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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 26.07.2016, Az.: III B 148/15
Umfang der Pflicht zur Sachaufklärung im finanzgerichtlichen Verfahren
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 26.07.2016
Referenz: JurionRS 2016, 22533
Aktenzeichen: III B 148/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Hessen - 04.11.2015 - AZ: 2 K 2020/14

Fundstellen:

AO-StB 2016, 282

BFH/NV 2016, 1486-1487

BFH, 26.07.2016 - III B 148/15

Redaktioneller Leitsatz:

1. Die Pflicht des Finanzgerichts zur Sachaufklärung ist verletzt, wenn es einen von einem Beteiligten zulässig gestellten Beweisantrag ablehnt, ohne dass die zu beweisende Tatsache für die Entscheidung unerheblich ist, das Gericht die Wahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache zu Gunsten des Beweisantragstellers unterstellt oder das Beweismittel völlig ungeeignet ist.

2. Ein Beweisantrag, durch den die Klägerin unter Beweis durch Zeugenbeweis stellt, dass ein Kind sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat, ist jedenfalls dann hinreichend substantiiert, wenn die Klägerin bereits zuvor ausreichend konkretisierte Beweisanträge gestellt hat.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 4. November 2015 2 K 2020/14 aufgehoben.

Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Gründe

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihren Sohn K zunächst Kindergeld. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob die Festsetzung durch Bescheid vom 25. Oktober 2010 auf und forderte das für den Zeitraum Dezember 2009 bis September 2010 gezahlte Kindergeld zurück. Sie war der Ansicht, K habe keine Ausbildung mehr angestrebt. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Durch Urteil vom 21. Mai 2014 2 K 1110/13 wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab, nachdem es zuvor einen Beschluss, aufgrund dessen K als Zeuge vernommen werden sollte, aufgehoben hatte.

2

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin hob der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil des FG auf, weil das Gericht den Klageantrag zu Unrecht als unzulässige Klage auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung ausgelegt hatte (Beschluss vom 17. September 2014 VI B 75/14, BFH/NV 2015, 51).

3

Im zweiten Rechtsgang trennte das FG das Verfahren hinsichtlich des Zeitraums Februar bis April 2010 ab; insoweit erklärten die Beteiligten die Hauptsache für erledigt. Das FG wies sodann die zeitlich eingeschränkte Klage durch Urteil vom 4. November 2015 2 K 2020/14 ab. Es war nicht der Überzeugung, dass sich K ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht habe. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag sei wegen mangelnder Bestimmtheit des Beweisthemas abzulehnen gewesen. So seien der Zeitraum, das konkrete Bewerbungsdatum, ein angesprochener Betrieb oder ein Ansprechpartner nicht benannt worden.

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Gegen das Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit welcher sie einen Verfahrensmangel geltend macht. Sie trägt vor, das FG habe zu Unrecht ihre Anträge auf Einvernahme des K und ihres Ehemannes als Zeugen abgelehnt.

5

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Es liegt ein von der Klägerin in der erforderlichen Form gerügter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hat seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt (§ 76 Abs. 1 FGO).

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1. Der Vortrag der Klägerin zu dem von ihr gerügten Verfahrensmangel genügt den Darlegungsanforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

7

Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend gemacht, das FG habe zu Unrecht Beweisanträge übergangen, so sind Angaben zu den ermittlungsbedürftigen Tatsachen, den angebotenen Beweismitteln und zum mutmaßlichen Ergebnis der Beweisaufnahme erforderlich. Da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen verzichtbaren Mangel handelt, muss grundsätzlich vorgetragen werden, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden oder weshalb die Rüge nicht möglich gewesen ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. Januar 2007 IV B 51/05, BFH/NV 2007, 1089; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120 Rz 69). Hat jedoch das FG —wie im Streitfall— selbst im Urteil begründet, weshalb es von der Erhebung beantragter Beweise abgesehen hat, genügt bereits die schlichte Rüge der Nichtbefolgung des Beweisantritts den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. August 2000 VII B 87/00, BFH/NV 2001, 147, m.w.N., und vom 30. Dezember 2002 XI B 58/02, BFH/NV 2003, 787). Darüber hinaus hat die Klägerin ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. November 2015 beantragt, ihren Sohn und ihren Ehemann als Zeugen zu vernehmen. Schon deshalb erübrigt sich ein Vortrag der Klägerin, sie habe sich nicht rügelos auf die mündliche Verhandlung eingelassen.

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2. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel liegt vor.

9

a) Übergeht das FG zu Unrecht einen von einem Beteiligten i.S. des § 57 FGO gestellten Beweisantrag, kann dies einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO begründen. Stellt ein Verfahrensbeteiligter einen ordnungsgemäßen Beweisantrag, dann ist das FG grundsätzlich verpflichtet, ihm zu entsprechen. Ein Beweisantrag darf u.a. nur dann abgelehnt werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung unerheblich ist, das Gericht die Wahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache zugunsten des Beweisantragstellers unterstellt oder wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist (Senatsbeschluss vom 18. November 2013 III B 45/12, BFH/NV 2014, 342; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 81 FGO Rz 45 ff., m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

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b) Im Streitfall war das FG fälschlich der Ansicht, der Beweisantrag der Klägerin sei nicht ausreichend bestimmt und deshalb nicht ordnungsgemäß gestellt worden.

11

aa) Ein FG muss einem Beweisantrag nachkommen, wenn dieser substantiiert ist (BFH-Beschlüsse vom 13. August 2002 VII B 267/01, BFH/NV 2003, 63; vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825; vom 2. März 2006 XI B 79/05, BFH/NV 2006, 1132; Gräber/Herbert, a.a.O., § 76 Rz 29, m.w.N.). Ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn nicht angegeben wird, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (z.B. BFH-Beschluss vom 12. März 2014 XI B 97/13, BFH/NV 2014, 1062).

12

bb) Die Klägerin hat lt. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. November 2015 beantragt, Beweis zu erheben über die Behauptung, dass sich K ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht habe, und zwar durch Einvernahme ihres Sohnes und ihres Ehemannes als Zeugen. Ob dieser Beweisantrag bei isolierter Betrachtung ausreichend konkretisiert ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da auch die prozessuale Vorgeschichte einzubeziehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 27. April 2010 X B 163/08, BFH/NV 2010, 1639). Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtsgang in den Schriftsätzen vom 15. Oktober 2013 und vom 10. Februar 2014 ausreichend konkretisierte Beweisanträge gestellt. Darin hat sie K und ihren Ehemann als Zeugen für die Tatsache benannt, dass K sich im Zeitraum Dezember 2009 bis September 2010 bei mehreren Stellen um einen Ausbildungsplatz bemüht habe und dass auch ihr Ehemann bei einzelnen namentlich aufgeführten Firmen vorgesprochen habe. Damit war das Beweisthema in ausreichendem Maße substantiiert. Auch das FG war zunächst von einem ordnungsgemäßen Beweisantrag ausgegangen, da es am 18. März 2014 beschlossen hatte, K zur Frage eines ernsthaften Bemühens um einen Ausbildungsplatz als Zeugen zu vernehmen.

13

3. Das Urteil des FG kann auf dem Übergehen der Beweisanträge beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das FG nach Durchführung der Beweiserhebungen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der beschließende Senat hält es für angezeigt, gemäß § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren.

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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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