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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 09.08.2012, Az.: VII ZB 84/11
Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts für einen Unterhaltsgläubiger aufgrund der sich aus der Regelung des § 850d ZPO ergebenden rechtlichen Schwierigkeiten bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 09.08.2012
Referenz: JurionRS 2012, 22087
Aktenzeichen: VII ZB 84/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Reutlingen - 07.04.2011 - AZ: 21 M 1247/11

LG Tübingen - 16.09.2011 - AZ: 5 T 120/11

Fundstellen:

AGS 2012, 580-581

FamFR 2012, 475

FamRB 2012, 374-375

FamRZ 2012, 1637-1638

FPR 2012, 512-513

FPR 2012, 7

FuR 2013, 40

JurBüro 2012, 665-666

JZ 2012, 665

MDR 2012, 1251

NJW 2012, 6

NJW-RR 2012, 1153-1154

Rpfleger 2012, 698

RVGreport 2012, 439

VE 2012, 185-186

BGH, 09.08.2012 - VII ZB 84/11

Amtlicher Leitsatz:

ZPO § 121 Abs. 2

Wegen der sich aus der Regelung des § 850d ZPO ergebenden rechtlichen Schwierigkeiten bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel ist es in der Regel erforderlich, einem Unterhaltsgläubiger, dem Prozesskostenhilfe für die Stellung eines Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gewährt wird, einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt beizuordnen.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. August 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richterin Safari Chabestari und die Richter Dr. Eick, Prof. Leupertz und Dr. Kartzke beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Rechtsmittel der Gläubiger werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 16. September 2011 und der den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts Vollstreckungsgericht - Reutlingen vom 7. April 2011 aufgehoben.

  2. 2.

    Den Gläubigern wird für den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Rechtsanwalt L. , R. , beigeordnet.

Gründe

I.

1

Die durch ihre Mutter vertretenen minderjährigen Gläubiger betreiben gegen ihren Vater aus einem Versäumnisbeschluss des Amtsgerichts Familiengericht - die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger und laufender Unterhaltsansprüche. Sie haben für einen Antrag auf Erlass eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses, mit dem die Ansprüche des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Arbeitseinkommen sowie Forderungen des Schuldners gegen eine Bank gepfändet und ihnen zur Einziehung überwiesen werden sollten, Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt L. beantragt.

2

Das Amtsgericht hat ihnen mit Beschluss vom 7. April 2011 für die Zwangsvollstreckungsmaßnahme "Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses" Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme jedoch zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit am 22. September 2011 zugestelltem Beschluss zurückgewiesen. Der Senat hat den Gläubigern für die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde mit am 1. Dezember 2011 zugestelltem Beschluss Prozesskostenhilfe gewährt und ihnen die Sozietät Rechtsanwälte Prof. Dr. V. und Dr. Sch. beigeordnet. Die Gläubiger haben am 9. Dezember 2011 Rechtsbeschwerde eingelegt und wegen Versäumung der Fristen für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Senat hat dem Antrag bezüglich der Versäumung der Einlegungsfrist mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 entsprochen. Mit der am 2. Januar 2012 begründeten Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubiger ihren Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt L. weiter.

II.

3

1.

Dem fristgerecht gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde war gemäß § 233 ZPO zu entsprechen. Die Gläubiger waren aus finanziellen Gründen erst nach Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zur Begründung der Rechtsbeschwerde in der Lage. Die Versäumung dieser Frist war damit entschuldigt. Die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nach Zustellung des Beschlusses über die Gewährung von Prozesskostenhilfe haben die Gläubiger eingehalten.

4

2.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

a)

Das Landgericht ist der Auffassung, die Beiordnung eines Rechtsanwalts sei nicht erforderlich. Da eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben und der Schuldner nicht durch einen solchen vertreten sei, komme eine Beiordnung nach § 121 Abs. 2 1. Alt. ZPO nur in Betracht, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich sei. Insoweit seien neben Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der beabsichtigten Vollstreckungsmaßnahme vor allem auch die Kenntnisse und Fähigkeiten des Gläubigers bzw. seines gesetzlichen Vertreters sowie anderweitige Beratungsund Unterstützungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu seien zumindest aussagekräftige und plausible Darlegungen zu diesen Punkten seitens des Gläubigers erforderlich. Daran fehle es.

6

b)

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

aa)

In Verfahren ohne Anwaltszwang ist nach § 121 Abs. 2 ZPO unter anderem ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die Partei dies beantragt und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Dies ist der Fall, wenn Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der Sache Anlass zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnahmen in mündlicher oder schriftlicher Form zu veranlassen. Danach hängt die Notwendigkeit der Beiordnung einerseits von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits von den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen gerade des Antragstellers ab (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003 - IXa ZB 124/03, NJW 2003, 3136; BVerfG, WuM 2011, 352).

8

bb)

Das Beschwerdegericht stellt zu hohe Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Beschluss vom 18. Juli 2003 (IXa ZB 124/03, aaO) ausgeführt, es liege nahe, dass ein juristisch nicht ausgebildeter Antragsteller bei der Pfändung wegen Unterhaltsansprüchen, insbesondere beim Vorhandensein mehrerer Unterhaltsberechtigter, auch mit Hilfe der Rechtsantragstelle häufig kaum in der Lage sein werde, einen korrekten Antrag zu stellen. Jedenfalls für Verfahren der erweiterten Pfändung von Arbeitslohn oder Lohnersatzleistungen dürfe dem Gläubiger daher nicht ohne Prüfung des Einzelfalls die Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels Erforderlichkeit versagt werden. Nachfolgend hat der Senat wiederholt den Hinweis erteilt, es sei bei der insoweit vorzunehmenden Einzelfallprüfung zu beachten, dass die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel wegen der Regelung des § 850d ZPO es in der Regel geboten erscheinen lassen, einen Rechtsanwalt beizuordnen (BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2005 - VII ZB 94/05, NJW 2006, 1204; vom 29. März 2006 VII ZB 14/06, FuR 2006, 309 und VII ZB 15/06, FamRZ 2006, 856). Von der Beiordnung eines Rechtsanwalts kann damit - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - nur in Ausnahmefällen, insbesondere bei einem juristisch vorgebildeten oder wirtschaftlich erfahrenen Gläubiger abgesehen werden. Diese Voraussetzungen liegen weder bei den Gläubigern noch deren gesetzlicher Vertreterin vor, die derzeit als Hausfrau tätig und auf staatliche Unterstützung angewiesen ist.

3.

Dem Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts L. war daher unter Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts und des diesen Antrag zurückweisenden Beschlusses des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - zu entsprechen.

9

...

Kniffka
Safari Chabestari
Eick
Leupertz
Kartzke

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