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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 01.02.2011, Az.: 3 StR 439/10
Rechtmäßigkeit einer angeordneten Sicherungsverwahrung trotz Möglichkeit des Anordnens einer Aufenthaltsüberwachungsweisung im Rahmen der eintretenden Führungsaufsicht zum Ende des Strafvollzugs
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 01.02.2011
Referenz: JurionRS 2011, 12421
Aktenzeichen: 3 StR 439/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Wuppertal - 07.06.2010

Fundstellen:

NStZ 2011, 6

NStZ-RR 2011, 244

Verfahrensgegenstand:

Gefährliche Körperverletzung u.a.

BGH, 01.02.2011 - 3 StR 439/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Grundlage der bei Anordnungen gemäß § 66 Abs. 2 und 3 StGB vorausgesetzten Gefährlichkeitsprognose sind stets die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung; maßgeblich ist , ob von dem Straftäter nach seinem derzeitigen Persönlichkeitsbild zu erwarten ist, dass er nach Verbüßung der Strafe in Freiheit gesetzt neue Straftaten begehen wird.

  2. 2.

    Eine nur denkbare, mögliche oder erhoffte und daher noch ungewisse (positive) Entwicklung der Persönlichkeit des Täters bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht.

  3. 3.

    Danach kann allein eine Weisung, die im Rahmen der nach der Strafvollstreckung eintretenden Führungsaufsicht erteilt wird (hier: der Einsatz einer elektronischen Fußfessel), regelmäßig keine Erwartung einer Haltungsänderung in diesem Sinne begründen, sofern nicht zusätzliche andere Umstände von besonderem Gewicht hinzutreten.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf Antrag des Generalbundesanwalts und
nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 1. Februar 2011
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 7. Juni 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Zu den Einzelausführungen der Revision zur Sachrüge in der Gegenerklärung (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) vom 6. Dezember 2010 bemerkt der Senat:

Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die gemäß § 66 Abs. 2 und 3 Satz 1 und 2 StGB aF gegen den Angeklagten angeordnete Sicherungsverwahrung. Dies wird im Grundsatz von der Revision ebenso gesehen. Entgegen deren Auffassung führt auch die aufgrund des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) seit dem 1. Januar 2011 gegebene Möglichkeit, im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Überwachung des Aufenthaltes einer verurteilten Person durchzuführen ("elektronische Fußfessel", § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB nF), nicht nachträglich zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Maßregelentscheidung des Landgerichts, was gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB, § 354a StPO im Revisionsverfahren zu beachten wäre. Das Landgericht hätte selbst bei zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, dass zum Ende des Strafvollzugs im Rahmen der eintretenden Führungsaufsicht (möglicherweise) eine derartige Aufenthaltsüberwachungsweisung angeordnet werden könnte, bei der Ausübung seines ihm zustehenden pflichtgemäßen Ermessens aus Rechtsgründen nicht von der Maßregelanordnung absehen können.

1.

Grundlage der auch bei Anordnungen gemäß § 66 Abs. 2 und 3 StGB vorausgesetzten Gefährlichkeitsprognose sind zunächst stets die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung. Maßgeblich ist demnach, ob von dem Straftäter nach seinem derzeitigen Persönlichkeitsbild zu erwarten ist, dass er nach Verbüßung der Strafe in Freiheit gesetzt neue Straftaten begehen wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Mai 1971 - 1 StR 40/71, BGHSt 24, 160, 164; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 36 mwN).

Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 Satz 1 und 2 StGB hat der Tatrichter im Rahmen der Ausübung des ihm danach zustehenden pflichtgemäßen Ermessens die Möglichkeit, sich ungeachtet der Feststellung der Gefährlichkeit zu diesem Zeitpunkt auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern (schon jetzt) erwartet werden kann, dass sich der Täter bereits diese hinreichend zur Warnung dienen lässt. Diese Erwartung muss stets auf konkreten Anhaltspunkten und hinreichenden Gründen beruhen. Eine nur denkbare, mögliche oder erhoffte und daher noch ungewisse (positive) Entwicklung der Persönlichkeit des Täters bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht. Die Berücksichtigung einer solchen, zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht zu erwartenden Veränderung im Strafvollzug ist der Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401 und vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, NJW 2010, 1545).

2.

Danach kann allein eine Weisung, die im Rahmen der nach der Strafvollstreckung eintretenden Führungsaufsicht erteilt wird, regelmäßig keine Erwartung einer Haltungsänderung in diesem Sinne begründen, sofern nicht zusätzliche andere Umstände von besonderem Gewicht hinzutreten. Vielmehr hat die Ausgestaltung der Führungsaufsicht in erster Linie Bedeutung für die Prüfung und Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB. So ist es auch im vorliegenden Fall. Allein die Möglichkeit einer Weisung, den Aufenthalt des Angeklagten im Rahmen der Führungsaufsicht elektronisch festzustellen, könnte bei der gegebenen Sachlage (mehrfache Vorverurteilungen wegen Gewaltdelikten zu vollstreckten Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als elf Jahren) nicht schon bei der Urteilsfällung die erforderliche Erwartung hinreichend begründen, dass der Angeklagte nach (vollständiger) Verbüßung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe unter dem präventiven Einfluss dieser im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB nF möglichen Überwachungsmaßnahme keine neuen Straftaten begehen wird. Auch der Vortrag der Revision belegt eine solche Erwartung nicht. Vielmehr wird lediglich die Möglichkeit einer spezialpräventiven Einwirkung der Weisung auf den Angeklagten vorgetragen. Dem Rechtsmittel bleibt daher schon deshalb der Erfolg versagt.

Hinzu kommt, dass mehr als fraglich erscheint, ob diese Weisung im vorliegenden Fall überhaupt angeordnet werden könnte. Gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB nF ist sie u.a. nur zulässig, wenn sie erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Abs. 4 Satz 2 StPO, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art abzuhalten. Gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB kann die verurteilte Person angewiesen werden, den Wohn- und Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen; nach Nr. 2 kann die Weisung erteilt werden, sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können. Angesichts der Feststellungen des Landgerichts zu den Umständen der hier abgeurteilten wie auch der vorangegangenen Straftaten des Angeklagten liegen diese Weisungen und damit eine spezialpräventive Wirkung der Aufenthaltsüberwachung auf den Angeklagten eher fern; denn deren Begehung war nicht mit dem Aufenthalt an bestimmten Orten verbunden und hätte ersichtlich auch nicht dadurch verhindert werden können, dass der Angeklagte seinen Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht hätte verlassen dürfen.

Die Frage, ob Weisungen und andere zukünftige Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht die Erwartung begründen könnten, dass der Angeklagte nach Verbüßung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe keine weiteren Straftaten begeht, ist daher hier bei der Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB zu beantworten.

Becker
von Lienen
Hubert
Schäfer
Mayer

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