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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.05.2011, Az.: V ZB 88/10
Das Fehlen des für die Zurückschiebung eines Ausländers erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht zur Unzulässigkeit der Haft
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.05.2011
Referenz: JurionRS 2011, 16329
Aktenzeichen: V ZB 88/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Osnabrück - 16.03.2010 - AZ: 11 T 69/10

BGH, 12.05.2011 - V ZB 88/10

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 12. Mai 2011
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger,
die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
die Richterin Dr. Stresemann und
den Richter Dr. Czub
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 16. März 2010 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 15. Dezember 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Die zweckentsprechenden außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am 14. Dezember 2009 aus den Niederlanden kommend in einem schwedischen PKW in das Bundesgebiet ein. Er wies sich bei einer Kontrolle mit einem maltesischen Fremdenpass aus, der auf einen Aliasnamen ausgestellt und mit einem Lichtbild versehen war, das nicht dem Abbild des Betroffenen entsprach. Der Betroffene gab an, er sei auf der Durchreise nach Schweden und wolle dort einen Asylantrag stellen sowie eine Schule besuchen. Zu seinen Geburtsdaten machte er nach seiner Festnahme unterschiedliche Angaben. Ausweislich der Eurodac-Daten wird für den Betroffenen auf Malta ein Asylverfahren geführt.

2

Die Beteiligte zu 2 geht aufgrund eines fachärztlichen Kurzbefundes von der Volljährigkeit des Betroffenen aus. Auf ihren Antrag ordnete das Amtsgericht am 15. Dezember 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Malta für längstens 90 Tage an. Am 12. Januar 2010 stellte der Betroffene bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend BAMF) einen Asylantrag. Daraufhin wurde die für den 20. Januar 2010 geplante Zurückschiebung nicht durchgeführt. Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 26. Januar 2010 an, dass die Zurückschiebung nicht vor Ablauf von drei Werktagen nach förmlicher Zustellung der Zurückschiebungsverfügung erfolgen darf. Da die Beteiligte zu 2 nicht feststellen konnte, ob und ggf. wann das BAMF nach § 34a AsylVfG einen Bescheid erlassen hat, wurde auch die für den 27. Januar 2010 vorgesehene Zurückschiebung storniert und der Betroffene aus der Haft entlassen.

3

Die zuletzt auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er im Ergebnis die Feststellung erstrebt, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt habe.

II.

4

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe zu Recht die Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht. Der Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG stehe der Anwendung der Generalklausel nach Nr. 5 der Vorschrift nicht entgegen.

5

Die Minderjährigkeit des Betroffenen könne unterstellt werden; die Haftanordnung sei gleichwohl verhältnismäßig. Der Betroffene habe sich durch die Art und Weise der Einreise strafbar gemacht und eigenständig unter Einschaltung eines Schleusers seine bislang erfolgreiche Migration durchgeführt. Angesichts der dabei an den Tag gelegten kriminellen Energie seien mildere Maßnahmen, wie die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung und die Erteilung von Meldeauflagen, nicht ausreichend.

III.

6

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

1.

Die Rechtsbeschwerde ist - entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts - auch dann nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft, wenn sich - wie hier - die Hauptsache durch die Haftentlassung während des Beschwerdeverfahrens erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4).

8

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil schon kein zulässiger Haftantrag vorlag.

9

a)

Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch für die Zurückschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, [...] Rn. 7, 10 ff.). Die von der beteiligten Behörde an der Richtigkeit dieser Rechtsauffassung geäußerten Zweifel sind unbegründet.

10

b)

So ist es hier. In dem von der beteiligten Behörde am 15. Dezember 2009 gestellten Haftantrag heißt es auf Seite 2 u.a.: "Hier wurde der Person das Bestehen des Straftatverdachts einer unerlaubten Einreise nach § 95 AufenthG sowie des Ausweismissbrauchs gemäß § 281 StGB vorgeworfen und über seine Rechte belehrt." Weiter heißt es auf Seite 3 u.a.: "Da die Person in der verantwortlichen Vernehmung am 14.12.09 angab, dass sie am 18.1.1993 geboren sei, ...". Diesen Angaben ist zu entnehmen, dass der Betroffene als Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vernommen worden ist. Ob das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung vorlag, ist dem Antrag dagegen nicht zu entnehmen. Die Ausführungen der Beteiligten zu 2 in dem Schriftsatz vom 11. Februar 2011 zu einem von der Staatsanwaltschaft O. generell erteilten Einvernehmen sind deshalb unerheblich.

11

c)

Somit ist ohne weitere Sachaufklärung festzustellen, dass die Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

IV.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

13

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich nach § 30 Abs. 2, § 128c Abs. 2 KostO.

Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Stresemann
Czub

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