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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.06.2013, Az.: VI ZR 292/12
Anspruch auf Schadensersatz wegen des Erwerbs von Anteilen an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft nach türkischem Recht
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 04.06.2013
Referenz: JurionRS 2013, 39106
Aktenzeichen: VI ZR 292/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stuttgart - 22.07.2011 - AZ: 12 O 512/10

OLG Stuttgart - 21.05.2012 - AZ: 5 U 134/11

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 04.06.2013 - VI ZR 292/12

Redaktioneller Leitsatz:

Auf den Nachweis der konkreten Kausalität einer Kapitalmarktinformation für den Willensentschluss des jeweiligen Anlegers kann im Rahmen des Anspruchstatbestandes des § 826 BGB auch dann nicht verzichtet werden, wenn eine Kapitalmarktinformation extrem unseriös ist. Eine "generelle" - unabhängig von der Kenntnis des potentiellen Anlegers postulierte - Kausalität einer falschen Werbeaussage ist unter Schutznormaspekten unvertretbar.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Mai 2012 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach türkischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs von Anteilen an der Beklagten geltend.

2

Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Konya/Türkei. Sie verkaufte ab dem Jahr 1990 in Deutschland an Teile der türkisch-stämmigen Bevölkerung Firmenanteile, wobei sie weitgehend aufgrund von Mundzu-Mund-Propaganda damit warb, dass es sich um eine mit islamischen Glaubensgrundsätzen konforme Alternative zu herkömmlichen, verzinslichen Geldanlagen handle. Der damalige Vorstandsvorsitzende B. instruierte in Schulungen die Vermittler, die Anleger werben und den Verkauf der Anteile in Deutschland abwickeln sollten; die Interessenten sollten darüber informiert werden, dass die Teilhaberschaft an der Beklagten jederzeit mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden könne, die Anteile dann zurückgenommen und der Anlagebetrag erstattet würden. In dringenden Fällen erfolge die Rückabwicklung sofort. Diese Information enthält auch ein vor dem 1. Januar 1994 verfasstes Rundschreiben in Form eines Geschäftsberichts des Vorstandsvorsitzenden B. an die Anteilseigner der Beklagten. Bis in das Jahr 2001 wurden Anteilskäufe auf Verlangen der Teilhaber von der Beklagten rückabgewickelt. Die Anteile wurden an andere Interessenten weiterverkauft oder von Tochterunternehmen der Beklagten übernommen. Dann stellte die Beklagte die Zahlung von Ausschüttungen und die Rückzahlung angelegter Gelder ein.

3

Der Kläger erwarb in den Jahren 1998/1999 Anteilsscheine an der Beklagten, von denen er gegen Erstattung des angelegten Betrages wieder mehrere an die Beklagte zurückgab. Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 12. Februar 2010 kündigte er das Vertragsverhältnis mit der Beklagten und erklärte die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, außerdem forderte er den Anlagebetrag zurück.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils und Berücksichtigung einer teilweisen Klagerücknahme den Zahlungsanspruch Zug um Zug gegen Rückübertragung der Aktien an die Beklagte zugesprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche des Klägers bejaht. Es hat unter Anwendung deutschen Rechts dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz nach den §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zugesprochen und dies - wie folgt - begründet:

6

Das Verhalten des Vorstands der Beklagten erfülle die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Zu den für eine Anlageentscheidung wesentlichen und damit aufklärungspflichtigen Umständen gehörten vor dem Hintergrund des aktienrechtlichen Rücknahmeverbots die besonderen Risiken des Rück- oder Weiterverkaufs von Aktien nicht börsennotierter Unternehmen. Deshalb sei es innerhalb des von den Organen der Beklagten ins Werk gesetzten Vertriebssystems erforderlich gewesen, Anleger über die Besonderheit der Beteiligung an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft - gleich in welcher Form - zu informieren, dass den geworbenen Anlegern - anders als bei einer herkömmlichen Sparanlage - kein rechtlich gesicherter Anspruch auf Rückzahlung ihres investierten Kapitals zustehe. Dass es sich nicht um ein bei Banken erhältliches Finanzprodukt gehandelt habe und die Geschäfte außerhalb einer Bank abgeschlossen worden seien, ändere am Informationsdefizit der Anleger und an ihrem Schutzbedürfnis nichts. Das Vertriebssystem der Beklagten sei darauf angelegt gewesen, systematisch von der unvollständigen Informationslage der Anleger zu profitieren und eine teilweise selbst geschaffene, jedenfalls aber erkennbar falsche Erwartungshaltung der Anleger bezüglich der erheblichen Frage der rechtlichen Absicherung einer Kündigungsmöglichkeit auszunutzen. Insofern komme das Verhalten der Beklagten im Unwert einer aktiven Täuschung gleich, die ohne weiteres als sittenwidrig anzusehen sei. Der Vorstand der Beklagten habe über gezielte Mundzu-Mund-Propaganda Fehlvorstellungen über die unternehmerische Beteiligung in den gut vernetzten Kreisen der türkischstämmigen Minderheiten in Deutschland verbreitet. Unter den angesprochenen Kundenkreisen sei geradezu eine Euphorie über die Vorzüge der Anlage entstanden, so dass sich die einzelnen Anleger ohne qualifizierte Information von dem allgemeinen Sog hätten mitreißen lassen. Auch der Kläger, der nicht individuell beraten worden sei, hätte ohne die allgemein bekannten Zusagen über die Rückgabemöglichkeit der Anteile sein Geld bei der Beklagten nicht investiert. Die vor dem Jahr 2001 praktizierte faktische Rücknahme sei - wie die weitere Entwicklung der Dinge anschaulich zeige - kein gleichwertiger Ersatz für einen rechtlich gesicherten Anspruch, denn sie hänge vom freien Willen der Beklagten bzw. der insoweit eingeschalteten Konzernunternehmen ab. Das Verhalten des Vorstands der Beklagten erfülle das Merkmal der Sittenwidrigkeit, weil es sich nicht um ein vereinzeltes Fehlverhalten handle, sondern weil die gezielte Fehlinformation des Vertriebs ein systematisches planmäßiges Vorgehen darstelle, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße. Der Verzicht auf sachgerechte Informationsmittel im Hinblick auf die Rückgabemöglichkeit habe auch dem massenhaften Absatz der Unternehmensanteile unter Umgehung naheliegender Bedenken der Anleger gedient. Sie sei in dem Bewusstsein einer möglichen Schädigung der Anleger geschehen, weil die Rückkaufsmöglichkeit weder rechtlich noch wirtschaftlich abgesichert gewesen sei, wie der Lauf der Dinge zeige. Die Vorstände der Beklagten hätten vorsätzlich gehandelt. Es liege auf der Hand, dass sie die aus einem faktischen, aber ungeregelten Zweitmarkt resultierenden Unsicherheiten kannten. Gleichzeitig müsse ihnen klar gewesen sein, dass Informationen über Rücknahmemöglichkeiten im Vertrieb nur weitergegeben werden dürften, wenn diese juristisch geprüft seien, weil solche Infor- mationen regelmäßig für die Anleger entscheidend seien. Der Vorsatz erstrecke sich auch auf die Schädigung der Anleger. Deren Schaden bestehe nicht erst im Ausbleiben von Ausschüttungen oder im Wertverlust der Anteile, obwohl auch diese Nachteile eingetreten seien, sondern bereits im Erwerb von nicht ihren Bedürfnissen entsprechenden Unternehmensanteilen. Auch wenn die Unternehmensführung der Beklagten zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung des Klägers davon ausgegangen sei, dass Anleger ihren Anteilswert realisieren könnten, indem Neuanleger die zum Rückkauf angebotenen Anteile übernähmen, und die Beklagte auch bestrebt gewesen sei, bei einer Kündigung übernahmebereite Neuanleger zu vermitteln, sei gleichzeitig den Verantwortlichen der Beklagten bewusst gewesen, dass eine Realisierung des Anlagebetrags vom Vorhandensein neuer anlagebereiter Investoren sowie einer entsprechenden Vermittlung abhänge, und damit nur solange funktioniere, wie der Markt Beteiligungen bei der Beklagten nachfrage. Dieses Risiko habe sich im Jahr 2001 dadurch realisiert, dass die Beklagte auf den Druck der türkischen Kapitalaufsicht, auf verschlechterte Wirtschaftsfaktoren und negative Presseberichte mit einem vollständigen oder sehr weitgehenden Rücknahmestopp reagiert habe, ohne die Anleger vorzuwarnen oder eine der Situation angepasste Ausstiegsmöglichkeit zu geben. Insofern handle es sich um ein spezielles Risiko im Rechtskonstrukt der Beklagten, das über die allgemeinen wirtschaftlichen Risiken hinausgehe. Die Beklagte habe nach § 31 BGB für das Verhalten ihrer Organe einzustehen.

II.

7

Die Revision ist begründet.

8

1. Das Berufungsgericht hat zutreffend seine Zuständigkeit aus dem besonderen Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO hergeleitet (Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, VersR 2010, 910 Rn. 8 ff.). Auch richtet sich nach dem am Gerichtsstand geltenden deutschen Recht, ob das der Klage zugrunde gelegte, vom Kläger behauptete Geschehen als unerlaubte Handlung einzuordnen ist (Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 12 f. mwN).

9

2. Die Revision wendet sich - als ihr günstig - nicht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich bei dem Geschäftsmodell der Beklagten nicht um ein sogenanntes Schneeballsystem handelte. Auch macht sie sich die Feststellungen des Berufungsgerichts zu eigen, dass für einen Kontakt des Klägers mit einem Vorstandsmitglied der Beklagten keine Anhaltspunkte gegeben sind und nichts dafür spricht, dass ein Schreiben des Vorstandsvorsitzenden B. für die Anlageentscheidung des Klägers kausal geworden ist, sowie gegenüber dem Kläger vor den Anteilskäufen keine Beratung oder Erklärung zur Rückabwicklung von einem Vermittler oder Mitarbeiter der Beklagten erfolgt ist.

10

3. Mit Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB bejaht hat. Das Berufungsgericht hat den dem Streitfall zugrunde liegenden Tatsachenstoff nicht umfassend in den Blick genommen und der vorgenommenen Würdigung eine "generalisierende" Betrachtungsweise ohne konkreten Bezug auf den Streitfall zugrunde gelegt (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG).

11

Zwar ist die Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach § 286 ZPO Sache des Tatrichters. Er hat nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 5 mwN; und Senatsurteile vom 6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 14; vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 241/09, VersR 2011, 223 Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall.

12

a) Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass konkrete Anhaltspunkte für die vom Berufungsgericht angenommene Erwartungshaltung, die für den Kauf der Anteile durch den Kläger bestimmend gewesen sein soll, im Streitfall nicht gegeben sind. Solche trägt der Kläger nicht vor und hat das Berufungsgericht auch nicht festgestellt. Der Kläger hat zwar behauptet, durch Angaben des Vermittlers der Beklagten A. Ö. zu der Anlageentscheidung bestimmt worden zu sein. Das Landgericht hat es aber auf der Grundlage der Beweisaufnahme nicht für erwiesen erachtet, dass sich der Vermittler A. Ö. gegenüber dem Kläger vor dessen Anlageentscheidung über die Sicherheit der Geldanlage und die Garantie der Rückforderbarkeit des Anlagekapitals überhaupt äußerte und er mit dem Kläger Kontakt hatte.

13

b) Bei der Beurteilung des Verhaltens der Beklagten als sittenwidrig lässt das Berufungsgericht Besonderheiten des Streitfalls außer Betracht, die darin bestehen, dass es sich bei den von der Beklagten verkauften Anteilen um eine religiösen Grundsätzen folgende Anlageform handelt, die im Inland von der Beklagten allerdings in nicht herkömmlicher Weise mit großem Erfolg vertrieben wurde (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 15 ff.). Es wertet die Geschäfte der Beklagten einseitig aus heutiger Sicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist aber das Verhalten der Beklagten zum Anlagezeitpunkt. Danach stellt sich das Verhalten des Vorstands der Beklagten unter den Umständen des Streitfalls nicht als sittenwidrig dar.

14

aa) Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269, 274 f. mwN; vom 13. Juli 2003 - VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425 und vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 248/08, [...] Rn. 12 f.). Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urteile vom 6. Mai 1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361 mwN; vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; vom 14. Mai 1992 - II ZR 299/90, WM 1992, 1184, 1186 mwN und vom 19. Juli 2004 - II ZR 217/03, NJW 2004, 2668, 2670). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (vgl. Senatsurteile vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 124/09, VersR 2010, 1659 Rn. 12 und - vom selben Tag - VI ZR 248/08, [...] Rn. 13 jeweils mwN und vom 29. November 2012 - VI ZR 268/11, VersR 2013, 200 Rn. 25 [BGH 20.11.2012 - VI ZR 268/11]).

15

bb) Nach den getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Organe der Beklagten von vornherein in dem Bewusstsein einer möglichen Anlegerschädigung systematisch Gelder einsammeln wollten und deshalb eine an den Bedürfnissen der Anleger ausgerichtete und anlagegerechte Information unterlassen haben, um möglichst unter Ausnutzung der Unkenntnis der Anleger viele Geschäftsanteile an bestimmte Bevölkerungskreise abzusetzen. Hierfür spricht nicht schon, dass die Beklagte inzwischen keine Gewinne mehr ausschüttet und die bei ihr angelegten Gelder nicht zurückzahlt. Die Beklagte verfolgt nach ihrer Satzung einen wertneutralen Geschäftszweck und das Ziel, mit den Anlagegeldern Gewinne durch unterschiedliche unternehmerische Beteiligungen zu erwirtschaften (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 26 und 29 ff.). Auch der Kläger stellt nicht in Frage, dass das Unternehmen der Beklagten noch besteht. Bei einer unternehmerischen Beteiligung muss allerdings mit Verlusten bis zum Totalverlust des Kapitals gerechnet werden, wenn mangels wirtschaftlichen Erfolgs Gewinnausschüttungen nicht in Frage kommen und Interessenten für die Übernahme der Beteiligung wegen der wirtschaftlichen Misserfolge des Unternehmens fehlen.

16

cc) Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte rechtlich nicht allein dafür, dass sich der Kläger falsche Vorstellungen über Werthaltigkeit und Rückgabemöglichkeit der von ihm gekauften Anteile gemacht hat. Besondere Umstände, die darüber hinaus das Urteil der Sittenwidrigkeit begründen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind auch nicht vorgetragen.

17

(1) Eine Haftung der Beklagten nach den für die Anlageberatung geltenden rechtlichen Maßstäben kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht in Betracht, weil der Kläger eine Anlageberatung nicht in Anspruch genommen hat. Ein Anlageberater schuldet zwar eine anleger- und objektgerechte Beratung (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 - IX ZR 170/07, BGHZ 175, 276 Rn. 27). Um eine solche Beratung zu gewährleisten, sind Anlagestrategie und Anlageziele des jeweiligen Anlegers zu ermitteln. Es handelt sich hierbei jedoch um vertragliche Pflichten des Anlageberaters, bei deren Verletzung nicht schon der Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Raum steht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 - III ZR 44/06, VersR 2007, 991 Rn. 16). Die Haftung gemäß § 826 BGB tritt neben die vertragliche Haftung des Anlageberaters nur dann, wenn das die Vertragsverletzung ausmachende Verhalten sittenwidrig ist. Da eine vertragliche Beratungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht bestand, können die für den Anlageberater geltenden rechtlichen Anforderungen - anders als das Berufungsgericht meint - nicht auf die Beklagte ausgedehnt werden.

18

(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht ein Informationsdefizit des Klägers vorsätzlich ausgenutzt, um diesen zu schädigen. Dies kann nach den Umständen des Streitfalls nicht angenommen werden. Dass zum fraglichen Anlagezeitpunkt bis in das Jahr 2001 aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der starken Nachfrage nach den Anteilen der Beklagten nicht damit gerechnet werden musste, einem Rücknahmeverlangen eines Anlegers in einem absehbaren Zeitraum künftig nicht mehr nachkommen zu können, stellt auch das Berufungsgericht nicht in Frage. Es lastet der Beklagten an, dass das Fehlen eines Rechtsanspruchs nicht offengelegt wurde. Dieses Versäumnis begründet aber nicht die Haftung wegen sittenwidrigen Verhaltens. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der im Anlagezeitraum des Klägers tatsächlich erfolgte Rückerwerb von Beteiligungen durch Schwester- und Tochterunternehmen sowie die Vermittlung des Weiterverkaufs an andere Anleger dagegen sprechen, dass frühere Zusagen durch den Vorstand der Beklagten die Gutgläubigkeit der Anleger bewirken sollten mit dem Ziel, deren Gelder trotz des sich abzeichnenden Verlustes zu erlangen. Soweit das Berufungsgericht unterstellt, dass der Vorstand der Beklagten durch die Rückkäufe bewusst die rechtliche Unverbindlichkeit verschleierte und eine Politik der Desinformation betrieb, um die Erwartungshaltung der Anleger für den Zweck der Einwerbung hoher Kapitalbeträge auszunutzen, sind eine solche Absicht stützende Tatsachen nicht festgestellt und vom Kläger nicht vorgetragen (§ 286 ZPO).

19

(3) Das Berufungsgericht qualifiziert irrigerweise die Zusage des Vorstands der Beklagten, die Anteile zurückzunehmen, als rechtlich verbindliche Garantie. Dass die Beklagte gegenüber den Anlegern rechtlich unbedingt für die Rücknahme der Anteile und die Rückgabe des Kapitals einstehen wollte und sich als Garant verpflichtete, stets, also auch künftig, die Gefahr der wertentsprechenden Veräußerlichkeit der Anteile zu übernehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569, 2570 mwN), kann nicht aufgrund der nach ihrem Inhalt nicht präzise feststellbaren und jahrelang zurückliegenden Äußerungen des früheren Vorstandsvorsitzenden B. in den Schulungen der Vermittler angenommen werden. Auch die Auslegung des Inhalts eines Rundschreibens des Vorstands B., auf das sich das Berufungsgericht für seine Beurteilung stützt, lässt im entsprechenden Passus die Auslegung als rechtliche Garantie jedenfalls für künftige Anleger nicht zu. Gegen ein solches Verständnis spricht schon, dass der betreffende Abschnitt als Teil eines wahrscheinlich im Jahr 1993 erstellten Geschäftsberichts an die damaligen Anleger in türkischer Sprache gerichtet ist. Nach der Übersetzung heißt es unter der Überschrift "Sehr wichtig" unter lit. d):

20

"Wie Sie wissen, mussten Gesellschafter, die von der Teilhaberschaft zurücktreten wollten, früher einen Monat vorher einen entsprechenden Antrag einreichen. Diese Frist wurde im Interesse unserer Firma und unserer Gesellschafter auf 3 Monate erhöht worden. Jedoch soll dies nicht missverstanden werden. Für die normale Prozedur würden wir mit Allahs Erlaubnis niemanden bei einem dringenden Fall in Bedrängnis lassen. Wir zahlen sofort.... "

21

Der Mitteilung liegt ein Gesellschafterbeschluss zur bisher praktizierten Rücknahme zugrunde. Die Verlängerung der Kündigungsfrist von einem Monat auf drei Monate weist darauf hin, dass die Rücknahme der Beklagten nicht unveränderlich gehandhabt wurde, sondern durch die Versammlung der Teilhaber die Kündigungsfrist verlängert werden konnte. Eine selbständige Garantiezusage lässt sich aber nicht im Nachhinein einseitig zu Lasten des Begünstigten verändern. Schon gar nicht lässt sich daraus entnehmen, dass allen künftigen Anlegern gegenüber rechtlich gehaftet werden sollte.

22

c) Nach den zugrunde liegenden Feststellungen kann der Beklagten auch ein Schädigungsvorsatz gegenüber dem Kläger nicht angelastet werden.

23

Der Vorsatz, den der Kläger als Anspruchsteller vorzutragen und zu beweisen hat (vgl. Senatsurteile vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, aaO Rn. 38 und vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rn. 8, mwN), enthält ein "Wissens-" und ein "Wollens-Element". Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, im Fall des § 826 BGB also die Schädigung des Anspruchstellers, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Die Annahme der Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Dazu genügt es nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, aaO Rn. 10, mwN). Vertraut der Täter darauf, der als möglich vorausgesehene (oder vorauszusehende) Erfolg werde nicht eintreten, und nimmt er aus diesem Grund die Gefahr in Kauf, liegt allenfalls bewusste Fahrlässigkeit vor; dagegen nimmt der bedingt vorsätzlich handelnde Täter die Gefahr deshalb in Kauf, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel erreichen will (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2008 - VI ZR 212/07, VersR 2008, 1407 Rn. 30 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 370). Hinsichtlich der Beweisführung kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Verhaltens, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, aaO Rn. 11, mwN).

24

Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach im Streitfall für den bedingten Vorsatz, dass der Vorstand der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile durch den Kläger mit der Möglichkeit rechnete, dass dieser durch sein Verhalten geschädigt würde und er dieses Ergebnis billigend in Kauf nahm (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1985 - VI ZR 73/84, VersR 1986, 158, [...] Rn. 16). Es kommt mithin darauf an, was der Vorstand der Beklagten zu den für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkten gewusst und gewollt hat. Unabhängig davon, dass hierzu vom Berufungsgericht nichts festgestellt ist, weist die Revision mit Recht darauf hin, dass indiziell erheblich ist, ob die Rücknahme und Weitergabe von Beteiligungen an andere Interessenten möglich gewesen und durchgeführt worden sind. Dies war bis ins Jahr 2001 unstreitig der Fall. Entgegenstehende Umstände hat der für den Vorsatz darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vorgetragen. Zum Zeitpunkt des Anlageerwerbs durch den Kläger in den Jahren 1998/1999 durfte mithin der Vorstand der Beklagten aufgrund der Nachfrage nach den Anteilen erwarten, dass eine Rücknahme der Papiere gegen Erstattung des Kapitalbetrages möglich sei. Der Kläger hat noch im Jahr 2000 Anteile rückgetauscht und ein Drittel seines anfänglich investierten Kapitals zurückerhalten. Auch der Kläger stellt nicht in Frage, dass die Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2001 und eine negative Presseberichterstattung über Maßnahmen der türkischen Kapitalaufsicht mitursächlich für die Einstellung der Rückabwicklungen waren. Dafür dass der Vorstand der Beklagten mit solchen Ereignissen rechnen musste, ist nichts festgestellt und auch nichts vorgetragen.

25

d) Schließlich bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Ausführungen im Berufungsurteil, mit denen das Berufungsgericht die Kausalität des Verhaltens der Organe der Beklagten für den vom Kläger geltend gemachten Schaden bejaht hat.

26

Im Rahmen des Anspruchstatbestandes des § 826 BGB kann auf den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des jeweiligen Anlegers selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation nicht verzichtet werden und dementsprechend das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen auf die Erfüllung der in die Anlage gesetzten Erwartungen nicht ausreichend sein (vgl. zu fehlerhaften Adhoc-Meldungen BGH, Urteil vom 3. März 2008 -II ZR 310/06, VersR 2008, 1694 Rn. 16 mwN; RGZ 80, 196, 205). Eine "generelle" -unabhängig von der Kenntnis des potentiellen Anlegers postulierte -Kausalität einer falschen Werbeaussage erscheint unter Schutznormaspekten unvertretbar. Im Sinne einer "Dauerkausalität" würde sie auf unabsehbare Zeit jedem beliebigen Erwerber der Anteile zugutekommen, ohne dass dessen Willensentschließung überhaupt berührt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2008 - II ZR 310/06, VersR 2008, 1694 Rn. 20). Eine dadurch bewirkte Ausdehnung der Haftung ist im Hinblick auf den schwer wiegenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung rechtlich unvertretbar.

27

Nach diesen Grundsätzen vermag die vom Berufungsgericht angenommene allgemeine Erwartung des Klägers den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Vorstands der Beklagten und der Schädigung nicht zu begründen. Für die Ursächlichkeit spricht nicht die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, weil nicht festgestellt ist, dass der Kläger persönlich beraten worden wäre. Der Kausalzusammenhang ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch nicht deshalb gegeben, weil die Anlagen nahezu das gesamte Vermögen des Klägers ausgemacht haben dürften und nichts dafür ersichtlich sei, dass der Kläger ohne gesicherte Aussicht auf Rückzahlungen und allein motiviert von gemeinnützigen Überlegungen bereit gewesen wäre, eine solche Summe in den Konzern der Beklagten zu stecken und gegebenenfalls auf Dauer dort zu belassen. Für die vom Berufungsgericht gehegte Vermutung eines vernünftigen Anlegerverhaltens fehlt jedweder gesicherte tatsächliche Hintergrund.

Galke

Zoll

Wellner

Diederichsen

Stöhr

Von Rechts wegen

Verkündet am: 4. Juni 2013

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