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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

 Normen 

§ 142 StGB

 Information 

1. Schutzbereich

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist ein Straftatbestand zum Schutz der durch einen Verkehrsunfall Geschädigten und Unfallbeteiligten.

2. Tatbestand

Es bestehen folgende Tatbestandsmerkmale:

  • Unfallbeteiligter

    Der Begriff des Unfallbeteiligten ist in § 142 Abs. 5 StGB legal definiert. Danach ist als Unfallbeteiligter jeder anzusehen, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

  • Unfall im Straßenverkehr

    Ein Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das zur Tötung oder Verletzung eines Menschen oder zu einem Sachschaden geführt hat. Dabei muss ein nicht ganz unerheblicher Schaden eingetreten sein. Die Unerheblichkeitsgrenze wird in unterschiedlicher Höhe zwischen 20,00 € und 100,00 € angesetzt (u.a. OLG Celle 25.04.2019 - 8 U 210/18).

    Voraussetzung der Strafbarkeit ist ein fremdes Feststellungsinteresse, das bei einer Eigenbeschädigung nicht besteht.

    Nach der Entscheidung BGH 15.11.2001 - 4 StR 233/01 handelt es sich aber nicht um einen Unfall im Straßenverkehr, wenn das Schadensereignis schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild die Folge einer deliktischen Planung ist.

    Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort setzt voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist (LG Arnsberg 25.10.2016 - 2 Qs 71/16): "Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum öffentlich, wenn er entweder für jedermann ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten oder aber zumindest für eine allgemein bestimmbare größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen und auch so benutzt wird (...). Umfasst werden zwar demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Duldung der Benutzung durch einen darüber hinausgehenden Personenkreis vorliegt, ist nicht auf den inneren Willen des Verfügungsberechtigten, sondern auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Gegebenheiten abzustellen (BGH 04.03.2004 - 4 StR 377/03).

  • Tathandlung:

    1. a)

      sich entfernt, ohne seiner Feststellungspflicht nachzukommen,

    2. b)

      seine Wartepflicht verletzt,

      Die Wartepflicht am Unfallort erstreckt sich bei Anordnung einer Blutprobeentnahme gemäß § 81a StPO auch auf die Zeit, bis entschieden ist, ob die Anordnung zwangsweise durchgeführt werden soll. Verlässt ein derart Wartepflichtiger den Unfallort, so macht er sich gemäß § 142 StGB strafbar.

    3. c)

      oder, wenn er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat, seine Feststellungspflicht nicht unverzüglich nachholt.

3. Vorsätzliches / unvorsätzliches Entfernen vom Unfallort

Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist nur erfüllt, wenn der Unfallbeteiligte vorsätzlich gehandelt hat. Eine anderweitige Auslegung der Strafvorschrift, nach der auch das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort von der Norm erfasst sein sollte, wurde durch das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung BVerfG 19.03.2007 - 2 BvR 2273/06 abgelehnt.

Die vorsätzliche Unfallflucht setzt voraus, dass der Unfallbeteiligte den Unfall bemerkt hat, d.h. die Kollision für ihn wahrnehmbar war. Dabei kommen drei Formen der Wahrnehmbarkeit in Betracht:

  • Die optische Wahrnehmbarkeit:

    Hat sich der Unfall im Blickwinkel des Unfallbeteiligten ereignet bzw. war der Unfall durch eine visuelle Veränderung, z.B. eine Richtungsänderung des geschädigten Fahrzeugs erkennbar.

  • Die akustische Wahrnehmbarkeit:

    Bei der Beantwortung der Frage, ob der Unfall für den Unfallbeteiligten akustisch wahrnehmbar war, sind folgende Einflüsse zu bedenken:

    • die Art der Beschädigung

    • die Umgebungsgeräusche

    • das Hörvermögen des Geschädigten (Tinnitus?)

    • eine anderweitige Zuordnung des Geräuschs durch den Unfallbeteiligten

  • Die taktile Wahrnehmbarkeit (Wahrnehmung des Anstoßprozesses):

    Die Möglichkeit des Unfallbeteiligten, den Anstoßprozess selbst zu bemerken, den sogenannten Ruck, ist u.a. beeinflusst durch den Anstoßwinkel, die Anstoßgeschwindigkeit und die Fahrbahnbeschaffenheit.

Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des äußeren Tatbestandes erstrecken. Dazu gehört, dass der Täter weiß, dass es zu einem Unfall i.S.d. § 142 StGB gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass er einen Gegenstand angefahren, überfahren, jemanden verletzt oder getötet hat bzw. dass ein nicht völlig bedeutungsloser fremder Sachschaden entstanden ist. Da Fahrlässigkeit nicht ausreicht, genügt es für die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht, lediglich äußere Umstände festzustellen, die einem durchschnittlichen Kraftfahrer nach aller Lebenserfahrung die Vermutung aufdrängen, es sei unter seiner Mitverursachung zu einem Verkehrsunfall mit jedenfalls nicht unbeachtlichem Sachschaden gekommen. Zur sicheren Überzeugung des Tatrichters muss vielmehr feststehen und für das Revisionsgericht nachvollziehbar begründet sein, dass auch der betreffende Täter für seine Person diese Kenntnis erlangt hat. Dabei reicht es nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen. Damit ist kein (bedingter) Vorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit erwiesen (KG Berlin 08.07.2015 - 121 Ss 69/15).

4. Absehen von Strafe/Milderung der Strafe

Bei Vorliegen der in § 142 Abs. 4 StGB aufgeführten Voraussetzungen ist trotz einer vollendeten Unfallflucht eine Strafmilderung möglich. Die Voraussetzungen sind:

  • Der Unfall hat sich nicht im fließenden Verkehr ereignet.

  • Es kam nicht zu einem Personenschaden.

  • Der Sachschaden ist gering, d.h. nicht mehr als ca. 1.300,00 EUR.

  • Die Unfallmeldung erfolgte innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall.

Nach dem Urteil OLG Dresden 12.05.2005 - 2 Ss 278/05 ist auch in den neuen Bundesländern ein bedeutender Schaden erst ab 1.300,00 EUR anzunehmen.

5. Verlust der Fahrerlaubnis

Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB führt das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in der Regel zu dem Verlust der Fahrerlaubnis, wenn der Täter weiß oder wissen kann

  • dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden

  • oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

    Dabei wird derzeit eine Wertgrenze von 1.300,00 - 1.500,00 EUR angesetzt. Ausreichend ist, dass der Täter die den Schaden begründenden objektiven Umstände kannte. Nicht einzubeziehen sind im Unfallzeitpunkt nicht voraussehbare Kosten, wie z.B. die Kosten des Sachverständigen, die Umsatzsteuer, die Rechtsanwaltskosten etc.

 Siehe auch 

Abstand im Straßenverkehr

Geschwindigkeit im Straßenverkehr

Fahrzeugführer - Haftung

Obliegenheit

Verkehrsunfall - Allgemein

BGH 15.11.2010 - 4 StR 413/10 (unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts)

BGH 20.11.2000 - NotZ 22/00 (Unfallflucht begründet Zweifel für die Eignung eines Notars)

BGH 01.12.1999 - IV ZR 71/99 (Unfallflucht in der Kfz-Versicherung)

BGH 07.11.1991 - 4 StR 451/91

OLG Frankfurt am Main 18.05.1995 - 16 U 53/94

Berz/Nazarian: Die Unfallflucht; Neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2003, 291

Fromm: Verlust des Versicherungsschutzes wegen angeblicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit. Regress des Kfz-Haftpflichtversicherers auch nach Einstellung des Strafverfahrens wegen Unfallflucht?; Zeitschrift für Schadensrecht - zfs 2016, 669

Höfle: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort - § 142 StGB; Zeitschrift für Schadensrecht - zfs 1999, 458

Krumm: Bestimmung des "bedeutenden Fremdschadens" nach Unfallflucht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2012, 829

Zopfs: Unfallflucht: vom Umgang mit ungeeigneten Kraftfahrern und unbestimmten Rechtsbegriffen; Zeitschrift für Schadensrecht - zfs 2017, 132