Rechtswörterbuch

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Kettenarbeitsverhältnis

 Normen 

§ 14 TzBfG

BT-Drs. 20/1636

 Information 

1. Begriffsbestimmung

Als Kettenarbeitsverhältnis wird ein Arbeitsverhältnis bezeichnet, bei dem mehrere befristete Arbeitsverhältnisse zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien aneinander gereiht werden.

Der Begriff des Kettenarbeitsverhältnisses stammt aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und wird heute im Allgemeinen nicht mehr verwendet. In der Bevölkerung hält sich jedoch unausrottbar die (unrichtige) Ansicht, bei einem Kettenarbeitsverhältnis hätte der Arbeitnehmer mit Abschluss des dritten befristeten Arbeitsvertrages einen Anspruch auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

2. Zulässigkeit von Kettenarbeitsverträgen

Nach der jetzigen Rechtslage ist es zunächst grundsätzlich zulässig, beliebig viele befristete Arbeitsverhältnisse aneinander zu reihen, sofern jeder befristete Arbeitsvertrag die juristischen Voraussetzungen erfüllt.

Hinweis:

Aber zu beachten sind die seit dem 01.08.2022 bestehenden Begründungspflichten des Arbeitgebers, siehe unten!

Das BAG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der Sachgrund der Vertretung dazu genutzt werden darf, einen tatsächlich ständigen und dauernden Bedarf zu decken ("Dauervertretung" bzw. "Daueraushilfe").

Der EuGH hat entschieden (EuGH 26.01.2012 - C 90/11), dass in diesen Fällen kein Missbrauch vorliegt und - sofern ein sachlicher Grund vorliegt - auch wiederholt der Vertretungsbedarf mit befristeten Arbeitnehmern gedeckt werden könne. Jedoch müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.

Das BAG hat in Fortführung und Ausfüllung der Vorgaben des EuGH nunmehr folgende Vorgaben aufgestellt:

  • Ein bei dem Arbeitgeber bestehender ständiger Vertretungsbedarf schließt den Sachgrund der Vertretung nicht aus.

  • Aber der andauernde Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen kann rechtsmissbräuchlich sein (Verstoß gegen Treu und Glauben):

    Zur Beurteilung des Rechtsmissbrauchs sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Gesamtdauer und die Anzahl der aufeinander folgenden befristeten Verträge. Dabei ist die Zulässigkeit nach dem vom BAG aufgestellten folgendem Schema wie folgt zu prüfen (BAG 26.10.2016 - 7 AZR 135/15):

    • Unproblematisch ist es, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden.

    • Bei einer Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses von acht Jahren oder mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags hängt es von den weiteren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist.

    • Von einem Rechtsmissbrauch ist grundsätzlich auszugehen, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen.

      In diesen Fällen hat aber der Arbeitgeber die Möglichkeit, besondere Umstände darzulegen, aufgrund derer kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Die Beweislast hat also der Arbeitgeber.

Zu der Zulässigkeit von Kettenbefristungen ist daneben u.a. folgende weitere Rechtsprechung ergangen:

  • Ferner ist zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt (BAG 08.06.2016 - 7 AZR 259/14). Im der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde ein Rechtsmissbrauch abgelehnt bei der wissenschaftlichen Mitarbeiterin einer Hochschule mit 11 befristeten Verträgen in 22 Jahren.

  • Eine Gesamtdauer von 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen indizieren einen Rechtsmissbrauch (BAG 18.07.2012 - 7 AZR 443/09).

  • Kein Rechtsmissbrauch wurde anerkannt bei einer Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen (BAG 18.07.2012 - 7 AZR 783/10).

  • Ein Gestaltungsmissbrauch kann widerlegt sein, wenn ein Arbeitnehmer 15 Jahre lang aufgrund von zehn Arbeitsverträgen befristet beschäftigt wurde zur unmittelbaren Vertretung einer durch Mutterschutz, Elternzeit und Sonderurlaub zur Kinderbetreuung verhinderten Arbeitnehmerin auf deren Arbeitsplatz, der bei dem Arbeitgeber nur einmal vorhanden ist (BAG 29.04.2015 - 7 AZR 310/13).

Hinweis:

Ausblick: Nach dem Koalitionsvertrag soll die Möglichkeit zum Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen mit einem Sachgrund bei einem Arbeitgeber jeglicher Art auf bis zu fünf Jahre beschränkt werden.

3. Begründungspflicht des Arbeitgebers

Der zum 01.08.2022 neu angefügte Absatz 2 des § 18 TzBfG ordnet an, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, und die ihrem Arbeitgeber in Textform den Wunsch nach einem unbefristeten Arbeitsverhältnis anzeigen, Anspruch auf eine begründete Antwort in Textform innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige haben.

Das Arbeitsverhältnis muss länger als sechs Monate bestanden haben. In Fällen, in denen es an einer nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt, greift für die Anrechnung von Unterbrechungszeiten, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 1 Absatz 1 KSchG. Dabei wird die Pflicht zur Begründung der Ablehnung eines unbefristeten Arbeitsvertrags auf einmal jährlich begrenzt.

4. Überprüfung der Zulässigkeit

Bei der Frage der Zulässigkeit wird nur die Zulässigkeit des letzten befristeten Arbeitsverhältnisses überprüft. Unerheblich ist es, ob bereits ausgelaufene befristete Arbeitsverhältnisse wirksam abgeschlossen waren oder nicht.

Schließt der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber vor dem Ablauf des befristeten Arbeitsvertrages einen neuen befristeten Arbeitsvertrag, so kann der Arbeitnehmer die Wirksamkeit des laufenden Arbeitsvertrages nur dann gerichtlich überprüfen lassen, wenn er sich in dem neuen befristeten Arbeitsvertrag das Recht vorbehalten hat, die Wirksamkeit des laufenden Arbeitsvertrages gerichtlich überprüfen zu lassen (BAG 14.02.2007 - 7 AZR 95/06).

Aber auch dann muss die Klage innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 17 TzBfG eingereicht werden (LAG Hessen 24.01.2014 - 3 Sa 413/13).

Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich bei dem letzten Vertrag um einen unselbstständigen Annex zum vorherigen Vertrag handelt, mit dem das bisherige befristete Arbeitsverhältnis nur hinsichtlich seines Endzeitpunkts modifiziert werden sollte.

Zur Annahme eines entsprechenden Parteiwillens für eine Annexregelung reicht es nicht aus, dass der letzte und der vorletzte Vertrag in den Vertragsbedingungen übereinstimmen und die zu erfüllende Arbeitsaufgabe die gleiche bleibt. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten. Diese sind anzunehmen, wenn in dem Anschlussvertrag lediglich eine verhältnismäßig geringfügige Korrektur des im früheren Vertrag vereinbarten Endzeitpunkts vorgenommen wird, diese Korrektur sich am Sachgrund für die Befristung des früheren Vertrags orientiert und allein in der Anpassung der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeit an erst später eintretende, zum Zeitpunkt des vorangegangenen Vertragsabschlusses nicht vorhersehbare Umstände besteht. Alles in allem darf es den Parteien nur darum gegangen sein, die Laufzeit des alten Vertrags mit dem Sachgrund der Befristung in Einklang zu bringen (BAG 07.11.2007 - 7 AZR 484/06).

5. Folgen einer unwirksamen Befristung

Siehe insofern den Beitrag "Befristetes Arbeitsverhältnis - Unwirksame Befristung".

 Siehe auch 

Arbeitsvertrag

Befristetes Arbeitsverhältnis

Befristetes Arbeitsverhältnis - Ältere Arbeitnehmer

Befristetes Arbeitsverhältnis - Form

Befristetes Arbeitsverhältnis - Hochschule

Befristetes Arbeitsverhältnis - Projektarbeit

Befristetes Arbeitsverhältnis - Sachgrund

Befristetes Arbeitsverhältnis - Sachgrund Vertretung

Befristetes Arbeitsverhältnis - Unwirksame Befristung

Befristetes Arbeitsverhältnis - Zulässigkeit

Drosdeck/Bitsch: Zulässigkeit von Kettenbefristungen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2012, 977

Sievers: TzBfG - Kommentar zum Teilzeit- und Befristungsgesetz; 7. Auflage 2022