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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 11.10.2012, Az.: V ZB 238/11
Gerichtliche Entscheidung über einen Antrag auf Haftanordnung bzw. Haftaufhebung bei Verbindung mit einem Antrag nach § 62 FamFG analog durch einen in Abschiebungshaft befindlichen Ausländer
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 11.10.2012
Referenz: JurionRS 2012, 28589
Aktenzeichen: V ZB 238/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stade - 27.09.2011 - AZ: 9 T 98/11

Fundstellen:

FGPrax 2013, 39-40

InfAuslR 2013, 114-115

JZ 2013, 100

BGH, 11.10.2012 - V ZB 238/11

Amtlicher Leitsatz:

FamFG §§ 58, 62, 426

Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden; die Feststellung nach § 62 FamFG wird mit der Aufhebung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht nicht entbehrlich.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke, Prof. Dr. Schmidt Räntsch, Dr. Czub und Dr. Kazele

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 27. September 2011 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Zeven vom 8. August 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Bremen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein senegalesischer Staatsbürger, hielt sich auf Grund einer ihm befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung eines Studiums in Deutschland auf. Im November 2009 wurde eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und der Betroffene unter Androhung seiner Abschiebung in den Senegal aufgefordert, das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2009 zu verlassen. Der Betroffene, der seitdem nicht auffindbar war, wurde im August 2011 bei einer Verkehrskontrolle festgenommen; anschließend ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) Abschiebungshaft gegen ihn an.

2

Der Betroffene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf Feststellung, durch ihn in seinen Rechten verletzt zu sein. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. September 2011 die Haftanordnung aufgehoben und die unverzügliche Entlassung des Betroffenen aus der Haft angeordnet, über den Feststellungsantrag jedoch nicht entschieden. Den danach von dem Betroffenen erneut gestellten Feststellungsantrag hat es mit Beschluss vom 27. September 2011 als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, der Feststellungsantrag sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da bereits in dem auf die Beschwerde ergangenen Beschluss ausgesprochen worden sei, dass die Abschiebungshaft wegen Fehlens des erforderlichen Einvernehmens der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen. Von daher verstehe es sich von selbst, dass der Betroffene durch den Beschluss des Amtsgerichts in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden sei. Die erstrebte Feststellung würde die Rechtsposition des Betroffenen nicht stärken, da die Entscheidung über die Beschwerde bereits die Feststellung enthalte, dass die Haftanordnung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Diese Feststellung sei auch in einem möglichen Amtshaftungsprozess bindend.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG i.V.m. mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 210, 150, 151 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Das Beschwerdegericht hat den Antrag des Betroffenen, analog § 62 FamFG die Rechtswidrigkeit des die Abschiebungshaft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts festzustellen, zu Unrecht als unzulässig verworfen.

6

a) Bei rechtswidrigen Freiheitsentziehungen ist ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der richterlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft anzuerkennen, das weder von dem Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 [BGH 14.10.2010 - V ZB 78/10] Rn. 12). Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 13 [BGH 14.10.2010 - V ZB 78/10] und vom 26. Mai 2011 - V ZB 318/10, Rn. 16, [...]), muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden.

7

Die Anträge verfolgen nicht dasselbe Rechtsschutzziel. Ziel einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder eines Antrags auf Haftaufhebung ist die Beseitigung der Freiheitsentziehung. Ziel des Feststellungsantrags ist die Rehabilitierung des Betroffenen in Bezug auf den mit der Haftanordnung verbundenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44, 45 Rn. 14). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei Freiheitsentziehungen (Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art 2 Abs. 2 Satz 2 GG) wird bei unrechtmäßigen Inhaftierungen nur entsprochen, wenn dem Rehabilitierungsinteresse umfassend Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 104, 202, 235 [BVerfG 22.11.2001 - 2 BvE 6/99]). Vor diesem Hintergrund ist auf einen Antrag des Betroffenen, die Verletzung seiner Rechte durch die Inhaftierung auch dann auszusprechen, wenn das Beschwerdegericht mit der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Haftanordnung die Freiheitsentziehung beendet.

8

b) Darüber hinaus sind die Ausführungen des Beschwerdegerichts zur Bindungswirkung seiner Entscheidung bei einer von dem Betroffenen geltend gemachten Haftentschädigung in der Sache nicht richtig.

9

An die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist das über eine Haftentschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK entscheidende Gericht nur insoweit gebunden, als es in jenem Verfahren davon ausgehen muss, dass die Haftanordnung in dem Beschwerdeverfahren aufgehoben wurde (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1988 - III ZR 221/86, BGHZ 103, 242, 245). Dass die Haft von Beginn an rechtswidrig war, steht dagegen nur dann fest, wenn das Beschwerdegericht auch dies gemäß § 62 FamFG im Tenor festgestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 - III ZR 183/05, NVwZ 2006, 960, 961 Rn. 7). An die Gründe eines die Haftanordnung aufhebenden Beschlusses ist das über eine Entschädigung befindende Gericht dagegen nicht gebunden, auch wenn es sich in der Regel daran orientieren wird (vgl. OLG Celle, InfAuslR 2009, 28). Da das aber nicht so sein muss und der Hinweis auf die Beschlussgründe deswegen mit Unsicherheiten behaftet ist, hat der Betroffene ein berechtigtes Interesse daran, dass die Rechtsverletzung durch das Beschwerdegericht in einer auch für andere Verfahren und Gerichtsbarkeiten bindenden Form festgestellt wird.

10

2. In der Sache ist der Feststellungsantrag begründet, da - wie in der Entscheidung über die Beschwerde ausgeführt - die Abschiebungshaft wegen des Fehlens des nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens notwendigen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen.

IV.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Der Kostenausspruch hat - soweit über die Kosten bereits im nicht angefochtenen Beschluss des Landgerichts vom 6. September 2011 entschieden worden ist - lediglich klarstellende Bedeutung.

Stresemann

Lemke

Schmidt-Räntsch

Czub

Kazele

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