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Abschleppen eines Fahrzeuges

 Normen 

§ 9 VwVG

§ 10 VwVG

 Information 

1. Abschleppen eines Fahrzeuges

1.1 Verkehrswidrig geparktes Fahrzeug

Die in der Praxis häufigste Ersatzvornahme ist das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeuges:

Grundsätzlich darf ein Fahrzeug abgeschleppt werden, wenn es eine Behinderung oder Gefährdung darstellt. Dies gilt etwa beim Verstellen des gesamten Bürgersteigs oder einem Hineinragen des Fahrzeugs in die Fahrbahn, bei Funktionsbeeinträchtigungen einer Fußgängerzone oder beim verbotswidrigen Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz, in Feuerwehranfahrzonen oder auch bei einem Abschleppen zur Verhinderung von Straftaten.

Ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls sicher, dass der Fahrer eines verkehrsordnungswidrig abgestellten Fahrzeugs in Kürze die Störung / Behinderung selbst beseitigen wird, so ist eine Abschleppanordnung in der Regel nicht verhältnismäßig, da durch das Abschleppen des Fahrzeugs die Störung / Behinderung erkennbar allenfalls um einige Minuten verkürzt werden könnte. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Störer vorsätzlich über eine ihm gegenüber mündlich ergangene Anordnung hinwegsetzt (OVG Hamburg 08.06.2011 - 5 Bf 124/08).

Der bundesverfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet nicht, dass in den Fällen eines Verstoßes gegen das absolute Halteverbot, im Allgemeinen eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten seit der Feststellung des unzulässigen Abstellens eingehalten werden muss, bevor eine Abschleppmaßnahme eingeleitet werden darf.

Aber die für den Betroffenen entstehenden Nachteile dürfen nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme bezweckten Erfolg stehen, was unter Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen ist. Dabei hat die Straßenverkehrsbehörde sich davon leiten zu lassen, dass Abschleppmaßnahmen ohne konkrete Behinderungen zwar nicht ausgeschlossen sind, die gegenläufigen Interessen aber naturgemäß ein größeres Gewicht bekommen (BVerwG 09.04.2014 - 3 C 5/13).

Das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeuges ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, ohne dass es auf das Vorliegen einer konkreten Verkehrsbehinderung ankommt, wenn mit dem verkehrswidrigen Parken eine Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsfläche verbunden ist. Dies ist beim Abstellen eines Fahrzeuges im Bereich eines absoluten Haltverbots regelmäßig der Fall. Entsprechendes gilt auch für das Parken in einem Fußgängerbereich, in dem die Fahrzeugnutzung insgesamt - einschließlich des Haltens und Parkens - grundsätzlich untersagt ist (OVG Mecklenburg-Vorpommern 06.03.2015 - 3 L 201/11).

1.2 Späteres Aufstellen eines mobilen Halteverbotsschildes

Sofern ein Fahrzeug zunächst auf einem zulässigen Parkplatz abgestellt wurde und das Parken später durch ein mobiles Halteverbotsschild unzulässig wurde, kann das Fahrzeug ab dem vierten Tag nach dem Aufstellen abgeschleppt werden (BVerwG 11.12.1996 - 11 C 15/95, VGH Baden-Württemberg 13.02.2007 - 1 S 822/05). Zwar ist die Behörde verpflichtet, den Halter zunächst telefonisch zu benachrichtigen, dies war in dem von dem VGH Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall jedoch nicht möglich, da der Halter nicht öffentlich einsehbar im Telefonbuch eingetragen war. Weitere Halterbenachrichtigungsmaßnahmen waren der Behörde nicht zumutbar.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung bestätigt (BVerwG 24.05.2018 - 3 C 25/16):

"Ist ein ursprünglich erlaubt geparktes Fahrzeug aus einer nachträglich eingerichteten Haltverbotszone abgeschleppt worden, muss der Verantwortliche die Kosten nur tragen, wenn das Verkehrszeichen mit einer Vorlaufzeit von mindestens drei vollen Tagen aufgestellt wurde. Eine stundenscharfe Berechnung des Vorlaufs findet nicht statt."

2. Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides

Die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides ist wie folgt zu prüfen:

  1. a)

    Die Ermächtigungsgrundlage kann sich entweder aus dem Polizeigesetz des jeweiligen Landes ergeben (wenn eine Polizeibehörde gehandelt hat, z.B. § 52 PolG NRW) oder aus dem allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrecht in Verbindung mit der jeweiligen Kostenordnung zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz.

  2. b)

    Formelle Rechtmäßigkeit:

    • Einhaltung der Schriftform

    • Zuständigkeit der den Kostenbescheid erlassenen Behörde

    • Durchführung einer Anhörung

  3. c)

    Materielle Rechtmäßigkeit:

    Ersatzvornahme im gestreckten Verfahren:

    Ersatzvornahme im abgekürzten Verfahren (d.h. es liegt kein Grund-Verwaltungsakt vor):

    • Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr.

    • Beseitigung der Gefahr durch das Abschleppen.

    • Die Kosten sind erstattungsfähig.

3. Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs

Auch ein auf einem privaten Grundstück abgestelltes Fahrzeug kann abgeschleppt werden (BGH 05.06.2009 - V ZR 144/08).

Nach den Urteilen BGH 04.07.2014 - V ZR 229/13 und BGH 02.12.2011 - V ZR 30/11 zählen zu den erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs "nicht nur die Kosten des reinen Abschleppens, sondern auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs entstehen." Der Umfang des zu ersetzenden Schadens bemisst sich nach § 249 Abs. 1 BGB. Ersatzfähig sind solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit der von dem Kläger verübten verbotenen Eigenmacht stehen und von dem Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.

Danach gehören zu den erstattungsfähigen Kosten auch die folgenden Kosten:

  • die Überprüfung des unberechtigt abgestellten Fahrzeugs, um den Halter ausfindig zu machen

  • die Zuordnung des Fahrzeugs in eine bestimmte Fahrzeugkategorie und das Anfordern eines geeigneten Abschleppfahrzeugs

  • das Prüfen des Fahrzeugs auf Sicherung gegen unbefugtes Benutzen

  • das Prüfen auf StVO-Zulassung

  • die Abschätzung des Transportgutes auf Länge, Breite, Höhe, Gewicht und Gewichtsverteilung

  • die visuelle äußere technische Sichtung / Messung des Fahrzeugs hinsichtlich der Lademöglichkeiten und Ladungssicherung während des Transports

  • das Prüfen des Fahrzeugs auf Sicherung gegen Wegrollen

  • die Kosten für die visuelle äußere Sichtung auf bereits vorhandene Schäden und deren Protokollierung

Nicht ersatzfähig sind dagegen die Kosten für die Bearbeitung und außergerichtliche Abwicklung des Schadensersatzanspruchs.

Dies geht einher mit der folgenden Rechtsprechung:

Wird ein Fahrzeug, das unbefugt auf einem Privatgrundstück in verbotener Eigenmacht abgestellt wird, im Auftrag des Grundstücksbesitzers im Wege der berechtigten Selbsthilfe entfernt, entspricht dies dem objektiven Interesse und dem mutmaßlichen Willen des Fahrzeughalters. Er ist deshalb nach den Grundsätzen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag zum Ersatz der für die Entfernung erforderlichen Aufwendungen verpflichtet (BGH 11.03.2016 - V ZR 102/15).

 Siehe auch 

Ersatzvornahme

Straßenverkehrsordnung

Baldringer/Jordans: Beurteilung des Abschleppfalles nach bürgerlichem Recht - insbesondere Ersatz der Abschleppkosten bei widerrechtlichem Parken; Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht - NZV 2005, 75

Koehl: Abschleppen von Kraftfahrzeugen; Straßenverkehrsrecht - SVR 2014, 98

Liebheit: Die Parkzeitüberschreitung eines Kunden begründet kein Selbsthilferecht zum Abschleppen seines Fahrzeugs; Deutsches Autorecht - DAR 2014, 516

Lorenz: Privates Abschleppen - Besitzschutz oder "Abzocke"?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2009, 1025

Ostermeier: Die telefonische Halterbenachrichtigung vor der Abschleppanordnung; Neue Juristische Wochenschrift - 2006, 3173

Paal/Guggenberger: Falschparken, Parkkrallen und private Rechtsdurchsetzung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2011, 1036

Stöber: Die Einschaltung von Abschlepp- oder Überwachungsunternehmen sowie anwaltliche Abmahnungen als Mittel gegen unbefugtes Parken auf Privatgrundstücken?; Deutsches Auto-Recht - DAR 2008, 72