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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.04.2016, Az.: XI ZR 515/15
Zurückweisung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde; Gesteigerte Sorgfaltsanforderungen wegen eines angelaufenen Poststreiks; Störung des allgemeinen gerechtfertigten Vertrauens in eine fristgemäße Briefbeförderung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.04.2016
Referenz: JurionRS 2016, 14869
Aktenzeichen: XI ZR 515/15
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:120416BXIZR515.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Berlin - 11.09.2008 - AZ: 37 O 6/07

KG Berlin - 27.05.2015 - AZ: 26 U 221/08

BGH, 12.04.2016 - XI ZR 515/15

Redaktioneller Leitsatz:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, wenn nicht feststeht, dass die Partei ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gehindert war, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die Richter Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers zu 144) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 27. Mai 2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Wert: 76.887,73 €

Gründe

I.

1

Der Kläger zu 144) (im Folgenden: Antragsteller) hat mit Schriftsatz seines Prozessvertreters vom 27. Juli 2015, eingegangen an diesem Tag, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.

2

Das vom Antragsteller angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist dessen zweitinstanzlichem Prozessvertreter am 3. Juni 2015 zugestellt worden. Der Antragsteller macht unter Versicherung an Eides statt geltend, ein Benachrichtigungsschreiben seines Prozessvertreters vom 4. Juni 2015 habe ihn vermutlich wegen eines bundesweiten Poststreiks erst am 16. Juli 2015 erreicht. Er habe deswegen seinem Rechtsanwalt erst am 17. Juli 2015 den Auftrag erteilen können, die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu veranlassen.

3

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags verweist er weiter auf eine eidesstattliche Versicherung seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 20. Juli 2015. Danach sei am 23. Juni 2015 an den Antragsteller ein Erinnerungsschreiben versandt und am 29. Juni 2015 versucht worden, mit allen Mandanten, die sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Einlegung eines Rechtsmittels geäußert hatten, Kontakt per E-Mail oder Telefon aufzunehmen. Eine Internetrecherche zu der dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unbekannten Telefonnummer des Antragstellers habe allerdings "eine Mehrzahl von Dr. F. L. in H. " ergeben, die im Einzelnen "auf Verdacht abzutelefonieren" der zweitinstanzliche Prozessvertreter mit dem Anwaltsgeheimnis für unvereinbar gehalten habe. Erst am 17. Juli 2015 habe der Antragsteller persönlich in der Kanzlei angerufen und nach fernmündlicher Beratung die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags beauftragt.

II.

4

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen, weil nicht feststeht, dass der Kläger ohne Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, gehindert war, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen.

5

1. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass wegen des angelaufenen Poststreiks das im allgemeinen gerechtfertigte Vertrauen in eine fristgemäße Briefbeförderung gestört war und deswegen gesteigerte Sorgfaltsanforderungen bestanden (vgl. BVerfG NJW 1995, 1210, 1211 f. [BVerfG 29.12.1994 - 2 BvR 106/93]; BGH, Urteile vom 9. Dezember 1992 - VIII ZB 30/92, NJW 1993, 1332 und vom 25. Januar 1993 - II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334). Er war deswegen, wie er richtig erkannt hat, gehalten, sich rechtzeitig vor Ablauf der Beschwerdefrist bei dem Antragsteller auf anderem Wege zu erkundigen, ob dieser das Mitteilungsschreiben vom 4. Juni 2015 oder das Erinnerungsschreiben vom 23. Juni 2015 erhalten hat.

6

2. Der Antragsteller hat aber nicht nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht, dass eine telefonische Benachrichtigung am 29. Juni 2015 ohne ein Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unterblieben ist.

7

a) Dafür reichen pauschale Hinweise - wie hier auf eine nicht weiter spezifizierte "Internet-Recherche" - nicht aus (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW 2004, 2525, 2526). Dabei bleibt vorliegend etwa offen, welche Suchsoftware und welche Suchkriterien eingesetzt worden sind. Insbesondere lässt sich die Darstellung des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, die Suche habe eine "Mehrzahl von Dr. F. L. in H. " ergeben, bei Nutzung allgemein üblicher Suchmaschinen und Verwendung des vollen Namens sowie der vollen Adresse des Antragsstellers nicht nachvollziehen.

8

b) Jedenfalls ist nicht dargetan, dass der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte unverschuldet nicht in der Lage war, die Telefonnummer des Antragstellers anhand der dafür allgemein verfügbaren Telefonbücher und -verzeichnisse zu ermitteln. Weder trägt der Antragsteller vor noch ist sonst ersichtlich, dass es dessen zweitinstanzlichem Prozessbevollmächtigten nicht möglich war, etwa der Online-Ausgabe des örtlichen Telefonbuchs für H. die private Telefonnummer des Antragstellers zu entnehmen. Dabei besteht auch keine Verwechslungsgefahr, da der Anschlussinhaber in diesem Telefonverzeichnis mit vollem Namen und der - hier dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bekannten - Privatadresse genannt ist. Ebenso fehlt eine Darlegung, weshalb der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gehindert war, in dem weiteren, von der Deutsche Telekom Medien GmbH herausgegebenen, online abrufbaren Telefonverzeichnis "Das Telefonbuch" die Telefonnummer des Antragstellers unter dessen vollem Namen und korrekter Anschrift aufzufinden.

9

c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO kommt danach nicht in Betracht. Wäre der Antragsteller am 29. Juni 2015, als dessen zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter die Nachforschung nach dessen Telefonnummer aufgab, tatsächlich telefonisch erreicht worden, hätte er an diesem oder - wie später tatsächlich geschehen - am Folgetag den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels erteilen können.

Ellenberger

Maihold

Matthias

Derstadt

Dauber

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