Rechtswörterbuch

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Sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen

 Normen 

§ 174 StGB

§ 176 - 176d StGB

§ 180 StGB

§ 182 StGB

§ 184b f. StGB

BT-Drs. 19/23707 (zu den am 01.07.2021 in Kraft getretenen Änderungen)

BT-Drs. 19/13836 (zu der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs des Cybergroomings)

 Information 

1. Einführung

Der Inhalt des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie wurde in das deutsche Recht umgesetzt.

Der BGH hat bezüglich des Tatbestandsmerkmals der "sexuellen Handlung" folgende Begriffsbestimmungen vorgenommen (BGH 10.03.2016 - 3 StR 437/15).

  • § 184h StGB gibt vor, dass sexuelle Handlungen nur solche sind, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Das Merkmal der Erheblichkeit setzt dabei nicht voraus, dass das Opfer den sexuellen Charakter der zu bewertenden Handlung erkennt.

  • Sexuelle Handlungen werden gegen Entgelt vorgenommen, wenn Täter und Opfer spätestens während des sexuellen Kontakts darüber einig sind, dass der Minderjährige durch die Entgeltvereinbarung zu seinem Sexualverhalten wenigstens mitmotiviert wird. Über diese Verknüpfung hinaus ist nicht erforderlich, dass er im Tatzeitpunkt den sexuellen Charakter der von oder an ihm vorgenommenen Handlungen erfasst.

2. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Rechtsgrundlage ist § 174 StGB. In Absatz 1 werden in den Nummern 1 - 3 verschiedene Fallgestaltungen von Schutzbefohlenen aufgeführt:

§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB:

Gemäß § 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt, sexuell missbraucht:

  • Der Begriff des leiblichen Kindes umfasst nämlich - anders als der Begriff des Kindes - nicht das Kind eines Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist, sofern er nicht der leibliche Vater des Kindes ist. Personen unter 18 Jahren, die rechtlich Kinder des Täters sind, sind nunmehr in den Schutzbereich aufgenommen worden. Damit sind nicht nur die Fälle des § 1592 BGB, sondern auch der praktisch zu vernachlässigende Fall des Abweichens von biologischer und rechtlicher Mutterschaft erfasst, der - abgesehen von der anderweitig bereits erfassten Annahme als Kind - nur bei der Eizellenspende möglich ist. Darüber hinaus soll mit der Neuregelung auch der sozialen Bedeutung abstammungsähnlicher sozialer Verhältnisse Rechnung getragen werden. Dazu wird vorgeschlagen, auch leibliche und angenommene Abkömmlinge sowie diejenigen des Ehegatten oder Lebenspartners (Enkel, Stiefkinder und Stiefenkel) sowie Personen unter 18 Jahren, die rechtlich Abkömmlinge des Täters oder der Täterin sind (die Verwendung des Wortes "er" im Gesetzestext hat rein sprachliche Gründe und soll nicht bedeuten, dass nur Männer als Täter in Betracht kommen) in den Schutzbereich einzubeziehen.

  • "Eine lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft von zwei Personen, die auf Dauer angelegt ist, keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen und damit über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. (...) Eine solche kann im Einzelfall auch dann vorliegen, wenn die Partner lediglich an Wochenenden gemeinsam wohnen" (BGH 23.01.2018 - 1 StR 625/17).

  • "Stiefenkel sind nur insoweit vom Schutzbereich des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst, als es sich um Abkömmlinge des Ehe- oder Lebenspartners des Täters beziehungsweise einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt, handelt" (BGH 22.06.2021 - 2 StR 131/21).

Strafbar sind zudem sexuelle Handlungen mit Personen unter 16 Jahren, mit denen der Täter in häuslicher Gemeinschaft lebt, wenn der Täter keine Erziehungsverantwortung übernimmt. Gedacht ist dabei insbesondere an Lebensgefährten eines Elternteils, der mit diesem Elternteil und dem Jugendlichen in häuslicher Gemeinschaft lebt.

§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB:

Auch macht sich strafbar, wer als eine Person, der in einer dazu dienenden Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, sexuelle Beziehungen zu einem Jugendlichen hat, der zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das seiner Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient. Unter Einrichtung ist eine solche zu verstehen, die eine gewisse organisatorische Selbstständigkeit aufweist, und in denen das Verhältnis zu ihren Benutzern (etwa den Schülern einer Schule) einer einheitlichen rechtlichen Regelung unterliegt, wobei es ohne Bedeutung ist, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen oder privaten Träger handelt und ob die Benutzung auf einer öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Grundlage erfolgt.

Diese Einrichtung muss der Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter 18 Jahren dienen. Dem Täter muss in dieser Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Jugendlichen anvertraut sein; es ist allerdings nicht erforderlich, dass ihm gerade die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung des Opfers selbst anvertraut ist. Ob der Anstellungsträger des Täters und die Einrichtung, zu dem das Opfer in dem vorstehend beschriebenen Rechtsverhältnis steht, identisch sind, ist für die Frage, ob dem Täter in dieser Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung von Jugendlichen anvertraut ist, hingegen ohne Bedeutung, sofern nur der Täter auf rechtlicher Grundlage in der Einrichtung tätig ist. Das Opfer muss zu der Einrichtung in einem Rechtsverhältnis stehen, das seiner Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient.

Die Straftatbestände des § 174 Abs. 1 und 2 StGB wurden zum 01.07.2021 um die Fälle ergänzt, in denen der Täter den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, an oder vor einer dritten Person sexuelle Handlungen vorzunehmen oder diese an sich von einer dritten Person vornehmen zu lassen.

3. Sexueller Missbrauch von Kindern

Zum 01.07.2021 sind die Straftatbestände überarbeitet und erweitert worden, der Strafrahmen wurde dabei vielfach verschärft.

Rechtsgrundlagen sind die §§ 176 - 176d StGB. Dabei bestehen jetzt folgende Straftatbestände:

  • § 176 StGB: Sexueller Missbrauch von Kindern

  • § 176a StGB: Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind

  • § 176b StGB: Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern

  • § 176c StGB: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern

  • § 176d StGB: Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge

  • § 176e StGB: Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern (neuer Straftatbestand seit dem 22.09.2021)

Die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen "vor" einem anderen ist auf solche Handlungen beschränkt, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Täter und Opfer bei der Tatbegehung zwangsläufig in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befinden müssen. Ausreichend ist, dass die sexuelle Handlung von dem Kind zeitgleich akustisch wahrgenommen wird (BGH 21.10.2014 - 1 StR 79/14).

4. Sexueller Missbrauch von Jugendlichen

Die Schutzaltersgrenze bei sexuellem Missbrauch von Jugendlichen beträgt gemäß § 182 StGB achtzehn Jahre.

Mit § 182 StGB soll klargestellt werden, dass das Tatbestandsmerkmal "fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung" nicht im Sinne eines situationsunabhängigen Zustandes zu interpretieren ist, in dem der unter 16 Jahre alte Jugendliche generell, also gleich wem gegenüber und unter welchen Umständen, unfähig ist, in sexuelle Handlungen wirksam einzuwilligen. Dass Personen über 14 Jahre generell nicht in der Lage sind, Bedeutung und Tragweite sexueller Beziehungen angemessen zu erfassen, dürfte eher selten und nur unter bestimmten Umständen, etwa bei geistiger Behinderung oder Entwicklungsverzögerung, anzutreffen sein. Praktisch relevant sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/2601) dagegen Fallgestaltungen, die durch ein Machtgefälle zwischen Jugendlichem und Erwachsenen gekennzeichnet sind, das es dem Jugendlichen erschwert, diesem betreffenden Erwachsenen gegenüber eine freiverantwortliche Entscheidung über das Eingehen einer sexuellen Beziehung zu treffen.

5. Sexueller Missbrauch ohne Körperkontakt

Der sexuelle Missbrauch ohne Körperkontakt ist gemäß § 176a StGB strafbar. Der Strafrahmen wurde zum 01.07.2021 erhöht.

Mit § 176a Absatz 3 Satz 2 StGB wird eine Versuchsstrafbarkeit auch in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3 (Einwirken auf ein Kind mittels eines pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden) eingeführt.

Voraussetzung ist, dass die Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter - entgegen seiner Vorstellung - nicht auf ein Kind einwirkt. Damit wird eine Strafbarkeitslücke geschlossen. Die Täter stellen auch dann eine abstrakte Gefahr für Kinder dar, wenn sie mittels pornographischer Inhalte irrtümlich nicht auf ein Kind, sondern auf einen Jugendlichen, einen Erwachsenen oder eine computergeschaffene Phantomfigur einwirken. Denn letztlich hängt es nur vom Zufall ab, ob es sich bei dem digitalen Gegenüber des Täters tatsächlich um ein Kind handelt oder ob er bei seinen Streifzügen im Internet an ein "Scheinkind" gerät.

6. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornografischer Inhalte

Nach Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Herstellung, Vertrieb, Verbreitung, Weitergabe, Anbieten oder sonstiges Zugänglichmachen von Kinderpornographie sowie Erwerb und Besitz von Kinderpornographie unter Strafe zu stellen. Unter einem Kind ist nach dem Rahmenbeschluss jede Person unter achtzehn Jahren zu verstehen. Diese europäische Vorgabe wurde in § 184c StGB eingefügt.

Die Vorgaben sind in § 184b StGB umgesetzt, siehe insofern den Beitrag "Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen".

 Siehe auch 

DNA-Analyse im Strafprozess

Inobhutnahme

Jugendamt

Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

Kindeswohl - Gefährdung

Prostitution

Sexualstraftaten

Bockemühl: Handbuch des Fachanwalts Strafrecht; 8. Auflage 2021

van Endern: Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Einwirkung auf das Kind - Zur Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2020, 1033

Hörnle: Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3521

Ziemann/Ziethen: Die neue EU-Richtlinie 2011/94/EU zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie; Zeitschrift für Rechtspolitik - ZRP 2012, 168