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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 05.02.2014, Az.: XI B 7/13
Reichweite eines Verzichts auf die mündliche Verhandlung im finanzgerichtlichen Verfahren
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.02.2014
Referenz: JurionRS 2014, 12313
Aktenzeichen: XI B 7/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG München - 05.12.2012 - AZ: 3 K 3129/09

Rechtsgrundlagen:

§ 90 Abs. 2 FGO

Art. 103 Abs. 1 GG

Fundstellen:

AO-StB 2014, 141-142

BFH/NV 2014, 708

BFH, 05.02.2014 - XI B 7/13

Redaktioneller Leitsatz:

Ein einmal erklärtes Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist durch die nächste eine Sachentscheidung vorbereitende Entscheidung des Finanzgerichts (hier: Aufklärungsanordnung und rechtlicher Hinweis) verbraucht. Eine trotz eines Antrags auf mündliche Verhandlung gleichwohl ohne mündliche Entscheidung ergangene Sachentscheidung verletzt das Recht der betroffenen Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Gründe

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stimmte der Umsatzsteuererklärung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer AG, für den Besteuerungszeitraum 2001 (Streitjahr) nicht zu. Mit Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 3. September 2008 versagte das FA den Abzug eines Vorsteuerbetrages von ... DM (... €), weil die Klägerin nicht die Empfängerin der abgerechneten Leistung sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

2

Auf entsprechende --mit der Eingangsbestätigung der Klage beim Finanzgericht (FG) verbundene-- Frage erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. November 2009 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

3

Am 27. August 2012 erließ der Berichterstatter "gemäß § 79 Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Aufklärungsanordnung:

4

Der Klägerin wird aufgegeben, die Rechnung vom 25. Januar 2001 der ... über den Bruttobetrag von ... DM im Original vorzulegen.

5

Darüber hinaus ergeht der Hinweis, dass der Vorsteuerabzug aus der vorgenannten Rechnung auch deshalb zu versagen sein könnte, weil der Leistungsgegenstand in der Rechnung nicht ausreichend beschrieben wird; eine Bezugnahme auf weitere Unterlagen fehlt."

6

Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 führte die Klägerin u.a. zur Beschreibung des Leistungsgegenstands in der betreffenden Rechnung aus und bat um die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, da im Hinblick auf die bestehende Komplexität eine mündliche Verhandlung nun doch geboten sei.

7

Das FG wies die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 5. Dezember 2012 ab.

8

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 1 FGO).

9

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

10

1. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor. Das FG hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, indem es nach Ergehen der Aufklärungsanordnung (vgl. § 79 FGO) den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl es nicht mehr von einem wirksamen Verzicht der Klägerin auf mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) ausgehen durfte.

11

a) Der erklärte Verzicht hat sich durch den nachfolgenden Auflagenbeschluss des FG (§ 79 FGO) verbraucht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. März 1986 I R 28/81, BFH/NV 1987, 651, und vom 31. August 2010 VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126; BFH-Beschluss vom 10. März 2011 VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2006 7 B 90/05, [...]; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 FGO Rz 58).

12

b) Diese einschränkende Auslegung der Verzichtserklärung und die Beschränkung ihrer Wirkung bis zur nächsten eine Sachentscheidung vorbereitenden Entscheidung des FG --wie hier dem Auflagenbeschluss, mit dem der Klägerin die Vorlage einer Urkunde im Original aufgegeben und den Beteiligten rechtliche Hinweise erteilt worden waren-- ist aufgrund der besonderen Interessenlage der Beteiligten geboten (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77, und in BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126). Denn der Verzicht hat für die Beteiligten weitreichende Folgen, weil er als Prozesshandlung nach der Rechtsprechung des BFH nicht frei widerrufbar ist, sondern nur dann, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, BFH/NV 2004, 350, und vom 17. Oktober 2011 IX B 108/11, BFH/NV 2012, 245, m.w.N.).

13

c) Da die Verzichtserklärung nach den vorstehenden Maßgaben wirkungslos geworden ist, war die Klägerin nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten (§ 119 Nr. 4 FGO; vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Januar 2007 II B 41/06, BFH/NV 2007, 755, und vom 8. Februar 2008 XI B 190/07, [...], m.w.N.).

14

2. Hiernach braucht der Senat nicht mehr auf den von der Klägerin ferner geltend gemachten Verfahrensfehler einzugehen, sie sei ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 119 Nr. 1 FGO).

15

3. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

16

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

17

5. Die Übertragung der Kostentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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