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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.03.2013, Az.: XI ZR 331/11
Verletzung des rechtlichen Gehörs der beklagten Partei im Rahmen der Rückabwicklung einer Beteiligung wegen unterbliebener Aufklärung über die Höhe der Vertriebsprovision
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.03.2013
Referenz: JurionRS 2013, 33572
Aktenzeichen: XI ZR 331/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Frankfurt am Main - 22.10.2010 - AZ: 2-21 O 186/08

OLG Frankfurt am Main - 15.06.2011 - AZ: 19 U 261/10

BGH, 12.03.2013 - XI ZR 331/11

Redaktioneller Leitsatz:

Der Anspruchauf Gewährung rechtlichen Gehörs ist verletzt, wenn das Gericht im Rahmen der Rückabwicklung einer Kapitalanlage wegen unterbliebener Aufklärung über die Zahlung von Vertriebsprovisionen an die anlaggeberatende Bank dem Sachvortrag der beklagten Partei nicht nachgeht, dem anspruchstellenden Anleger sei es bei der Kapitalanlage allein darum gegangen, Steuern zu sparen.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2013 durch den Richter Dr. Joeres als Vorsitzenden und die Richter Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und Pamp

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beklagten, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandwert des Beschwerdeverfahrens der Beklagten beträgt 114.482,21 €.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die durch ihre Nichtzulassungsbeschwerde entstandenen Kosten.

Insoweit beträgt der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens für die Gerichtskosten 24.077,64 € und für die außergerichtlichen Kosten 138.559,85 € mit der Maßgabe, dass diese im Verhältnis zur Beklagten nur zu 17% anzusetzen sind (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2004 V ZR 343/02, NJW 2004, 1048 f.).

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes D. B. (im Folgenden: Zedent) auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 3 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 3) sowie der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.

2

Der Zedent zeichnete nach vorheriger Beratung durch den Mitarbeiter H. der Beklagten am 24. April 2003 eine Beteiligung an V 3 im Nennwert von 50.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 2.500 € sowie am 16. Juli 2004 eine Beteiligung an V 4 in Höhe von 60.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 3.000 €, wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 durch ein endfälliges Darlehen der bank finanziert wurde.

3

Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung (V 3) bzw. Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung (V 4) durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von über 8% der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Zedenten im Beratungsgespräch offen gelegt wurde.

4

Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des in V 3 eingesetzten Kapitals in Höhe von 52.500 € sowie des Eigenanteils in Höhe von 35.700 € an Beteiligungssumme und Agio von V 4, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, wenigstens in Höhe von 2% seit dem 24. April 2003 für V 3 bzw. seit dem 16. Juli 2004 für V 4, dies jeweils Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung, die Erstattung von 4.942,21 € an das Finanzamt gezahlter Zinsen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.151 €, jeweils nebst Zinsen. Ferner begehrt sie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligungen, die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz jeden Schadens, der dem Zedenten und der Klägerin im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen über die Klageforderung hinaus entstanden ist oder noch entstehen wird sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Betrages, der der Schuld des Zedenten aus dem aufgenommenen Darlehen entspricht.

5

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen, der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie verschiedener Feststellungsbegehren stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den seit der Zeichnung der Beteiligungen bis zum Verzugseintritt entgangenen Wiederanlagegewinn auf 2% p.a. geschätzt, jedoch die weitergehende Zinsforderung der Klägerin sowie den Antrag auf Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzverpflichtung abgewiesen. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten hat das Berufungsgericht der Klägerin nur teilweise zuerkannt und deren Berufung im Übrigen sowie die Berufung der Beklagten insgesamt zurückgewiesen.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung - soweit für die Beschwerde der Beklagten von Belang - im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten konkludent Beratungsverträge zustande gekommen seien, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Zedenten darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von über 8% des jeweiligen Zeichnungskapitals erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden. Für den Anleger streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, weshalb die Beklagte als über die Rückvergütungen Aufklärungspflichtige habe beweisen müssen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte.

II.

7

Die Revision der Beklagten ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

8

1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Zedenten über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Zedenten über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).

9

2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Zedent hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

10

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offen gelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

11

3. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.

12

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 [BVerfG 24.01.2012 - 1 BvR 1819/10] mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 146 [BVerfG 19.05.1992 - 1 BvR 986/91]; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131 [BVerfG 23.06.1999 - 2 BvR 762/98]; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2009 XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

13

b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

14

aa) Die Beklagte hat mit ihren Schriftsätzen vom 19. Februar 2010, vom 9. September 2010, vom 6. Oktober 2010 und vom 10. Januar 2011 vorgetragen, dass für den Zedenten bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe der Zedent dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Vor der Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligungen habe sich der Zedent bereits an dem geschlossenen Medienfonds A. beteiligt gehabt. Durch den ihm dort rechtzeitig ausgehändigten und von ihm auch zur Kenntnis genommenen Emissionsprospekt sei der Zedent darüber aufgeklärt worden, dass die Beklagte für den dortigen Vertrieb eine Provision in Höhe von 8,5% der Zeichnungssumme erhalten habe, was den Zedenten nicht von der Zeichnung dieses Fonds abgehalten habe. Auch habe der Zedent aufgrund seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer Wertpapierhandelsbank gewusst, dass im Bereich von Kapitalanlagen die Zahlung von Vertriebsprovisionen üblich sei, weshalb er davon ausgegangen sei, dass auch die Beklagte eine solche erhalte. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis des Zedenten sowie das ihres Mitarbeiters H. berufen.

15

bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Zedenten, sich an V 3 bzw. V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern im Hinblick auf das Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 22. April 2010 (III ZR 318/08, WM 2010, 1017 ff.) lediglich die Frage erörtert, ob diese Entscheidung einschlägig ist, wenn es - wie hier - nicht um die Rentabilität einer Kapitalanlage, sondern um einen Interessenkonflikt der beratenden Bank geht. Dass das Berufungsgericht demgegenüber den Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen hat, lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

16

4. Die unterlassene Vernehmung des Zedenten sowie des Anlageberaters als Zeugen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99 [BVerfG 24.07.1957 - 1 BvR 535/53]; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision der Beklagten, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO insoweit die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

17

5. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; Henning, WM 2012, 153 ff.).

III.

18

Hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und erfordert weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insoweit wird von einer näheren Begründung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

Joeres

Ellenberger

Maihold

Matthias

Pamp

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