Rechtswörterbuch

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Verminderte Erwerbsfähigkeit

Autor:
 Normen 

§§ 43 – 45 SGB VI

§§ 240 – 242 SGB VI

§ 33 Abs. 2 f. TVöD

§ 33 Abs. 2 f. TV-L

 Information 

1. Allgemein

1.1 Formen

Rentenart der gesetzlichen Rentenversicherung.

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 33 Abs. 3 SGB VI unterteilt in:

  • Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

  • Rente wegen voller Erwerbsminderung

  • Rente für Bergleute

Hinweis:

Die Berufsunfähigkeitsrente und die Erwerbsunfähigkeitsrente wurden mit Ablauf des 31.12.2000 aufgehoben und werden mit den bis zum 31.12.2000 bewilligten Fällen auslaufen.

1.2 Differenzierung

Bei den Renten wegen voller/teilweiser Erwerbsminderung ist wie folgt zu differenzieren:

  • Arbeitsfähigkeit weniger als drei Stunden: Rente wegen voller Erwerbsminderung

  • Arbeitsfähigkeit mindestens drei und weniger als sechs Stunden: Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

Versicherte, die mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein können, sind von einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen. Ein Schutz des bisherigen Berufsstandes entfällt. Der Versicherte muss sich auf jede Tätigkeit verweisen lassen. Auch wird die jeweilige Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht berücksichtigt.

1.3 Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind gemäß § 34 SGB VI:

  • Erfüllung der jeweiligen Wartezeit

  • Erfüllung der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rente

  • Nichtüberschreitung der jeweiligen Hinzuverdienstgrenze

2. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

Voraussetzungen der Leistungsgewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sind gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI:

  • Der Antragsteller ist teilweise erwerbsgemindert:

    Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

  • Er hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt.

  • In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung wurden drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung/Tätigkeit gezahlt.

Versicherte mit Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die aufgrund von Arbeitslosigkeit ihre restliche Arbeitsfähigkeit nicht nutzen können, haben einen Anspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung.

3. Renten wegen voller Erwerbsminderung

3.1 Voraussetzungen

Voraussetzungen der Leistungsgewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI:

  • Der Antragsteller ist voll erwerbsgemindert:

    • Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

    • Eine dauerhafte volle Erwerbsminderung ist gegeben, wenn zum einen auf nicht absehbare Zeit keine Tätigkeit von mindestens 3 Stunden täglich ausgeübt werden kann und wenn die Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich ist. Unter »auf nicht absehbare Zeit« wird in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten verstanden. Für die prognostische Beurteilung der Dauerhaftigkeit ist ein Zeitrahmen von drei Jahren anzusetzen (OLG Hamm 10.09.2015 – 4 UF 13/15).

  • Er hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt.

  • In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung wurden drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung/Tätigkeit gezahlt.

Auch Selbstständige sowie Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI auch schwerbehinderte Arbeitnehmer, die wegen der Art und Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können sowie Versicherte, die bereits vor der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren für die Zeit der Arbeitssuche.

3.2 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

In vielen Arbeitsverträgen und Tarifverträgen und in allen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (so z.B. § 33 Abs. 2 TVöD) ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall der Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung geregelt. Diese Regelungen sind wirksam:

»Eine in einem Tarifvertrag geregelte auflösende Bedingung, wonach das Arbeitsverhältnis bei Gewährung einer Rente auf unbestimmte Dauer wegen voller Erwerbsminderung endet, bewirkt keine Benachteiligung wegen einer Behinderung des Arbeitnehmers« (BAG 10.12.2014 – 7 AZR 1002/12).

Wird die Rente nur befristet gewährt, so endet das Arbeitsverhältnis nach den Regelungen im öffentlichen Dienst nicht, das Arbeitsverhältnis ruht.

Fehlt eine derartige Regelung in dem Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag, so kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus personen- (Krankheitsbedingte Kündigung) oder betriebsbedingten Gründen kündigen.

4. Rente für Bergleute

Anknüpfungspunkt der Rente für Bergleute ist die verminderte Berufsfähigkeit. Im Bergbau Versicherte sind gemäß § 45 Abs. 2 SGB VI vermindert berufsfähig, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung nicht imstande sind,

  • die von ihnen bisher ausgeübte knappschaftliche Beschäftigung

    und

  • eine andere wirtschaftlich gleichwertige knappschaftliche Betätigung auszuüben, die von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten ausgeübt wird.

Voraussetzungen der Rente für Bergleute sind gemäß § 45 Abs. 1 SGB VI:

  • im Bergbau verminderte Berufsfähigkeit

  • in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der verminderten Berufsfähigkeit drei Jahre knappschaftliche Pflichtbeitragszeiten

  • Erfüllung der allgemeinen Wartezeit

Besonderheiten gelten gemäß § 45 Abs. 3 SGB VI für Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben.

5. Dauer der Leistung

Die Rentenleistung beginnt gemäß § 101 SGB VI nicht vor dem siebten Monat nach dem Eintritt der Erwerbsminderung. Daneben muss gemäß § 99 SGB VI der Antrag bis zum Ende des dritten Monats nach Ablauf des Monats gestellt werden, in dem die Erwerbsminderung eingetreten ist. Bei einem später gestellten Antrag wird die Rente erst mit dem Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag gestellt wurde.

Beispiel:

Eintritt der Erwerbsminderung: 15.01.
Antragsstellung: 20. 04.
Rentenbeginn: 01.08.

Eintritt der Erwerbsminderung: 15.01.
Antragsstellung: 20. 09.
Rentenbeginn: 01.09.

Mit § 101 Abs. 1 a SGB VI wurde eine Sicherungslücke in der Sozialversicherung geschlossen, in der die Nahtlosigkeit von Leistungen aus der Sozialversicherung nicht gegeben ist. Die Sicherungslücke kann sich in atypischen Fällen ergeben, in denen der Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Krankengeld beziehungsweise Krankentagegeld bereits vor dem Beginn einer aus medizinischen Gründen befristet bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung endet. Die Versicherten sollen in diesen besonderen Ausnahmefällen einen früheren Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten, weil aufgrund der fehlenden Nahtlosigkeit zwischen der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und dem Arbeitslosengeld oder Krankengeld beziehungsweise Krankentagegeld ein besonderes Schutzbedürfnis besteht. Die Rente beginnt in diesen Fällen daher abweichend von Absatz 1 tagegenau unmittelbar im Anschluss an diese Leistungen.

Die Erwerbsminderungs-Renten werden gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI für jeweils längstens drei Jahre grundsätzlich befristet geleistet.

Die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt. Anschließend hat der Versicherte einen Anspruch auf die Regelaltersrente in mindestens gleicher Höhe.

6. Hinzuverdienst

6.1 Allgemein

Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird gemäß § 96a Abs. 1 SGB VI nur in voller Höhe geleistet, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 1c nicht überschritten wird.

Erzielt der Antragsteller Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit bzw. diesem vergleichbaren Einkommen, so hat er gemäß § 96a SGB VI nur dann Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wenn es sich um eine anzurechnende Einkommensart handelt und die in § 96a Abs. 1c SGB VI aufgeführten Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten werden.

Als Hinzuverdienst ist gemäß § 96a Abs. 5 SGB VI der voraussichtliche kalenderjährliche Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Dieser ist einmal jährlich im Kalenderjahr neu zu bestimmen, wenn sich dadurch eine Änderung ergibt.

Der Rentenanspruch wird durch den Hinzuverdienst nicht berührt, sondern lediglich der Umfang der Rentenzahlung bestimmt. Wird die Grenze überschritten, so wird nur eine Teilrente ausgezahlt.

6.2 Aktuelle Höhe

Es bestehen kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenzen. Die Hinzuverdienstgrenze für das Jahr 2024 beträgt

  • bei einer voller Erwerbsminderungsrente: 18.558,75 EUR

  • bei einer teilweisen Erwerbsminderungsrente: 37.117,00 EUR

7. Zurechnungszeiten

Menschen mit verminderter Erwerbsfähigkeit werden mit § 253a SGB VI zudem abgesichert, indem die Zurechnungszeit für Rentenzugänge schrittweise auf das vollendete 65. Lebensjahr verlängert wird. Erwerbsgeminderte werden langfristig so gestellt, als ob sie entsprechend der Bewertung ihrer Zurechnungszeit – drei Jahre länger als bisher gearbeitet hätten.

8. Beendigung des Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst

Die Auswirkungen einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf das Arbeitsverhältnis bestimmen sich im öffentlichen Dienst nach § 33 Abs. 2 – 4 TVöD/§ 33 Abs. 2 – 4 TV-L. Danach endet das Arbeitsverhältnis grundsätzlich mit dem die volle oder teilweise Erwerbsminderung bewilligenden Bescheid bzw. mit Ablauf des dem Rentenbeginn vorangehenden Tages.

Hinweis:

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung aufgrund des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung erfordert bei einem schwerbehinderten oder ihm gleichgestellten Menschen nach § 175 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts, wenn bei Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Eintritt der auflösenden Bedingung nach §§ 21, 15 Abs. 2 TzBfG die Anerkennung der Schwerbehinderung oder die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgt ist oder die entsprechende Antragstellung mindestens drei Wochen zurückliegt (BAG 16.01.2018 – 7 AZR 622/15).

Das Arbeitsverhältnis endet gemäß § 33 Abs. 2 Satz 5 TVöD/§ 33 Abs. 2 Satz 5 TV-L nicht, wenn die Rente (wie nach dem Grundfall des § 102 Abs. 2 SGB VI vorgesehen) befristet geleistet wird. In diesen Fällen ruht das Arbeitsverhältnis während der Dauer der befristeten Rentenzahlung.

Von diesen beiden Grundregeln besteht für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 33 Abs. 3 TVöD/§ 33 Abs. 3 TV-L die Ausnahme, dass im Falle einer teilweisen Erwerbsfähigkeit das Arbeitsverhältnis weder endet noch ruht, sondern eine Weiterbeschäftigung erfolgt. Die Voraussetzungen sind:

  • Der Beschäftigte kann gemäß des festgestellten Leistungsvermögens auf seinem Arbeitsplatz oder einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden.

  • Dringende dienstliche oder betriebliche Gründe stehen der Weiterbeschäftigung nicht entgegen.

  • Der Beschäftigte hat innerhalb von zwei Wochen nach dem Zugang des Rentenbescheides seine Weiterbeschäftigung beantragt.

Bei einer befristeten oder unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung können die Arbeitsvertragsparteien jedoch im Rahmen der Hinzuverdienstgrenzen eine Teilzeitarbeit vereinbaren. Der Rentenbezieher hat jedoch hierauf keinen Anspruch.

 Siehe auch 

Altersteilzeit

Altersrente

Berufsunfähigkeitsrente

Erwerbsunfähigkeitsrente

Frühverrentung

Rentenarten

Rentenversicherungsträger

Teilrente

Wartezeit

BSG 12.12.2011 – B 13 R 79/11 R (Rente wegen Erwerbsminderung und eingeschränkte Wegefähigkeit)

BAG 09.09.2010 – 2 AZR 493/09 (Kündigung während des Ruhens nach § 33 TVöD))

BAG 15.03.2006 – 7 AZR 332/05 (Antragserfordernis auf Weiterbeschäftigung)

Dalichau/Grüner: SGB VI – Rentenversicherung. Kommentar; Loseblattwerk

von Koppenfels-Spies/Wenner: SGB VI. Kommentar. Gesetzliche Rentenversicherung; 2. Auflage 2022

Fichte: Der Beweisantrag im Rentenrechtsstreit wegen Erwerbsminderung; Sozialgerichtsbarkeit – SGb 2000, 653

Hassel/Gurgel/Otto: Handbuch des Fachanwalts Sozialrecht; 6. Auflage 2020

Nebeling/Kruse: Berechnung einer Betriebsrente wegen Erwerbsminderung bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Anmerkung zu BAG 20.02.2018 – 3 AZR 252/17; Der Betrieb – DB 2018, 1352