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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.10.2011, Az.: V ZB 140/11
Rechtmäßigkeit der Haftanordnung gegenüber einem marokkanischen Staatsbürger zur Sicherung der Abschiebung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.10.2011
Referenz: JurionRS 2011, 27208
Aktenzeichen: V ZB 140/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Mainz - 28.03.2011 - AZ: 409 XIV 5/11.B

LG Mainz - 17.05.2011 - AZ: 8 T 80/11

BGH, 06.10.2011 - V ZB 140/11

Redaktioneller Leitsatz:

Haft zur Sicherung der Abschiebung darf dann nicht angeordnet werden, wenn der entsprechende Antrag keine Angaben darüber enthält, in welchen Staat der Betroffene abgeschoben werden soll. Die daraus folgende Umzulässigkeit des Haftantrags kann nicht dadurch rückwirkend geheilt werden, dass die unerlässlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Abschiebung in dem Termin zur Anhörung des Betroffenen nachgeholt werden.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 17. Mai 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 28. März 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Landeshauptstadt Mainz auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste von Belgien nach Deutschland ein und wurde am 28. März 2011 festgenommen. Er trug eine marokkanische Kennkarte, eine belgische Aufenthaltserlaubnis für die Zeit vom 5. Oktober 2009 bis zum 5. Oktober 2010 sowie 1.050 € Bargeld bei sich. Auf Antrag der Beteiligten zu 2, die den Betroffenen entweder in einen sicheren Drittstaat oder in sein Heimatland abschieben wollte, ordnete das Amtsgericht - nach Anhörung des Betroffenen - am 28. März 2011 Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten an. Das Landgericht hat - nach erneuter Anhörung des Betroffenen - die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des Amtsgerichts und der Beschluss des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei rechtmäßig gewesen. Es habe der in § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (gemeint ist § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) AufenthG genannte Haftgrund vorgelegen. Der Betroffene habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht habe entziehen wollen; zu diesen Aspekten habe er keinerlei Ausführungen gemacht.

III.

3

1. Die Rechtsbeschwerde ist - nachdem sich die Hauptsache erledigt hat - mit dem Feststellungantrag analog § 62 FamFG nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 und vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 10, [...]) und gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt.

4

2. Das Rechtsmittel ist in der Sache begründet, weil sowohl die Beschwerdeentscheidung als auch die Haftanordnung, die im Fall der Erledigung ebenfalls Gegenstand der Überprüfung ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152 Rn. 14; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 119/10 Rn. 6, [...]), einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.

5

a) Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil - wie der Betroffene zutreffend geltend macht - der Haftantrag unzulässig war.

6

aa) Zu den unerlässlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, dass die Antragsbegründung insbesondere Angaben zu den Voraussetzungen und zu der Durchführbarkeit der Abschiebung enthält (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, InfAuslR 2011, 202, 203 Rn. 8 f.). Diesen Anforderungen wird der Antrag vom 28. März 2011 nicht gerecht. In dem Zeitpunkt wusste die Beteiligte zu 2 nämlich noch nicht, in welchen Staat der Betroffene abgeschoben werden sollte. Zwangsläufig konnte sie deshalb keine Angaben zu der Durchführbarkeit der Abschiebung machen.

7

bb) Die Begründung des Haftantrags ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend, ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags; durch die Konkretisierung des Haftantrags in dem Termin zur Anhörung des Betroffenen vor dem Beschwerdegericht durch den Vertreter der Beteiligten zu 2, der Betroffene solle nach Marokko abgeschoben werden, konnte der Verstoß nicht rückwirkend geheilt werden, weil es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG erfordert (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14, 19).

8

cc) Wegen des Verstoßes gegen diese Verfahrensgarantie hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

9

b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

10

aa) Mit Erfolg rügt der Betroffene eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Beschwerdegericht hat ihn zwar angehört, aber es hat das mündliche und das schriftliche Vorbringen in der Beschwerdebegründung zu der fehlenden Absicht, sich der Abschiebung entziehen zu wollen, bei seiner Entscheidung nicht erwogen. In der Beschwerdebegründung hat der Betroffene vorgetragen, er habe seinen Lebensmittelpunkt in Brüssel gehabt, die Einreise nach Deutschland sei nur vorübergehend und touristisch erfolgt, zur Deckung der Reisekosten habe er 1.050 € bei sich gehabt. In der Anhörung vor dem Amtsgericht hat der Betroffene erklärt, er wolle nach Marokko zurückkehren. In der Anhörung vor dem Beschwerdegericht hat er mehrfach sein Einverständnis mit einer Abschiebung erklärt. Das alles hat das Beschwerdegericht nicht berücksichtigt, sondern seine Entscheidung im Hinblick auf die Möglichkeit, nach § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von der Haftanordnung abzusehen, darauf gestützt, der Betroffene habe insoweit keinerlei Ausführungen gemacht.

11

bb) Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Berücksichtigung dieses Vorbringens die angefochtene Entscheidung anders ausgefallen wäre, hat das Beschwerdegericht gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen. Dieser Verfahrensfehler lässt sich nicht beheben. Das Beschwerdegericht kann ohne erneute Anhörung des Betroffenen nicht beurteilen, ob das Vorbringen glaubhaft war und deshalb von der Aufrechterhaltung der Haft hätte abgesehen werden können (§ 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Eine Anhörung ist jedoch nach der Entlassung des Betroffenen aus der Haft nicht mehr möglich. Deshalb hat der Senat festzustellen, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen ist seinen Rechten verletzt hat.

IV.

12

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Landeshauptstadt Mainz als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

13

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 KostO.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

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