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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 10.05.2011, Az.: 4 StR 178/11
Therapieunwilligkeit steht einer Anordnung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht entgegen; Therapieunwilligkeit bei der Anordnung nach § 64 StGB
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 10.05.2011
Referenz: JurionRS 2011, 18134
Aktenzeichen: 4 StR 178/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bielefeld - 21.12.2010

Fundstelle:

StraFo 2011, 323-324

Verfahrensgegenstand:

Versuchter besonders schwerer Raub

BGH, 10.05.2011 - 4 StR 178/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Das Fehlen von Therapiewilligkeit ist lediglich ein gegen die Erfolgsaussichten einer Unterbringung nach § 64 StGB sprechendes Indiz, das den Tatrichter zu der Prüfung verpflichtet, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann.

  2. 2.

    Von der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB darf nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 10. Mai 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Dezember 2010 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten (besonders) schweren Raubes unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, fünf Monaten und zwei Wochen verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

2

Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet. Die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB kann dagegen nicht bestehen bleiben.

3

1.

Nach den Feststellungen und Wertungen der sachverständig beratenen Strafkammer liegt beim Angeklagten der Hang vor, Cannabis im Übermaß zu sich zu nehmen, die Tat, deretwegen er bestraft wird, hat er im Rausch begangen und es besteht auch die Gefahr, dass der Angeklagte infolge seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Jedoch fehle es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Erfolges der Unterbringung nach § 64 StGB (UA 14/15). Denn zum einen "wünsche" der Angeklagte keine solche Unterbringung, zum anderen lasse sich eine künftige Delikt- und Drogenfreiheit des Angeklagten "möglicherweise auch durch weniger einschneidende ambulante Maßnahmen" erreichen (UA 16), wobei die Strafkammer einer "Zurückstellung der Vollstreckung eines Strafrestes [nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG] ... schon jetzt ihre Zustimmung" erteile (UA 17).

4

2.

Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass die Strafkammer meint, die von ihr ersichtlich positiv bewerteten Aussichten ambulanter Maßnahmen könnten als Grund dafür herangezogen werden, die Erfolgsaussichten einer (stationären) Unterbringung zu verneinen. Entsprechendes gilt für die Erwägung, eine Unterbringung entspreche nicht dem Wunsch des Angeklagten. Selbst das Fehlen von Therapiewilligkeit steht nämlich einer Anordnung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht entgegen. Sie kann lediglich ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein, das den Tatrichter zu der Prüfung verpflichtet, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 2 StR 170/09; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rn. 20 jeweils m.w.N.). Auch der Hinweis auf eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist. Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) grundsätzlich nichts geändert (vgl. BGH a.a.O.; Fischer a.a.O. § 64 Rn. 24, 26).

6

Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen liegt es vielmehr (zumindest) nahe, dass eine Unterbringung des Angeklagten erfolgversprechend im Sinne des § 64 Satz 2 StGB ist. Denn der nunmehr 25-jährige Angeklagte konsumierte erst seit Frühjahr 2008 regelmäßig Cannabis; andere Betäubungsmittel nimmt er nach den Feststellungen nicht zu sich. Nach Begehung der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Tat nahm er - weil ihm dies vom Jugendamt "auferlegt" worden war (der Angeklagte ist Vater dreier kleiner Kinder) - im Juni 2010 an einer Drogenberatung teil und lebt seitdem nach seinen Angaben vollständig (UA 4), jedenfalls aber über einen längeren Zeitraum drogenabstinent (UA 16).

7

3.

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).

Ernemann
Roggenbuck
Cierniak
Franke
Mutzbauer

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