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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 29.09.2010, Az.: 10 AZR 523/09
Zahlung von Mindestbeiträgen im Sozialkassenverfahren im Baugewerbe; Geltung der Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE); Holz-Kunststoff; Einbau vorgefertigter Türen, Tore und Fenster als Tätigkeitsbeispiel für "Trocken- und Montagebauarbeiten"
Gericht: BAG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 29.09.2010
Referenz: JurionRS 2010, 28802
Aktenzeichen: 10 AZR 523/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LAG Berlin-Brandenburg - 06.02.2009 - AZ: 22 Sa 1702/08

ArbG Berlin - 24.07.2008 - AZ: 62 Ca 62688/06

Rechtsgrundlagen:

§ 5 Abs. 1 TVG

Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe (vom 17. Januar 2000) Einschränkungen Abschn. I, II des Ersten Teils

§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13, 37 VTV

Fundstellen:

EzA-SD 1/2011, 13

FA 2011, 91-92

NZA-RR 2011, 89-90

BAG, 29.09.2010 - 10 AZR 523/09

Orientierungssatz:

1. Die Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung nach Abschn. I Abs. 1, 2 des Ersten Teils der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 17. Januar 2000 setzt voraus, dass bereits zum Stichtag 1. Juli 1999 für den Betrieb eine Mitgliedschaft in einem dort aufgeführten Verband bestanden hat. Ob eine zu diesem Stichtag bestandene Mitgliedschaft eines Unternehmens nach der Satzung des betreffenden Verbands rechtswirksam auf ein anderes Unternehmen übertragen werden konnte, ist unerheblich. Die Einschränkung der AVE greift auch dann, wenn die Mitgliedschaft des früheren Inhabers für den Betrieb erloschen ist und im unmittelbaren Anschluss eine neue Mitgliedschaft des neuen Inhabers für diesen Betrieb begründet wird.

2. Der Einbau vorgefertigter Türen, Tore und Fenster erfüllt das Tätigkeitsbeispiel "Trocken- und Montagebauarbeiten" in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV, nicht aber das Tätigkeitsbeispiel "Fertigbauarbeiten" in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 VTV. Fertigbauarbeiten im Tarifsinne werden nur dann ausgeführt, wenn komplette Baueinheiten auf der Baustelle eingebaut oder zusammengefügt werden und dadurch die herkömmliche, konventionelle Arbeitsweise am Bau ersetzt wird.

In Sachen

Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,

pp.

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,

hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert und Mestwerdt sowie den ehrenamtlichen Richter Beck und die ehrenamtliche Richterin Zielke für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Februar 2009 - 22 Sa 1702/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Mindestbeiträgen nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) für den Zeitraum von September bis November 2002.

2

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Die Beklagte wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2000 gegründet. Sie betreibt die Montage von Bauelementen aus Glas, Holz, Kunststoff, Aluminium, Metall, Beton sowie den Groß- und Einzelhandel mit Beschlägen, Sanitärartikeln und allen Artikeln des Baumarktbereichs. Sie führt den Betrieb fort, der bis zu ihrer Gründung von ihrem Geschäftsführer als Einzelunternehmen geführt wurde und mit dem er seit 1994 Mitglied im Landesverband Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie (Holz- und Kunststoffe e. V.) war. Auf seinen Antrag vom 14. Dezember 1999 leitete der Verband mit Schreiben vom 21. Dezember 1999 die Mitgliedschaft von dem Einzelunternehmen auf die zu diesem Zeitpunkt in Gründung befindliche Beklagte über.

3

Im maßgeblichen Zeitraum montierte die Beklagte insbesondere Spezialtüren für öffentliche Auftraggeber (Krankenhäuser, Strafvollzugsanstalten, Schulen), die speziellen Anforderungen an Rauchdichtigkeit, Feuerfestigkeit, Schallschutz und Schließvorrichtung genügen müssen. Sie beschäftigte sechs gewerbliche Arbeitnehmer. Zwei Arbeitnehmer waren mit der Vormontage in den Betriebsräumen der Beklagten und zwei mit der Endmontage auf den Baustellen beschäftigt. Ein Arbeitnehmer erledigte den Transport der Türen sowie der Handelswaren, ein weiterer erstellte Aufmaße und war für die Abnahme der Arbeiten zuständig.

4

Die Klägerin macht für den Streitzeitraum einen monatlichen Mindestbeitrag für jeden gewerblichen Arbeitnehmer iHv. 335,00 Euro geltend. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte werde nicht von den Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) in Abschn. I und II der Bekanntmachung über die AVE von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 17. Januar 2000 (BAnz. Nr. 20 vom 29. Januar 2000 S. 1385) erfasst. Sie führe keine Fertigbauarbeiten iSv. Abschn. II der Einschränkungen durch, sondern sei ein Montagebetrieb. Da die Satzung des Landesverbands Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie zum Gründungszeitpunkt der Beklagten die Überleitung einer Mitgliedschaft nicht vorgesehen habe, sei die Mitgliedschaft für die Beklagte erst zum 1. Januar 2000 und damit nach dem in Abschn. I Abs. 1 der Einschränkungen genannten Stichtag neu begründet worden.

5

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.030,00 Euro zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, sie sei als Fertigbaubetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 VTV nach Abschn. II der Einschränkungen und aufgrund der am 1. Juli 1999 für den Betrieb bestandenen Mitgliedschaft im Landesverband Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie nach Abschn. I der Einschränkungen von der AVE ausgenommen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 18 Abs. 1 VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 4. Juli 2002 auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge für September bis November 2002.

9

I. Die Beklagte unterfiel dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV.

10

1. Nach der Rechtsprechung des Senats (18. Oktober 2006 - 10 AZR 576/05 -) erfüllt der Einbau vorgefertigter Türen, Tore und Fenster das Tätigkeitsbeispiel "Trocken- und Montagebauarbeiten" in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV und nicht das Tätigkeitsbeispiel "Fertigbauarbeiten" in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 VTV. Fertigbauarbeiten im Tarifsinne werden nur dann ausgeführt, wenn komplette Baueinheiten auf der Baustelle eingebaut oder zusammengefügt werden und dadurch die herkömmliche, konventionelle Arbeitsweise am Bau ersetzt wird (Senat 18. Oktober 2006 - 10 AZR 576/05 - Rn. 24, aaO.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

11

2. Der Betrieb der Beklagten wurde nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV (Trocken- und Montagebauarbeiten) vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Demgegenüber hat der Betrieb keine Fertigbauarbeiten im Tarifsinne verrichtet, weil durch den Einbau von vormontierten Türen eine bestimmte herkömmliche, konventionelle Arbeitsweise am Bau nicht ersetzt wird. Aber selbst auf der Grundlage der Auffassung der Beklagten unterfiel der Betrieb nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 VTV dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV.

12

II. Der VTV fand auf den Betrieb der Beklagten keine Anwendung. Die Beklagte war zu keinem Zeitpunkt Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands und deshalb nicht nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden. Eine Tarifgeltung ergab sich auch nicht aus § 5 Abs. 4 TVG. Die AVE vom 17. Januar 2000 erstreckte sich nach Abschn. I Abs. 1, 2 Buchst. a der Einschränkungen des Ersten Teils nicht auf den Betrieb der Beklagten.

13

1. Die Einschränkung hat, soweit von Bedeutung, folgenden Wortlaut:

"I.

1. Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich nicht auf Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen von Arbeitgebern mit Sitz im Inland oder Ausland, die unter einen der im Anhang abgedruckten fachlichen Geltungsbereiche der am 1. Juli 1999 (Stichtag) geltenden Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, der Sägeindustrie und übriger Holzbearbeitung, der Steine- und Erden-Industrie, der Mörtelindustrie, der Transportbetonindustrie, der chemischen oder kunststoffverarbeitenden Industrie oder der Metall- und Elektroindustrie fallen.

2. Für Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen von Arbeitgebern mit Sitz im Inland gilt Abs. 1 nur dann, wenn sie

a) bereits am Stichtag unmittelbar oder mittelbar ordentliches Mitglied des Hauptverbandes der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V. ... waren. In diesem Fall wird unwiderlegbar vermutet, dass die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind.

..."

14

2. Ob der Betrieb der Beklagten im Anspruchszeitraum unter den fachlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie fiel, bedarf keiner Prüfung. Zu ihren Gunsten greift die Fiktion in Abschn. I Abs. 2 Buchst. a der Einschränkungen, weil bereits zum Stichtag 1. Juli 1999 für den Betrieb eine Mitgliedschaft im Landesverband Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie (Holz- und Kunststoffe e. V.) bestand. Es ist unerheblich, ob die "alte" Mitgliedschaft des vormaligen Einzelunternehmens rechtswirksam auf die Beklagte übertragen wurde oder die Beklagte für den Betrieb eine "neue" Mitgliedschaft im unmittelbaren Anschluss begründet hat. Maßgeblich ist, dass bereits zum Stichtag für den Betrieb eine Mitgliedschaft in dem Verband bestand. Dies ergibt die Auslegung von Abschn. I der Einschränkungen des Ersten Teils der AVE vom 17. Januar 2000.

15

a) Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist wie ein Gesetz auszulegen. Zwar handelt es sich weder um ein förmliches Gesetz noch um eine Rechtsverordnung. Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet. Sie dehnt die Verbindlichkeit von Tarifverträgen auf Betriebe und Personen aus, die sonst nicht von den Normen eines Tarifvertrags erfasst würden. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist deshalb Normsetzung (BVerfG 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - BVerfGE 44, 322) und aus diesem Grund wie ein Gesetz auszulegen (Senat 12. Mai 2010 - 10 AZR 559/09 - Rn. 12, NZA 2010, 953 [BAG 12.05.2010 - 10 AZR 559/09]).

16

b) Der Wortlaut von Abschn. I Abs. 2 Buchst. a der Einschränkungen ist nicht eindeutig. Danach gilt Abs. 1 für Betriebe nur dann, wenn "sie" (die Betriebe) bereits am Stichtag unmittelbar oder mittelbar ordentliches Mitglied in einem der dort aufgeführten Verbände waren. Betriebe sind aber nicht rechtsfähig; nur natürliche oder juristische Personen können eine Mitgliedschaft begründen oder beenden. Trotzdem knüpft der Normgeber Rechtsfolgen an die Mitgliedschaft "des Betriebs" zum Stichtag. Dies spricht dafür, dass er darauf abstellen wollte, ob für diesen Betrieb zum Stichtag eine Mitgliedschaft begründet war.

17

c) Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck einer AVE, Tarifkonkurrenzen zu vermeiden oder sie aufzulösen (vgl. zu Abschn. II der Einschränkungen der AVE vom 17. Januar 2000 Senat 23. Juni 2004 - 10 AZR 470/03 - zu II 2 c cc der Gründe). Mit der Einschränkung einer AVE soll Rechtssicherheit für solche Betriebe hergestellt werden, bei denen sowohl die Zuordnung zum betrieblichen Geltungsbereich des VTV wie auch zu dem eines anderen Tarifvertrags möglich ist. Mit einer Fiktion, dass Betriebe, für die zu einem Stichtag die Mitgliedschaft in einem bestimmten Verband besteht, unter den fachlichen Geltungsbereich des anderen Tarifvertrags fallen, wird diese Rechtssicherheit erreicht. Es widerspräche diesem Zweck, wenn bei einem bloßen Inhaberwechsel die tarifliche Zuordnung des Betriebs erneut zweifelhaft würde. Solche Veränderungen sollen durch eine AVE nicht erschwert werden.

18

d) Der Normgeber der AVE vom 17. Januar 2000 hat bei der Zuordnung an die übliche Tarifsystematik angeknüpft, die regelmäßig nach betrieblichen Geltungsbereichen abgrenzt. Ein Unternehmen kann demgegenüber verschiedene Betriebe haben und mit diesen Betrieben unterschiedlichen Tarifverträgen unterfallen. Die AVE hat deshalb bei der Stichtagsregelung bewusst auf die Mitgliedschaft "des Betriebs" und nicht des Unternehmens oder einer Einzelperson abgestellt.

19

e) Da für den Betrieb der Beklagten bereits zum Stichtag 1. Juli 1999 eine Mitgliedschaft im Landesverband Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie (Holz- und Kunststoffe e. V.) bestand, erstreckte sich die AVE nach Abschn. I der Einschränkungen des Ersten Teils der AVE vom 17. Januar 2000 nicht auf den Betrieb der Beklagten. Ob der Betrieb auch als Fertigbaubetrieb nach Abschn. II dieser Einschränkungen von der Allgemeinverbindlichkeit ausgenommen wurde, ist nicht weiter erheblich.

20

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Mikosch
Eylert
Mestwerdt
Zielke
Beck

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

zu 1.: Fortführung der Senatsrechtsprechung zur Einschränkung von Allgemeinverbindlicherklärungen, zuletzt 23. Juni 2010 - 10 AZR 463/09 -

zu 2.: Bestätigung von Senat 18. Oktober 2006 - 10 AZR 576/05 -

Branchenspezifische Problematik: Sozialkassen des Baugewerbes

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