom Vorsitzenden der für die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch zuständigen Sitzgruppe erklärte Zustimmung gerechtfertigt. Ein Zugriffsrecht habe sich des Weiteren nicht aus einem allgemeinen Kontroll- und Beobachtungsrecht ergeben.

7

Die Maßnahme habe in den geschützten Bereich der richterlichen Unabhängigkeit eingegriffen. Die Aktivitäten des Präsidenten seien darauf gerichtet gewesen, ihm Vorhalte im Hinblick auf vergangene und gegebenenfalls künftige Rechtsprechung zu machen, Auskünfte über zukünftiges richterliches Entscheidungsverhalten zu erlangen und ihn zu veranlassen, gegebenenfalls Rechtsansichten, die denen des Dienstvorgesetzten widersprachen, aufzugeben. Der Inhalt seiner dienstlichen Erklärung habe in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Aktivitäten gestanden. Sie sei angefordert und zur Kenntnis genommen worden, um Maßnahmen zu prüfen und durchzuführen, falls der Inhalt dem Dienstvorgesetzten missfallen hätte. Es bestünden aus objektiver Sicht keine Zweifel daran, dass der Zugriff im unmittelbaren Zusammenhang mit laufenden, ihn betreffenden dienstaufsichtlichen Verfahren (dienstliche Beurteilungen; rechtshängige verwaltungsgerichtliche Verfahren) gestanden habe und objektiv geeignet gewesen sei, auf sein Entscheidungsverhalten Einfluss zu nehmen. Der Zugriff habe dies auch subjektiv bezweckt.

8

Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass die Anordnung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs vom 10. April 2012 an die Geschäftsstelle des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, ihm die dienstlichen Erklärungen vorzulegen, die der Antragsteller als abgelehnter Richter gemäß § 26 Abs. 3 StPO in den Verfahren 2 StR 25/12, 2 StR 620/11, 2 StR 622/11 abgegeben hatte, sowie die Einsichtnahme in diese Erklärungen rechtswidrig in den Bereich seiner richterlichen Unabhängigkeit eingegriffen haben und daher unzulässig waren.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

10

Sie trägt vor, der Präsident des Bundesgerichtshofs habe erfahren, dass in einzelnen Verfahren Ablehnungsgesuche gegen Richter des 2. Strafsenats eingegangen seien, die sich auf das Verhalten von Mitgliedern des 2. Strafsenats nach dem Aussetzungsbeschluss vom 11. Januar 2012 bezogen. Er habe erwartet, dass der Gang des Ablehnungsverfahrens in die Öffentlichkeit getragen würde, wie zuvor schon die unterschiedlichen Rechtsauffassungen über die ordnungsgemäße Besetzung des 2. Strafsenats. Außerdem habe er erwartet, dass er von Mitgliedern des Präsidiums nach dem Inhalt der Ablehnungsgesuche und dem Verfahrensstand gefragt werden würde. Über den Inhalt der Ablehnungsgesuche und der dienstlichen Erklärungen habe er keine Vorstellungen gehabt. Er habe daher auch nicht die Absicht gehabt, durch eine öffentliche Erklärung oder durch Erklärungen gegenüber den abgelehnten Richtern dem Inhalt der dienstlichen Erklärungen entgegenzutreten, sondern habe lediglich auf Presseberichte vorbereitet sein wollen.

11

Er habe, obwohl er es rechtlich nicht für erforderlich gehalten habe, den Vorsitzenden der Sitzgruppe gefragt, ob er Bedenken habe, dass der Präsident Einsicht in die Ablehnungsgesuche und die dienstlichen Erklärungen nehme. Dieser habe erklärt, er habe keine Bedenken und es sei Sache des Präsidenten, über die Einsichtnahme zu entscheiden. Nach Einsichtnahme habe er dem Präsidium am 11. April 2012 mitgeteilt, er lasse prüfen, ob er berechtigt sei, die dienstlichen Erklärungen an die Präsidiumsmitglieder zu verteilen. Davon habe er nach der Prüfung abgesehen.

12

Weder die Anforderung noch die Einsichtnahme in das Senatsheft mit den dienstlichen Erklärungen seien Maßnahmen der Dienstaufsicht. Die Handlungen hätten allein der Unterrichtung über einen Vorgang gedient, der möglicherweise Gegenstand von Presseberichten sein würde und die Aufgaben des Präsidiums berühre, dessen Beratungen der Präsident vorzubereiten habe. Der Anforderung und Einsichtnahme wohne keinerlei Weisungsgehalt inne. Den Verfahrensbeteiligten seien die dienstlichen Erklärungen ohnehin bekannt zu machen gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

14

I. Der Antrag ist nicht schon unzulässig, weil das nach § 66 Abs. 2, § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e DRiG erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt ist. Ein Antrag ist ohne Vorverfahren zulässig, wenn sich die oberste Dienstbehörde im Prüfungsverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG sachlich auf den Antrag eingelassen und seine Zurückweisung als unbegründet beantragt hat (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1982 RiZ(R) 6/81, BGHZ 85, 145, 148 f.; Urteil vom 27. Januar 1995 RiZ(R) 3/94, [...]; Urteil vom 10. August 2001 RiZ(R) 5/00, NJW 2002, 359 [BGH 10.08.2001 - Ri Z(R) 5/00]; Urteil vom 3. November 2004 RiZ(R) 2/03, NJW 2005, 905). Die Antragsgegnerin hat die Ablehnung des Prüfungsantrags beantragt.

15

II. Eine Maßnahme der Dienstaufsicht liegt in dem Zugriff des Präsidenten auf die dienstlichen Erklärungen des Antragstellers nicht, so dass der Antrag unzulässig ist.

16

1. Ein Prüfungsantrag ist nur dann zulässig, wenn eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2007 RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 24) und nachvollziehbar dargelegt ist, dass diese Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 RiZ(R) 1/10 Rn. 22, [...]; Urteil vom 3. November 2004 RiZ(R) 2/03, NJW 2005, 905 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes genügt dazu die schlichte nachvollziehbare Behauptung einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 RiZ(R) 1/09 Rn. 44, [...]; Urteil vom 24. November 1994 RiZ(R) 4/94, NJW 1995, 731, 732 mwN). Die Frage, ob die beanstandeten Maßnahmen die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, ist eine Frage der Begründetheit des Prüfungsantrags.

17

Das Dienstgericht des Bundes hat den Begriff "Maßnahme der Dienstaufsicht" entsprechend dem auf einen umfassenden Rechtsschutz der richterlichen Unabhängigkeit gerichteten Zweck des § 26 Abs. 3 DRiG seit jeher weit ausgelegt. Es genügt bereits eine Einflussnahme, die sich lediglich mittelbar auf die rechtsprechende Tätigkeit des Richters auswirkt oder darauf abzielt. Erforderlich ist jedoch, dass sich das Verhalten einer dienstaufsichtführenden Stelle bei objektiver Betrachtung gegen einen bestimmten Richter oder eine bestimmte Gruppe von Richtern wendet, es also zu einem konkreten Konfliktfall zwischen der Justizverwaltung und dem Richter oder bestimmten Richtern gekommen ist bzw. ein konkreter Bezug zur Tätigkeit eines Richters besteht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. März 2002 RiZ(R) 1/01, NJW-RR 2002, 929, 931; Urteil vom 15. November 2007 RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 25 mwN; Urteil vom 6. Oktober 2011 RiZ(R) 7/10, DRiZ 2012, 169 Rn. 23). Eine Maßnahme der Dienstaufsicht muss sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen Verhalten eines oder mehrerer Richter befassen oder geeignet sein, sich auf das künftige Verhalten dieser Richter in bestimmter Richtung auszuwirken. Wegen dieser erforderlichen Zielsetzung sind etwa bloße Meinungsäußerungen einer dienstaufsichtführenden Stelle zu einer Rechtsfrage nicht als "Maßnahme der Dienstaufsicht" im Sinn von § 26 Abs. 3 DRiG anzusehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. November 1973 RiZ(R) 1/73, BGHZ 61, 374, 378 f.; Urteil vom 12. November 1973 RiZ(R) 3/73, DRiZ 1974, 99, 100; Urteil vom 5. Februar 1980 RiZ(R) 1/79, DRiZ 1980, 229, 230; Urteil vom 26. Juni 1984 RiZ(R) 2/84, NJW 1984, 2471, 2472; Urteil vom 15. November 2007 RiZ(R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 25).

18

2. Die Einsichtnahme in die dienstlichen Erklärungen des Antragstellers ist weder als Stellungnahme zu einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten des Antragstellers anzusehen noch ist sie geeignet, auf seine künftige Tätigkeit Einfluss zu nehmen.

19

a) In der Beschaffung der dienstlichen Erklärungen und in der Einsichtnahme in diese liegt keine Stellungnahme zu einem Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit. Sie enthält keine Wertung und ist daher ein insoweit neutraler Vorgang. Zwar wurde in einer außerordentlichen Dienstprüfung ohne Wissen des betroffenen Richters eine Maßnahme der Dienstaufsicht gesehen, weil diese als Ausdruck des Misstrauens empfunden werden könne (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1982 RiZ(R) 6/81, BGHZ 85, 145, 156). Einer Dienstprüfung steht die Einsichtnahme in die dienstlichen Erklärungen im vorliegenden Fall aber nicht gleich, weil sie nicht einer Überprüfung der ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte (§ 26 Abs. 2 DRiG) diente.

20

Die Einsichtnahme wird auch nicht dadurch zu einer Stellungnahme zum Verhalten des Antragstellers, weil der Präsident des Bundesgerichtshofs sich dadurch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin auf eventuelle Presseanfragen vorbereiten wollte. Eine Stellungnahme zum Verhalten eines Richters kann zwar auch in einer Erklärung gegenüber der Presse liegen (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 RiZ(R) 4/09 Rn. 30, [...]). Ob eine Pressemitteilung eine wertende Stellungnahme enthält, hängt aber von ihrem Inhalt ab. Die Informationsbeschaffung für eine eventuelle Presseerklärung ist noch nicht die Stellungnahme selbst und kein Ausdruck einer Missbilligung.

21

b) Die Einsichtnahme ist nicht geeignet, sich auf die künftige Tätigkeit des Antragstellers unmittelbar oder mittelbar auszuwirken.

22

aa) Beschaffung und Einsichtnahme allein haben, auch wenn sie dem Antragsteller bekannt werden, keinen Bezug zur künftigen Tätigkeit des Antragstellers und können sie nicht unmittelbar beeinflussen. Zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch war der Antragsteller nicht berufen. Auch wenn der Antragsteller in der Zukunft weitere dienstliche Erklärungen zu den Vorgängen, die zum Gegenstand der Befangenheitsgesuche gemacht worden waren, abgeben muss, wird deren Inhalt nicht schon dadurch beeinflusst, dass der Präsident die abgegebenen dienstlichen Erklärungen kennt. Abgesehen davon war damit zu rechnen, dass die dienstlichen Erklärungen in diesen Verfahren nach der Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten früher oder später an die Öffentlichkeit gelangen und damit auch dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs bekannt würden.

23

Anhaltspunkte dafür, dass der Präsident unabhängig von diesen Vorfällen in dienstliche Erklärungen des Antragstellers Einsicht nehmen würde, bestehen nicht. Aus diesem Grund scheidet es auch aus, die Einsichtnahme unter dem Gesichtspunkt als Maßnahme der Dienstaufsicht anzusehen, dass sie zu dem Gefühl einer heimlichen Überwachung durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs und insoweit zu einer Einflussnahme auf die Rechtsprechung führen könnte.

24

bb) Als dienstaufsichtliche Maßnahme kommt die Einsichtnahme daher nur in Frage, wenn sie als Vorbereitungsmaßnahme für dienstaufsichtliche Maßnahmen zu verstehen wäre, um damit mittelbar das weitere Verhalten des Antragstellers zu steuern. Die Einordnung eines Geschehens als Vorbereitungsmaßnahme für dienstaufsichtliche Maßnahmen kann sich zum einen daraus ergeben, dass eine Maßnahme ausdrücklich als Ermittlungsmaßnahme im Rahmen der Dienstaufsicht gekennzeichnet ist; die Einordnung kann sich aber auch aus der den Umständen zu entnehmenden objektiven Bedeutung ergeben. Die Befürchtung eines Richters, ein Vorfall diene der Vorbereitung dienstaufsichtlicher Maßnahmen, die in den Umständen bei objektiver Betrachtung keinen hinreichenden Anhaltspunkt findet, genügt dagegen nicht, um aus einem Geschehen eine Vorbereitungsmaßnahme zu machen.

25

(1) Im Streitfall hat der Präsident des Bundesgerichtshofs die Einsichtnahme nicht als Ermittlungsmaßnahme im Rahmen der Dienstaufsicht bezeichnet. Der Antragsteller hat nicht behauptet, dass der Präsident des Bundesgerichtshofs die Einsichtnahme ausdrücklich als Ermittlungsmaßnahme bezeichnet habe. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, der Präsident des Bundesgerichtshofs habe lediglich auf Presseanfragen und auf Nachfragen der Präsidiumsmitglieder vorbereitet sein wollen.

26

(2) Aus den Umständen ergibt sich nicht, dass die Einsichtnahme dienstaufsichtliche Maßnahmen vorbereiten sollte. Der Antragsteller behauptet zwar auch, dass der Zugriff des Präsidenten des Bundesgerichtshofs darauf gerichtet gewesen sei, ihm Vorhalte im Hinblick auf vergangene und gegebenenfalls künftige Rechtsprechung zu machen, Auskünfte über zukünftiges richterliches Entscheidungsverhalten zu erlangen und ihn zu veranlassen, gegebenenfalls Rechtsansichten, die denen des Dienstvorgesetzten widersprachen, aufzugeben. Unter dem Blickwinkel eines objektiven Maßstabes gibt es aber auch unter Berücksichtigung der Vorgeschichte keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass die Kenntnisnahme vom Inhalt der dienstlichen Erklärungen Vorhaltungen ermöglichen sollte, als Vorstufe für ein Auskunftsverlangen an den Richter über sein zukünftiges Entscheidungsverhalten dienen oder bezwecken sollte, den Richter zur Aufgabe von Rechtsansichten zu veranlassen. Nach der Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten war zu erwarten, dass der Inhalt der dienstlichen Erklärungen öffentlich bekannt würde. Wäre es dem Präsidenten um die Prüfung oder Vorbereitung von Vorhalten o.ä. gegangen, hätte er das öffentliche Bekanntwerden abwarten und sich die dienstlichen Erklärungen danach beschaffen können. Gegen die Vorbereitung von Maßnahmen, gerade den Antragsteller zur Aufgabe von Rechtsansichten zu bewegen oder um ihm Vorhaltungen zu machen, spricht auch, dass sich der Präsident das Senatsheft mit allen in dem Verfahren abgegebenen dienstlichen Erklärungen vorlegen ließ.

27

Auch soweit der Antragsteller darauf verweist, dass der Präsident des Bundesgerichtshofs zum Zeitpunkt des Zugriffs mit der Abfassung einer dienstlichen Beurteilung über den Antragsteller befasst war und dort auf das Verhalten des Antragstellers im Hinblick auf die Bemühungen des Präsidiums in dieser Angelegenheit ausdrücklich abwertend hingewiesen habe, lässt das nicht den Schluss zu, dass der Zugriff auf die dienstlichen Erklärungen zur Abfassung einer derartigen Beurteilung erfolgte. Wie der Antragsteller selbst vorträgt, war seine Auffassung dem Präsidenten bereits bekannt. Dass die dienstlichen Erklärungen in einer nachfolgenden Beurteilung erwähnt sind, hat der Antragsteller nicht behauptet.

28

Dass der Antragsteller unter Berufung auf die Einsichtnahme durch den Präsidenten in einem späteren Ablehnungsverfahren die Abgabe einer dienstlichen Erklärung verweigert hat, beruht auf seinem eigenen Entschluss und macht die Einsichtnahme nicht von vorneherein geeignet, sich auf seine Tätigkeit auszuwirken.

29

Ob der Präsident des Bundesgerichtshofs wie der Antragsteller in Frage stellt befugt war, auf die dienstlichen Erklärungen zuzugreifen, hat das Dienstgericht nicht zu entscheiden. Selbst wenn der Zugriff auf die Erklärungen für die Vorbereitung auf Presseanfragen oder Fragen des Präsidiums nicht notwendig und der Präsident dazu nicht befugt gewesen sein sollte, folgte daraus noch nicht, dass es sich um eine Vorbereitungsmaßnahme für künftige beeinträchtigende Maßnahmen der Dienstaufsicht im Sinn des § 26 Abs. 3 DRiG handelte.

30

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 1 DRiG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert wird auf 5.000 ? festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

Bergmann

Safari Chabestari

Drescher

Pamp

Menges

Von Rechts wegen

Verkündet am: 14. Februar 2013

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