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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 13.11.2012, Az.: XI ZR 161/12
Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 13.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 29092
Aktenzeichen: XI ZR 161/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Frankfurt am Main - 17.06.2011 - AZ: 2-21 O 574/09

OLG Frankfurt am Main - 06.03.2012 - AZ: 8 U 150/11

Rechtsgrundlage:

Art. 103 Abs. 1 GG

BGH, 13.11.2012 - XI ZR 161/12

Redaktioneller Leitsatz:

Das rechtliche Gehör der klagenden Partei ist verletzt, wenn das Berufungsgericht die Aktivlegitimation verneint, obwohl diese erstinstanzlich angenommen und von der Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht angegriffen worden ist.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richter Dr. Grüneberg, Maihold und Pamp sowie die Richterin Dr. Menges

am 13. November 2012

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 23. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 79.610 €

Gründe

I.

1

Die Kläger verlangen von der Beklagten aus eigenem Recht, die Kläger zu 1) bis 6) daneben auch als ungeteilte Erbengemeinschaft nach der verstorbenen Ehefrau des Klägers zu 1) sowie die Klägerin zu 8) im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Zahlung von Zinsen für das Jahr 2005 in Höhe von insgesamt 79.610,07 € aus mehreren von der Beklagten begebenen Staatsanleihen.

2

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von insgesamt 75.698,68 € gegen Aushändigung der einzelnen Zinsscheine bzw. Mitteilung der Zahlung an die jeweilige Depotbank zwecks Ausbuchung der Zinsforderungen stattgegeben und sie lediglich zu Lasten der Klägerin zu 5) in Höhe von 1.322,97 € (mangels Vorlage einer zeitnahen Depotbescheinigung für die Anleihe I. = W. 1 ) und zum Nachteil der Klägerin zu 8) in Höhe von 2.588,45 € (mangels Nachweises des behaupteten Zinssatzes von 5,0625% p.a. für die variabel verzinsliche Anleihe W. 4 ) abgewiesen. Soweit die Klage Erfolg gehabt hat, hat das Landgericht angenommen, dass die Aktivlegitimation durch die im letzten Verhandlungstermin vorgelegten Depotauszüge ausreichend belegt worden sei. Einzelne Unstimmigkeiten bei dem Vornamen der Klägerin zu 2) ( ) und bei den Anschriften seien unschädlich.

3

Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerinnen zu 5) und 8) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es die Klage insgesamt abgewiesen. Dies hat das Berufungsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:

4

Die Klage sei unbegründet, weil die Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung keine zeitnahen Depotbescheinigungen zum Nachweis ihrer Aktivlegitimation vorgelegt hätten. Eine solche Nachweispflicht sei den Klägern bekannt gewesen. Sie selbst hätten bereits in der Klageschrift die Vorlage von zeitnahen Depotbescheinigungen in der mündlichen Verhandlung angekündigt und solche auch unmittelbar vor dem Verhandlungstermin vor dem Landgericht eingereicht. Die Beklagte habe von Anfang an wie auch - berechtigterweise - im Berufungsrechtszug die Aktivlegitimation bestritten, so dass die Kläger Anlass gehabt hätten, ihre Aktivlegitimation auch vor dem Berufungsgericht durch einen aktuellen Depotauszug zu belegen. Trotz eines entsprechenden Hinweises in der mündlichen Verhandlung habe der Klägervertreter nicht von einer Antragstellung abgesehen oder Schriftsatznachlass beantragt.

5

Dagegen habe zwar die Klägerin zu 5) ihre Inhaberschaft an der Anleihe I. (= W. 1 ) durch einen zeitnahen Depotauszug nachgewiesen; dieser beziehe sich aber nicht auf die Zinsscheine für das Jahr 2005.

6

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

7

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515 Rn. 6 [BGH 09.02.2010 - XI ZR 140/09]). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

8

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131 [BVerfG 23.06.1999 - 2 BvR 762/98]). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt außerdem voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Es kommt deshalb im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG 84, 188, 190; 86, 133, 144; 98, 218, 263).

9

2. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das Berufungsgericht hat erstmals in der letzten mündlichen Verhandlung am 24. Januar 2012 die Kläger darauf hingewiesen, dass sie die Inhaberschaft der Inhaberteilschuldverschreibungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nachzuweisen haben. Hierbei hat sich das Berufungsgericht - entgegen seiner Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in dem Berufungsurteil - nicht damit auseinandergesetzt, dass das Landgericht die Aktivlegitimation der Kläger - mit Ausnahme derjenigen der Klägerin zu 5) für einen Teilbetrag in Höhe von 1.322,97 € - angenommen und daher den Nachweis der Kläger für ihre Anspruchsberechtigung als geführt angesehen hat. Die Beklagte hat dies in der Berufungsbegründung nur noch unter Hinweis auf die - vom Landgericht rechtsfehlerfrei als unschädlich angesehenen - Unstimmigkeiten bei dem Vornamen der Klägerin zu 2) und einigen Adressen bestritten. Mit der Ladungsverfügung vom 22. November 2011 hat das Berufungsgericht lediglich Bedenken gegen den vollstreckungsfähigen Inhalt des landgerichtlichen Urteilstenors geäußert und um Mitteilung gebeten, ob die zwischen den Klägern zu 1) bis 6) bestehende Erbengemeinschaft noch ungeteilt ist. Aufgrund dessen bestand für die Kläger bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht kein Anlass, ihren Vortrag zu ihrer Aktivlegitimation zu ergänzen und gegebenenfalls durch die erneute Vorlage aktueller Depotbescheinigungen unter Beweis zu stellen. Mit den von dem Berufungsgericht insoweit erhobenen Bedenken mussten die Kläger nach dem bisherigen Prozessverlauf ohne vorherigen Hinweis nicht rechnen. Vielmehr hätte das Berufungsgericht - sofern das Bestreiten der Aktivlegitimation der Kläger durch die Beklagte überhaupt als erheblich anzusehen sein sollte - den Klägern in geeigneter Weise die Möglichkeit geben müssen, aktuelle Depotbescheinigungen beizubringen. Dies gilt auch in Bezug auf die von der Klägerin zu 5) vorgelegte Depotbescheinigung, soweit das Berufungsgericht diese als zum Nachweis der Inhaberschaft des Zinsanspruchs nicht ausreichend angesehen hat.

10

3. Die Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht ist auch entscheidungserheblich. Die Kläger haben die übrigen Anspruchsvoraussetzungen schlüssig dargelegt.

Wiechers

Grüneberg

Maihold

Pamp

Menges

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