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Aktiengesellschaft - Vorstand

 Normen 

§§ 76 ff. AktG

RL 2017/828

BT-Drs. 19/9739 (zu den am 01.01.2020 in Kraft getretenen Änderungen)

BT-Drs. 19/26689 (zu den 12. August 2021 in Kraft getretenen Änderungen)

 Information 

1. Aufgaben

Der Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG) hat die Gesellschaft zu leiten. Er ist der Vertreter der Aktiengesellschaft nach außen und leitet die Geschäfte im Innenverhältnis, hat also die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis.

Der Vorstand nimmt auch die gerichtliche Vertretung der AG wahr. Ferner vertritt er die AG außergerichtlich in allen Angelegenheiten. Nach dem gesetzlichen Regelfall gibt es keine Einzelvertretung, sondern es müssen, wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht, alle Vorstandsmitglieder gemeinschaftlich handeln. Die Satzung - oder mit ihrer Ermächtigung der Aufsichtsrat - kann etwas anderes bestimmen. Die Abweichung ist in das Handelsregister einzutragen. Die Vertretungsmacht kann nach außen hin nicht beschränkt werden.

Die Satzung kann die gesetzlich angeordnete Gesamtgeschäftsführung abweichend regeln. Satzungsklauseln, wonach einem Vorstandsvorsitzenden auch entgegen der Meinung der Mehrheit der übrigen Vorstandsmitglieder ein Alleinentscheidungsrecht zustehen soll, sind unzulässig.

2. Mitglieder

Die Mitglieder des Vorstandes brauchen nicht Aktionäre zu sein; sie werden - auch wenn sie Aktionäre sind - vom Aufsichtsrat durch besondere Ernennung in ihre Stellung berufen und durch besondere Anstellungsverträge verpflichtet. Die Zusammensetzung richtet sich nach der Satzung. Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Nur im Bankenbereich gilt das "4 Augen-Prinzip".

Frauenanteil:

Es besteht eine Mindestbeteiligung von Frauen und Männern für den Vorstand: Der Vorstand einer paritätisch mitbestimmten, börsennotierten Aktiengesellschaft muss gemäß § 76 Abs. 3a S. 1 AktG mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein, wenn er mehr als drei Mitglieder hat. Das Beteiligungsgebot knüpft mithin unmittelbar an die Größe des Vorstands und mittelbar an die Größe der Belegschaft an.

Bestellung:

Die Bestellung des Vorstandes erfolgt zwingend durch den Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre. Auch für die Abberufung ist ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig. Im Anstellungsvertrag wird die dem Vorstand für seine Tätigkeit zustehende Vergütung vereinbart. Den Vorstandsmitgliedern kann auch eine Gewinnbeteiligung gewährt werden (Tantieme). Für die Mitglieder des Vorstandes besteht eine besondere Treuepflicht und ein Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG).

Vorübergehende Auszeit aufgrund Mutterschutz, Elternzeit, Krankheit oder der Pflege eines Familienangehörigen:

In § 84 Abs. 3 AktG ist nunmehr eine Regelung eingeführt, nach der ein Vorstandsmitglied das Recht hat, den Aufsichtsrat um den Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen, wenn es wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbundenen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann. Dabei muss der Aufsichtsrat die Wiederbestellung nach den in der Vorschrift genannten Zeiträumen zusichern.

3. Angemessenheit der Vorstandsvergütung

3.1 Festsetzung der Vergütung

Gemäß § 87 Absatz 1 AktG hat der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen.

Zudem ist die übliche Vergütung zu berücksichtigen. Durch die Bezugnahme auf die "übliche Vergütung" ist bei der Festsetzung der Gesamtbezüge auf das Vergleichsumfeld abzustellen. Damit sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/12278) die Branchen-, Größen- und Landesüblichkeit gemeint. Es kann aber auch das Gehaltsgefüge im Unternehmen herangezogen werden.

3.2 Herabsetzung der Vergütung

Bei Vorliegen der in § 87 Absatz 2 AktG genannten Voraussetzungen kann die bereits festgesetzte Vergütung durch den Aufsichtsrat nachträglich herabgesetzt werden:

  1. a)

    Anknüpfungspunkt ist die Lage der Gesellschaft:

    Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft liegt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/12278) z.B. vor, wenn die Gesellschaft Entlassungen oder Gehaltskürzungen vornehmen muss und keine Gewinne mehr ausschütten kann. Insolvenz oder eine unmittelbare Krise erfüllen die Voraussetzung stets, sind aber nicht notwendig.

    Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft tritt jedenfalls dann ein, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird. Die Weiterzahlung der Bezüge ist unbillig, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat oder ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist (BGH 27.10.2015 - II ZR 296/14).

  2. b)

    Die Weitergewährung der Bezüge in der bisherigen Höhe muss unbillig sein:

    Die Weiterzahlung der Bezüge ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/12278) unbillig, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat, aber auch dann, wenn ihm kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist. Es kommt dabei nicht nur auf die Unbilligkeit für die Gesellschaft an.

Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Aktiengesellschaft, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt wird, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt (BGH 27.10.2015 - II ZR 296/14).

Die Herabsetzung erfolgt auf das Niveau, welches nach § 87 Absatz 1 AktG in dieser Situation angemessen wäre. Sie betrifft nicht nur die Bezüge aktiver Vorstandsmitglieder. Erfasst werden neben den Ansprüchen auf Auszahlung der Restlaufzeit des Vertrages bei Entlassung des Vorstands auch die in § 87 Absatz 1 Satz 2 AktG genannten Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art.

Die Herabsetzung der Bezüge muss mindestens auf einen Betrag erfolgen, dessen Gewährung angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht mehr als unbillig angesehen werden kann. Die Vorschrift erlaubt andererseits keine Herabsetzung der Bezüge des Vorstandsmitglieds, die weiter geht, als es die Billigkeit angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft erfordert (BGH 27.10.2015 - II ZR 296/14).

4. Vergütungssystem börsennotierter Gesellschaften

§ 87a AktG verpflichtet börsennotierte Aktiengesellschaften zur Errichtung eines abstrakten Vergütungssystems für Mitglieder des Vorstands.

Dabei bestehen jedoch keine materiellen Vorgaben zur konkreten Vorstandsvergütung. Das Gesetz macht nur Vorgaben dazu, zu welchen Themen sich das Vergütungssystem zu äußern hat, falls sie zur Anwendung kommen sollen. Dies wird durch die einleitende Formulierung in § 87a Absatz 1 Satz 2 AktG unterstrichen ("Vergütungsbestandteile (...) nur, soweit diese tatsächlich vorgesehen sind"). Der beschreibende Charakter der gesetzlichen Vorgaben bedeutet nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/9739) auch, dass, sollte z. B. keine Vergütung unter Verwendung variabler Vergütungsbestandteile vorgesehen sein, das Vergütungssystem diesbezüglich auch keine Angaben zu enthalten braucht. Materiell hat sich die Vergütung vielmehr weiterhin an § 87 AktG zu orientieren. Gänzlich ohne normative Bindungskraft ist das Vergütungssystem hingegen nicht: Nach Absatz 2 Satz 1 hat sich die Festsetzung der konkreten Vergütung, vorbehaltlich der Abweichungsmöglichkeit des Absatz 2 Satz 2, in dem durch das Vergütungssystem gezogenen Rahmen zu bewegen. Der Aufsichtsrat bindet sich somit durch das von ihm formulierte Vergütungssystem für den Vorstand selbst. Diese Bindungswirkung folgt nicht aus dem Billigungsbeschluss der Hauptversammlung.

Die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft beschließt gemäß § 120a AktG über die Billigung des vom Aufsichtsrat vorgelegten Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder bei jeder wesentlichen Änderung des Vergütungssystems, mindestens jedoch alle vier Jahre.

5. Offenlegung der Vorstandsvergütungen

Die Pflicht zur Offenlegung der Vorstandsvergütungen im Anhang des Jahresabschlusses ist in § 285 Abs. 1 Nr. 9 HGB normiert:

  • Die Offenlegungspflicht bezieht sich auf Mitglieder des Geschäftsführungsorgans, eines Aufsichtsrats, eines Beirats oder Ähnlichem.

  • Anzugeben sind die für die Tätigkeit im Geschäftsjahr gewährten Gesamtbezüge. Diese bestehen aus den Gehältern, Gewinnbeteiligungen, Bezugsrechten, sonstigen aktienbasierten Vergütungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelten, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art.

Die Besonderheiten der Offenlegung bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind in dem Beitrag "Jahresabschluss" ausgeführt.

6. Sorgfalts- und Einstandspflichten

Den Vorstandsmitgliedern obliegen Sorgfalts- und Einstandspflichten. Bei ihrer Geschäftsführung haben sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Der Vorstand hat insbesondere für ein angemessenes Risikomanagement zu sorgen. Über vertrauliche Angaben und Gesellschaftsverhältnisse müssen sie Stillschweigen bewahren. Verletzen sie ihre Pflichten, sind sie der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Der BGH hatte darüber hinaus den Gesellschaftsgläubigern unmittelbare Ansprüche gegen den Vorstand bei schuldhafter Minderung der Insolvenzquote zuerkannt (Insolvenzverschleppungshaftung). Gläubigern, die ihre Forderungen gegenüber der insolventen AG erst nach Eintritt der Insolvenzreife erworben haben, haftet der Unternehmensmanager aufgrund verzögerter Insolvenzantragstellung sogar in vollem Umfang.

7. Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats

Der BGH hat mit der Entscheidung BGH 10.07.2018 - II ZR 24/17 zu der Frage Stellung genommen, ob eine erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats auch durch eine nachträgliche (konkludente) Genehmigung ersetzt werden kann:

"Bestimmen die Satzung oder der Aufsichtsrat, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen, hat der Vorstand die Zustimmung des Aufsichtsrats grundsätzlich vor der Durchführung des Geschäfts einzuholen. Die Zustimmung kann, vorbehaltlich der Übertragung der Zustimmungsentscheidung auf einen Ausschuss, nur durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats erteilt werden und kann nicht durch eine Entscheidung des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden."

Dabei hat das Gericht die Frage offengelassen, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen sich der Vorstand in Eilfällen ausnahmsweise darauf beschränken kann, trotz eines Zustimmungsvorbehalts sein Vorgehen nachträglich genehmigen zu lassen.

8. Schadensersatzansprüche der Aktionäre gegen den Vorstand

Rechtsgrundlage der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist § 147 AktG.

Die Geltendmachung von Schadensersatzklagen durch Minderheitenaktionäre aufgrund von Pflichtverletzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats kann gemäß § 148 AktG mit der Minderheitenklage erfolgen.

Die Minderheitenklage erfordert den Antrag von Aktionären, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen den einhundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000,00 EUR erreichen. Daneben erfordert die Klagezulassung die weiteren, in § 148 AktG enumerativ aufgezählten Voraussetzungen.

Gleichzeitig wurde in § 93 AktG gesetzlich festgestellt, dass eine Pflichtverletzung von Vorstandsmitgliedern nicht vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

9. Vorstandsvorsitzende/r

Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, so kann der Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs. 2 AktG ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vorstands ernennen.

Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands gemäß § 84 Abs. 3 AktG widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.

Die dem Vorstandsvorsitzenden zustehenden besonderen Rechte sind nicht gesetzlich geregelt, sondern ergeben sich aus der Satzung oder der Geschäftsrdnung des Vorstands.

 Siehe auch 

Aktie - Stimmrecht

Aktiengesellschaft

Aktiengesellschaft - Aufsichtsrat

Aktiengesellschaft - Hauptversammlung

Aktionärsforum

Aufsichtsrat

Bayer: Vorstandshaftung in der AG de lege lata und de lege ferenda; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 2546

Ekkenga/Schröer: Handbuch der AG-Finanzierung; 2. Auflage 2019

Geßler: Aktiengesetz; Loseblattwerk

Happ/Groß: Aktienrecht. Handbuch - Mustertexte - Kommentar; 5. Auflage 2019

Leuering: Organhaftung und Schiedsverfahren; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 657

Mehrbrey: Handbuch Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation); 3. Auflage 2019

Möslein: Die Mandatspause im Kapitalgesellschaftsrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2021, 2920

Nikolay: Die neuen Vorschriften zur Vorstandsvergütung - Detaillierte Regelungen und offene Fragen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2009, 2640

Röttgen/Kluge: Nachhaltigkeit bei Vorstandsvergütungen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2013, 900

Schulze: Vermeidung von Haftung und Straftaten auf Führungsebene durch Delegation; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 3484

Seyfarth: Vorstandsrecht; 2. Auflage 2022