Rechtswörterbuch

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Vorübergehende höherwertige Tätigkeit

 Normen 

§ 14 TV-L

§ 14 TVöD

§ 15 TV-BA

§ 5 Abs. 3 TV-V

§ 15 TV-WW

 Information 

1. Allgemein

§ 14 TVöD (bzw. die entsprechende Rechtsgrundlage in anderen Tarifverträgen/kirchlichen Kollektivvereinbarungen) stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz der Tarifautomatik bei der Vergütung des Angestellten dar:

  1. a)

    Allgemeiner Grundsatz (§ 14 Abs. 1 TVöD / § 14 Abs. 1 TV-L):

    Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine persönliche Zulage, wenn

    • ihm vorübergehend eine andere Tätigkeit übertragen wurde

    • die den Tätigkeitsmerkmalen einer höheren Entgeltgruppe entspricht

      und

    • er diese mindestens einen Monat ausgeübt hat.

    Die Zulage wird rückwirkend vom ersten Tag der Ausübung der höherwertigen Tätigkeit gezahlt. Die Höhe der Zulage ist in § 14 Abs. 3 TVöD / § 14 Abs. 3 TV-L geregelt.

  2. b)

    Sonderregelung (§ 14 Abs. 2 TVöD / § 14 Abs. 2 TV-L):

    Durch gesonderten Tarifvertrag sind Tätigkeiten erfasst, bei deren Erledigung der Arbeitnehmer bereits einen Anspruch auf die Zulage erhält, wenn er die höherwertige Tätigkeit mindestens drei Tage ausgeübt hat.

    Hintergrund ist, dass dies der vormaligen Regelung für Arbeiter entspricht.

2. Die Voraussetzungen im Einzelnen

Was sind "höherwertige Tätigkeiten”?

Dem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst dürfen grundsätzlich nur Tätigkeiten seiner Entgeltgruppe übertragen werden. Höherwertige Tätigkeiten muss er unter den Voraussetzungen des § 14 TVöD verrichten. Niederwertige Tätigkeiten müssen nur in engen Grenzen ausgeübt werden. Tätigkeiten werden noch von der Entgeltgruppe abgedeckt, wenn sie als solches zwar unterwertig sind, es sich aber nicht um einen eigenen Arbeitsvorgang, sondern um Zusammenhangstätigkeiten handelt bzw. bei sog. Mischtätigkeiten, die weniger als 50% der Arbeitszeit ausmachen (BAG 29.08.1991 - 6 AZR 593/88).

Bei der vorübergehend übertragenen Tätigkeit muss es sich um eine andere Tätigkeit handeln, die bei dauerhafter Übertragung zu einer Höhergruppierung führen würde. Wird die Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang übertragen, der aufgrund des zu geringen Zeitanteils zu keiner Höhergruppierung führen würde, so besteht kein Anspruch auf die Zulage.

Keine höherwertigen Tätigkeiten sind Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Übertragung bereits ausübt.

Billiges Ermessen:

Das Recht des Arbeitgebers zur Übertragung ist Ausübung des Direktionsrechts, keine Einwilligung des Arbeitnehmrs erforderlich, aber die Anordnung muss billigem Ermessen: entsprechen: Gefordert ist eine doppelte Billigkeit (BAG 17.04.2002 - 4 AZR 174/01; LAG Hamm 16.05.2003 - 18 Sa 1783/01)

  • sowohl für die Übertragung der Tätigkeit an sich

  • als auch für die Nichtdauerhaftigkeit

"Die vorübergehende Übertragung einer höher bewerteten Tätigkeit ist an den Regeln zu messen, die der Arbeitgeber bei der Ausübung seines arbeitsvertraglichen Leistungsbestimmungsrechts (Direktionsrechts) nach § 106 GewO grundsätzlich einzuhalten hat. In einem ersten Schritt muss es billigem Ermessen entsprechen, dem Arbeitnehmer die höher bewertete Tätigkeit überhaupt zu übertragen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob es billigem Ermessen entspricht, diese Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen" (BAG 16.04.2015 - 6 AZR 242/14).

Sachgrund:

Die nur vorübergehende Übertragung nach § 14 TVöD erfordert als Ausnahme einen ausreichenden Grund, um billigem Ermessen zu entsprechen. Allein eine mögliche Unsicherheit über die Dauer der Beschäftigungsmöglichkeit mit der übertragenen höherwertigen Tätigkeit reicht nicht aus. (BAG 04.07.2012 - 4 AZR 759/10, BAG 27.01.2016 - 4 AZR 468/14).

Von der Rechtsprechung anerkannte Sachgründe sind u.a.:

  • Vorübergehender Bedarf (BAG 04.07.2012 - 4 AZR 759/10)

  • Eigenart der Tätigkeit (kommunaler Fraktionsmitarbeiter) (BAG 14.12.2005 - 4 AZR 474/04)

  • Erprobung: sechs Monate, aber nicht schematisch festsetzbar (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15)

  • Überbrückung bis zur Einführung einer Organisations- oder Verfahrensänderung (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15)

Formanforderungen:

Die Übertragung erfordert keine Schriftform, da es sich um eine Hauptleistungspflicht handelt, d.h. § 2 Abs. 3 TVöD greift nicht.

Auch muss grundsätzlich der vorübergehende Zeitraum nicht ausdrücklich erklärt werden. "Er kann sich auch aus den für den Arbeitnehmer erkennbaren näheren Umständen ergeben" (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15).

Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal "vorübergehend":

"Ob eine Tätigkeit nur vorübergehend auszuüben ist, ergibt sich nicht aus einer rückschauenden Betrachtung, insbesondere nicht daraus, wie lange die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt worden ist. Es kommt vielmehr darauf an, welchen Willen der Arbeitgeber bei der Übertragung der Tätigkeit zum Ausdruck gebracht hat. Dasselbe gilt von einer Umwandlung einer zunächst vorübergehend übertragenen Tätigkeit in eine dauernde. Wenn der Arbeitgeber bei der Zuweisung der höherwertigen Tätigkeit keine ausdrückliche Erklärung darüber abgegeben hat, ob diese Tätigkeit auf Dauer oder nur vorübergehend übertragen wird, kann daraus noch nicht der Schluss gezogen werden, eine nur vorübergehende Übertragung liege nicht vor. Denn ob eine Tätigkeit auf Dauer oder nur vorübergehend zugewiesen wird, kann sich auch ohne ausdrückliche Erklärung aus den dem Angestellten erkennbaren näheren Umständen ergeben" (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15).

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat jedoch strengere Maßstäbe angelegt:

"Überträgt der Arbeitgeber eine höherwertige Tätigkeit nur vorübergehend, ohne den Zeitraum näher festzulegen, kann die Leistungsbestimmung nicht zur zum Zeitpunkt der Erklärung unbillig sein, sondern darüber hinaus im Laufe der Zeit unbillig werden. (...) Bei der Interessenabwägung ist auf Seiten des Arbeitnehmers nicht nur ein materielles Interesse an einer dauerhaften Sicherung des höheren Einkommens zu berücksichtigen, sondern auch ein immaterielles Interesse an der höherwertigen Tätigkeit, die mit einer bestimmten Stellung im Betrieb oder in der Dienststelle verbunden ist." (LAG Mecklenburg-Vorpommern 15.03.2016 - 5 Sa 119/15).

"Die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit für den Zeitraum von sechs Monaten zu Erprobungszwecken ist i.d.R. ermessensfehlerfrei und damit zulässig" (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15).

Keine zeitliche Grenze:

"Die vorübergehende Übertragung der Tätigkeit des einzigen Mitarbeiters einer Ratsfraktion einer Stadt an einen Verwaltungsangestellten ist grundsätzlich auch dann wirksam, wenn diese Tätigkeit in der Folgezeit über mehrere Wahlperioden ausgeübt wird (BAG 14.12.2005 - 4 AZR 474/04).

Auch die dreimalige befristete Übertragung einer höherwertgen Tätigkeit widerspricht nicht billigem Ermessen, wenn die Voraussetzungen vorliegen (LAG Köln 27.09.2016 - 12 Sa 741/15).

3. Wer darf übertragen?

"Die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit bedarf einer entsprechenden Willenserklärung des Arbeitgebers oder eines für den Arbeitgeber Vertretungsbefugten. An die Kenntnis des Arbeitnehmers über die bestehenden Zuständigkeitsregeln dürfen jedoch keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Im Zweifel muss sich der Beschäftigte darauf verlassen können, dass die Übertragung von einem dazu Befugten vorgenommen wurde" (LAG Mecklenburg-Vorpommern 15.01.2015 - 5 Sa 75/14).

4. Fehlerhafte Personalratsbeteiligung

Die fehlerhafte Personalratsbeteiligung bleibt ohne Nachteile für den Arbeitnehmer:

"Ein etwaiger Fehler des Arbeitgebers bei der Personalratsbeteiligung wirkt sich auf den Zulagenanspruch des Arbeitnehmers nicht aus" (LAG Mecklenburg-Vorpommern 15.01.2015 - 5 Sa 75/14).

5. Rechtsfolge bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen

Wie ist die Rechtslage, wenn der Arbeitgeber die höherwertige Tätigkeit übertragen hat und die Voraussetzungen aber nicht vorliegen? Der Arbeitnehmer hat dann einen Anspruch auf die dauerhafte Ausübung und entsprechende Höhergruppierung.

Bei mehreren hintereinander erfolgenden vorübergehenden Übertragungen reicht es aus, wenn eine unwirksam war. Eine Daueraufgabe kann zudem nicht Gegenstand einer vorübergehenden Übertragung sein (BAG 17.04.2002 - 4 AZR 174/01).

6. Rechtsprechung zu Einzelthemen

Rückkehrzusage:

Haben die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rückkehrzusage getroffen und hat der Arbeitnehmer vor der beendigung eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt, hat er nach seiner Rückkehr keinen Anspruch auf die höherwerrtige Tätigkeit (LAG Berlin-Brandenburg 17.06.2016 - 3 Sa 2006/15).

Erprobung mit negativem Ergebnis:

Sofern die Übertragung der Erprobung diente und der Arbeitnehmer sich nicht bewährt hat, aber zunächst weiter mit der höherwertigen Tätigkeit beschäftigt wird, führt dies nicht zur dauerhaften Höhergruppierung, wenn dafür ein sachlicher Grund besteht, z.B. die Suche nach einer der geeigneten anderen Tätigkeit (LAG Köln 08.09.2015 - 12 Sa 681/15).

Ständige Vertretung:

Eine ständige Vertretung ist keine Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit (BAG 16.04.2015 - 6 AZR 242/14). Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Arbeitnehmer entsprechend dauerhaft höherzugruppieren.

7. Übertragung einer höherwertige Tätigkeiten in anderen Tarifverträgen

Die Möglichkeit zur Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit sind auch in anderen Tarifverträgen / Kollektivvereinbarungen des öffentlichen und kirchlichen Dienstes geregelt, so z.B.:

  • § 5 Abs. 3 TV-Versorgungswirtschaft

  • § 15 TV-Wasserwirtschaft

  • § 13 AVR (Arbeitsvertragsrichtlinien) Diakonie

  • § 22 KAVO (Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung)

  • § 15 TV-BA (Tarifvertrag für die Bundesagentur für Arbeit)

In einigen dieser Tarifverträge / Kollektivvereinbarungen sind die Voraussetzungen der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit selbst nicht geregelt. Beispiel: § 15 TV-BA bestimmt nur die Verpflichtung der Behörde, ab der Ausübung von einem Monat eine persönliche Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zu zahlen.

Die Voraussetzungen zur Zulässigkeit einer derartigen vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit bestimmen sich insofern nach den allgemeinen Regelungen, wobei dabei auch auf die Rechtsprechung zum allgemeinen Tarifrecht des öffentlichen Dienstes zurückgegriffen werden kann.

 Siehe auch 

Eingruppierung

Stellenbewertung

Tarifautomatik - öffentlicher Dienst

Bunk: Neuer Tarifvertrag der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit vielen zusätzlichen Flexibilisierungsaspekten - Zeitschrift für das Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes - ZTR 2006, 566

Gussone, Rechtfertigung und Beendigung der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit nach § 24 BAT; Zeitschrift für das Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes - ZTR 2003, 54

Reinartz: Übertragung höherwertiger Tätigkeit (§ 14 TV-L/TVöD) vs. Führung auf Zeit (§ 32 III TV-L/TVöD); Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht - öAT 2014, 159

Richter/Gamisch: Eingruppierung im kirchlichen Dienst; Loseblattwerk