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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 Normen 

§§ 233 - 238 ZPO

§ 17 FamFG

§§ 44 - 47 StPO

§ 32 VwVfG

§ 60 VwGO

§ 67 SGG

 Information 

1. Zivilprozess

1.1 Allgemein

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ein Rechtsbehelf gegen die schuldlose Versäumung bestimmter Fristen.

War eine Partei ohne ihr Verschulden gehindert, eine bestimmte Frist einzuhalten, so ergeht gemäß § 233 ZPO auf Antrag eine gerichtliche Entscheidung, durch die die versäumte Prozesshandlung nachgeholt und damit die Zulässigkeit des Verfahren wiederhergestellt werden kann.

Eine Frist ist schuldlos versäumt, wenn sie auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht hätte eingehalten werden können:

  • Ist ein Schriftstück so rechtzeitig zur Post gegeben worden, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post den Empfänger fristgerecht erreichen kann und wird die einzuhaltende Frist dennoch versäumt, dürfen dem Absender Verzögerungen oder sonstige Fehler bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung nicht als Verschulden zugerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten (siehe insofern den Beitrag "Willenserklärung") eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden (BGH 24.02.2010 - XII ZB 129/09).

  • Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen.

  • Eine Erkrankung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich rechtfertigen. Sie muss jedoch ursächlich dafür geworden sein, dass die Frist nicht eingehalten wurde. Dabei kann auch eine starke krankheitsbedingte seelische Belastungssituation die Wiedereinsetzung rechtfertigen (BAG 07.11.2012 - 7 AZR 314/12).

  • Die Versäumung einer Frist ist auch unverschuldet wenn die rechtzeitige Vornahme einer fristwahrenden Handlung wegen des wirtschaftlichen Unvermögens einer Partei unterbleibt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Partei bis zum Ablauf der Frist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht und alles in ihren Kräften Stehende getan hat, damit über den Antrag ohne Verzögerung sachlich entschieden werden kann (BGH 16.12.2014 - VI ZA 15/14).

1.2 Anwendungsbereich

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist im Zivilprozess bei der Versäumung folgender Fristen zulässig:

  • Notfristen

  • Frist zur Begründung der Revision oder der Berufung

    Beispiel:

    Das Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters ist dann nicht rechtlich erheblich, wenn die Partei oder ihr Vertreter alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werden kann.

    In der Rechtsprechung ist deshalb anerkannt, dass bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht fristgerecht eingereichten Rechtsmittel-(Begründungs-)schrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (BGH 15.07.2014 - VI ZB 15/14).

  • Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO

  • Rechtsbeschwerden

  • Frist des § 234 Abs. 1 ZPO

    Ein nach Ablauf eines Jahres nach dem Ende der versäumten Frist gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch dann unzulässig, wenn die Fristversäumung dadurch verursacht worden ist, dass ein zuzustellendes Schriftstück von der Person, an die eine zulässige Ersatzzustellung erfolgte, dem Empfänger vorenthalten wurde (BGH 21.01.2016 - IX ZA 24/15).

1.3 Verfahren

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen, beginnend mit der Behebung des Hindernisses, zu stellen. Der Antragsteller muss schlüssig darlegen und glaubhaft machen (BGH 13.01.2016 - XII ZB 653/14), dass die Einhaltung der Notfrist schuldlos versäumt wurde.

Hinweis:

Zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung siehe den Beitrag "Glaubhaftmachung".

Die Frist verlängert sich auf einen Monat, wenn die Partei gehindert war, die Frist zur Begründung eines der in § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO aufgeführten Rechtsmittel / Rechtsbehelfe einzuhalten (BGH 15.01.2008 - XI ZB 11/07).

Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in einem Wiedereinsetzungsantrag, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können nach Fristablauf mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden (BGH 16.08.2016 - VI ZB 19/16).

1.4 Keine Entscheidung vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist

Das Gericht darf über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. Eine vorzeitige Entscheidung kann den Anspruch des Antragsstellers auf rechtliches Gehör verletzen und die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründen (BGH 17.02.2011 - V ZB 310/10).

Voraussetzung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach der Entscheidung BGH 17.04.2012 - VI ZB 44/11 jedoch, "dass die Partei, die die Frist versäumt hat, vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist noch weiter vorgetragen hätte, sodass das Gericht den ergänzenden Vortrag bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigen können".

1.5 Rechtsmittel bei der Ablehnung der Wiedereinsetzung

Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

Wenn das Beschwerdegericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt, muss es den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (BGH 24.02.2010 - XII ZB 129/09).

Hat das Berufungsgericht durch gesonderten Beschluss einen Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, so muss diese Entscheidung gesondert angefochten werden, um sie nicht in Rechtskraft erwachsen und für die Entscheidung über die Verwerfung bindend werden zu lassen. Die betroffene Partei ist jedoch unter dem Aspekt der Rechtskraft nicht gehindert, nachfolgend weitere Wiedereinsetzungsgründe geltend zu machen, über die noch nicht entschieden worden ist (BGH 08.01.2016 - I ZB 41/15).

2. Strafprozess

Gemäß § 44 StPO hat eine Partei eines Strafprozesses einen Anspruch auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie ohne Verschulden an der Einhaltung einer Frist gehindert war.

Der Antrag ist binnen einer Woche, beginnend mit dem Wegfall des die Fristeinhaltung verhindernden Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, das für die fristabhängige Handlung zuständig gewesen wäre. Die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Sie brauchen nicht bereits bei Antragstellung erklärt werden, sondern können während des Verfahrens nachgereicht werden.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist von der Wiederaufnahme des Verfahrens abzugrenzen.

Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann bei einem Inhaftierten Auswirkungen auf die weitere Haftfortführung im Rahmen der Freiheitsstrafe haben.

3. Verwaltungsverfahren / Verwaltungsprozess

Bei der Wiedereinsetzung ist wie folgt zu unterscheiden:

4. Wiedereinsetzung aufgrund der Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts

Eine erhebliche Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts kann eine Wiedereinsetzung nur dann ausnahmsweise rechtfertigen, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt wird (BGH 08.05.2013 - XII ZB 396/12).

 Siehe auch 

Durchbrechung der Rechtskraft

Frist

Rechtsanwaltshaftung - Fristenkontrolle

Rechtskraft

Versäumnisurteil

BGH 23.05.2012 - XII ZB 375/11 (Wiedereinsetzung bei Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist in Familienstreitsache)

BGH 29.03.2012 - IV ZB 16/11 (Wiedereinsatzung bei Fristversäumung wegen Mittellosigkeit)

BGH 17.01.2006 - XI ZB 4/05 (nicht aus dem Sendeprotokoll ersichtliche Übertragungsfehler)

BGH 11.01.2001 - III ZR 148/00 (Wiedereinsetzung, da Rechtsanwalt kein Organisationsvorwurf zu machen ist)

BGH 21.09.2000 - IX ZB 67/00 (Anforderungen an mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Büroangestellten)

Rohwetter: Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2020, 2010

Koch: Die Glaubhaftmachung beim Antrag auf Wiedereinsetzung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2016, 2994

Koch: Anforderungen an die Postausgangskontrolle im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 2391

Mosbacher: Freiheit durch Säumnis: Keine Haftfortdauer bei Wiedereinsetzung; NJW 2005, 3110

Prütting/Gehrlein: ZPO Kommentar; 13. Auflage 2021

Roth: Wiedereinsetzung nach Fristversäumnis wegen Belegung des Telefaxempfangsgeräts des Gerichts; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 785