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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 07.10.2011, Az.: 1 StR 321/11
Verurteilung wegen Beihilfe zur Urkundenfälschung bei noch nicht stattgefundener Inbesitznahme der gefälschten Ausweispapiere durch den Verwender
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.10.2011
Referenz: JurionRS 2011, 28857
Aktenzeichen: 1 StR 321/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Berlin - 30.09.2010

Fundstellen:

NStZ-RR 2012, 50-51

StraFo 2012, 66

Verfahrensgegenstand:

Beihilfe zum Verstoß gegen das AufenthG u.a.

BGH, 07.10.2011 - 1 StR 321/11

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Oktober 2011 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. September 2010, soweit es ihn betrifft, aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO)

  1. a)

    soweit er wegen Urkundenfälschung verurteilt wurde (Fall 38 der Urteilsgründe),

  2. b)

    im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

    Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

1. Die Strafkammer hat festgestellt:

2

a) Der Angeklagte hat einmal gleichzeitig sieben und einmal einem illegal eingereisten Vietnamesen ein Unterkommen geboten.

3

b) Der Angeklagte hatte die Beschaffung eines gefälschten niederländischen Reisepasses und eines gefälschten niederländischen Führerscheins mit zwei (unter anderem) wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern verurteilten, hier als "Kontaktpersonen und Zwischenverkäufer" bezeichneten Mitangeklagten (in nicht näher gekennzeichneter Weise) "organisiert"; die Falsifikate waren für N. bestimmt. Der Angeklagte sollte die Mitangeklagten bezahlen (ob dies geschah, bleibt offen). Nachdem er die Falsifikate "von der Aufenthaltsanschrift" dieser Mitangeklagten abgeholt hatte, wurden sie bei einer Kontrolle seines Fahrzeugs sichergestellt. Konkret ist nicht festgestellt, was das Ziel des Transports war.

4

2. Deshalb wurde der Angeklagte wegen zwei Fällen der Beihilfe zum Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Einzelstrafe je vier Monate) und wegen Urkundenfälschung (Einzelstrafe sechs Monate) zu zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die wegen mehrerer Vorstrafen und Bewährungsbruchs nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden.

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3. Seine auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat zum Teil Erfolg.

6

a) Schuldsprüche wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das AufenthG

7

Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Es beschwert ihn nicht, dass er wegen des gleichzeitig sieben illegal eingereisten Vietnamesen gewährten Unterkommens nicht wegen Beihilfe in sieben tateinheitlichen Fällen verurteilt wurde. Die Annahme der Strafkammer, dass (außer einem anderen Mitangeklagten) "alle Angeklagten bezüglich der Schleusungstaten Bandenmitglieder waren", widerspricht nicht der Feststellung, der Angeklagte habe "nicht zur Schleuserbande" gehört, da er nicht wegen Einschleusens von Ausländern (§ 96 AufenthG) verurteilt wurde.

8

b) Schuldspruch wegen Urkundenfälschung

9

Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte unechte Urkunden hergestellt, echte Urkunden verfälscht hätte oder hieran beteiligt gewesen wäre. Auch hat er die Falsifikate nicht gebraucht, sondern er wollte dies dem N. ermöglichen. Da dieser sie aber auch noch nicht gebraucht hat, sie noch nicht einmal im Besitz hatte, liegt auch keine strafbare Beihilfe zum Gebrauch vor ("Akzessorietät der Teilnahme", vgl. zusammenfassend Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 27 Rn. 8, 9 mwN).

10

4. Der Generalbundesanwalt hat im Hinblick auf eine Verfahrensbeschränkung durch die Staatsanwaltschaft beantragt, hinsichtlich der als Urkundenfälschung abgeurteilten Tat gemäß § 154a Abs. 3 StPO den Vorwurf der Verschaffung falscher amtlicher Ausweise (§ 276 Abs. 1 Nr. 2 StGB) wieder einzubeziehen und den Schuldspruch demgemäß (entsprechend § 354 Abs. 1 StPO) abzuändern. Der Senat kann dem nicht folgen.

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a) Die Verfahrensbeschränkung durch die Staatsanwaltschaft geht dahin, dass hinsichtlich der Tatvorwürfe, "die nicht Gegenstand der Anklage sind, ... das Verfahren gemäß §§ 154, 154a StPO ... eingestellt" wird. Zusätzliches ist auch nicht in der Anklage ausgeführt (vgl. demgegenüber Nr. 101a Abs. 3 RiStBV), die zwölf Angeschuldigten bei wechselnder Beteiligung 44 Taten (Fälle) zur Last legt. Regelmäßig sind aber ausgeschiedene Tatteile oder Strafbestimmungen konkret ("positiv") zu bezeichnen, die Feststellung, das Verfahren werde gemäß § 154 StPO und/oder § 154a StPO im Sinne der Anklage beschränkt, entspricht als zu ungenau nicht dem Gesetz (fehlende Rechtssicherheit) und ist daher unwirksam (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1980 - 3 StR 232/80, NStZ 1981, 23; tendenziell ebenso BGH, Urteil vom 4. April 2002 - 3 StR 405/01, NStZ 2002, 489; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 154a Rn. 8, 20; Beukelmann in Graf, StPO, § 154a Rn. 7; Plöd in KMR, StPO, § 154a Rn. 13; Schoreit in KK, StPO, 6. Aufl., § 154a Rn. 12; Weßlau in SK-StPO, § 154a Rn. 21). Ein Fall, in dem wegen Eindeutigkeit des ausgeschiedenen Verfahrensstoffes der Hinweis auf die Anklage doch ausreichte (vgl. Beulke, aaO, Rn. 8; Weßlau, aaO), liegt schon wegen der zahlreichen im Einzelnen vielfach unterschiedlichen Taten und der hieran unterschiedlich beteiligten Angeklagten nicht vor. Daher ist auch § 154a Abs. 3 StPO hier nicht anwendbar.

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b) "Sich oder einem anderen verschaffen" i.S.d. § 276 StGB bedeutet, dass der Täter das Tatobjekt in seinen Gewahrsam bringt, Zugriff hierauf hat und darüber nach Belieben verfügen kann, oder es in den Gewahrsam eines anderen bringt und ihm dadurch diese Möglichkeiten vermittelt (vgl. Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl., § 276 Rn. 11; Puppe in NK-StGB, 3. Aufl., § 276 Rn. 3, § 149 Rn. 11). Dass dies hier (schon) vorgelegen hätte, ergeben die Feststellungen (vgl. oben 1.) nicht eindeutig. Wäre der Angeklagte ein "Verteilungsgehilfe", hätte er, sofern "verschaffen" nicht vorläge, wie jeder unmittelbare Besitzer die Alternative "verwahren" erfüllt (Puppe, aaO, § 149 Rn. 11). Im Ergebnis sprechen also die Feststellungen dafür, dass § 276 StGB vorliegt, die Alternative ist aber ohne dem Tatrichter vorbehaltene zusätzliche Feststellungen und/ oder Würdigungen unklar. Daher sieht der Senat von einer Schuldspruchänderung ab (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 1 StR 59/10, StV 2010, 685 mwN).

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5. Die Verurteilung wegen Urkundenfälschung war daher aufzuheben, zugleich entfällt die Gesamtstrafe. Sämtliche Feststellungen bleiben jedoch bestehen, da sie rechtsfehlerfrei getroffen und von dem aufgezeigten Mangel nicht berührt sind. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, sind jedoch möglich. Auch die (trotz unterschiedlichen Schuldumfangs undifferenzierten) sehr maßvollen übrigen Einzelstrafen sind rechtsfehlerfrei und können bestehen bleiben.

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6. Der Generalbundesanwalt hat zutreffend ausgeführt, dass noch eine mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) mit den Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12. Mai 2010 zu prüfen sein wird.

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7. Dem Antrag, die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht (Strafrichter) zurückzuverweisen, folgt der Senat nicht. Außer im (seltenen) Fall einer Urteilsaufhebung wegen willkürlicher Anklage zum Landgericht (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1997 - 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 55 f. mwN), ist auch unter den Voraussetzungen des § 354 Abs. 3 StPO eine Zurückverweisung an ein Gericht niedererer Ordnung nicht zwingend, sondern steht im pflichtgemäßen Ermessen des Revisionsgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 1980 - 3 StR 32/80, BGHSt 29, 341, 350; BGH, Beschluss vom 25. November 1986 - 1 StR 613/86, BGH NJW 1987, 1092 f.; BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08, BGH StraFo 2009, 33 f.; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 354 Rn. 64; Kuckein in KK StPO, 6. Aufl., § 354 Rn. 39; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 354 Rn. 42 jew. mwN; a.A. Dehne-Niemann, StraFo 2009, 34 ff. <Anm. zu BGH, aaO, 33 f.: Anwendung von § 354 Abs. 3 StPO kann Verfassungsgebot sein>). In diesem Zusammenhang maßgebend können etwa Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und/oder -beschleunigung sein (Momsen in KMR, § 354 Rn. 48; dort auch weitere mögliche Ermessenskriterien). Gründe des Einzelfalls, wonach ein neuer Instanzenzug mit einer Berufungsinstanz und dem Oberlandesgericht (Kammergericht) als Revisionsinstanz hier sachgerecht erschiene, sind nicht erkennbar.

Nack

Wahl

Graf

Jäger

Sander

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