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Handelsvertreter - Ausgleichsanspruch

 Normen 

§ 89b HGB

 Information 

1. Voraussetzungen

Mit der Beendigung der Vertragsbeziehung steht dem Handelsvertreter gemäß § 89b HGB ein Ausgleichsanspruch aufgrund seiner Akquirierung eines Kundenstammes zu, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Unternehmer hat aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile.

    • Der Begriff "neuer Kunde" darf nicht eng ausgelegt werden. Die Beurteilung, ob es sich um einen neuen oder um einen vorhandenen Kunden handelt, hat anhand der Waren zu erfolgen, mit deren Vermittlung der Handelsvertreter vom Unternehmer beauftragt wurde.

    • In einer Situation, in der der Handelsvertreter nach dem Wortlaut seines Handelsvertretervertrags mit der Vermittlung des Verkaufs eines Teils der Warenpalette des Unternehmers, nicht aber der gesamten Warenpalette betraut wurde, schließt der Umstand, dass eine Person mit diesem Unternehmer bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen unterhielt, nicht aus, dass diese Person als von diesem Handelsvertreter geworbener neuer Kunde angesehen werden kann, wenn es dem Handelsvertreter durch seine Bemühungen gelungen ist, eine Geschäftsverbindung zwischen dieser Person und dem Unternehmer in Bezug auf die Waren zu begründen, mit deren Vertrieb er beauftragt wurde (BGH 06.10.2016 - VII ZR 328/12).

  • Der Ausgleichanspruch entspricht der Billigkeit.

Der Ausgleichsanspruch muss innerhalb eines Jahres, beginnend mit dem Vertragsende, geltend gemacht werden.

Es ist nicht zulässig, wenn der Ausgleichsanspruch von vornherein durch den Provisionsverlust infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird.

Für den Ausgleichsanspruch ist es unerheblich, wenn der Handelsvertreter nach der Beendigung des Vertrages seinen Geschäftsbetrieb eingestellt hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Geschäftseinstellung (unfreiwillig) auf einer Insolvenz beruht (BGH 06.10.2010 - VIII ZR 209/07).

2. Kundenstamm

Der Vorteil des Unternehmers oder Herstellers im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB besteht darin, die vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Geschäftsverbindungen nach Beendigung des Vertrags weiterhin nutzen zu können. Es geht damit um eine Bewertung dieses vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamms ("goodwill"):

"Ein Anspruch des Vertragshändlers gegenüber dem Hersteller auf Auskunft über den von diesem mit dem Produkt insgesamt erzielten Rohertrag zur Durchsetzung eines Ausgleichsanspruchs besteht nicht" (BGH 24.09.2020 - VII ZR 69/19).

Zur Annahme einer Stammkundeneigenschaft von Kunden eines Kraftfahrzeug-Vertragshändlers ist in der Regel eine Nachbestellung innerhalb von fünf Jahren nach dem Erstkauf erforderlich. Dabei liegt nach der Rechtsprechung (BGH 13.07.2011 - VIII ZR 17/09) "ein berücksichtigungsfähiger Mehrkundenverkauf auch dann vor, wenn das zweite Fahrzeug auf den Ehegatten oder einen nahen Angehörigen des Käufers des Erstfahrzeugs zugelassen wurde, da derartige Gestaltungen in erster Linie durch steuerliche oder versicherungsrechtliche Überlegungen bestimmt sind".

Nach der Entscheidung BGH 26.10.2011 - VIII ZR 222/10 besteht der Ausgleichsanspruch auch in dem folgenden Fall: "Übernimmt eine neu gegründete Gesellschaft sowohl die Kunden als auch den Handelsvertreter eines insolvent gewordenen Unternehmens, so sind die bisherigen Kunden des insolventen Unternehmens, die aufgrund der Tätigkeit des Handelsvertreters erstmals ein Geschäft mit dem neu gegründeten Unternehmen abgeschlossen haben, als vom Handelsvertreter geworbene Neukunden dieses Unternehmens anzusehen." Jedoch kann der Ausgleichsanspruch ggf. gekürzt werden.

3. Ausschluss des Anspruchs

Der Ausgleichsanspruch entsteht gemäß § 89b Abs. 3 HGB dann nicht, wenn

  • der Handelsvertreter selbst kündigt und der Unternehmer keinen Anlass zu der Kündigung gegeben hat.

  • der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag.

    Erforderlich ist ein eigenes Verschulden des Handelsvertreters. Das Fehlverhalten einer seiner Hilfspersonen ist ihm nicht zuzurechnen (BGH 18.07.2007 - VIII ZR 267/05).

  • aufgrund einer Vereinbarung der Vertragsparteien ein Dritter an die Stelle des Handelsvertreters tritt.

Der Anspruch kann gemäß § 89b Abs. 4 HGB nicht im Voraus ausgeschlossen werden.

Eine Vertragsbestimmung in einem Handelsvertretervertrag, wonach ein Teil der dem Handelsvertreter laufend zu zahlenden Vergütung auf den künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, verstößt im Zweifel gegen die zwingende Vorschrift des § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB und ist daher in der Regel gemäß § 134 BGB nichtig. Eine solche Vertragsbestimmung ist nur dann rechtswirksam, wenn sich feststellen lässt, dass die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede keine höhere Provision vereinbart hätten, als dem Teil der Gesamtvergütung entspricht, der nach Abzug des abredegemäß auf den Ausgleichsanspruch anzurechnenden Teils verbleibt. Die Beweislast dafür, dass diese Voraussetzung vorliegt, trifft den Unternehmer. Ist eine derartige Vertragsbestimmung hiernach nichtig, so ist der zur Anrechnung vorgesehene Teil der Vergütung als vom Unternehmer geschuldeter Teil der Gesamtvergütung anzusehen (BGH 14.07.2016 - VII ZR 297/15).

 Siehe auch 

Delkrederehaftung

Handelsbrauch

Handelsgeschäft

Handelsvertreter - Provision

Handlungsvollmacht

Industrie- und Handelskammer (IHK)

Kaufmann

Kommission

Prokura

Provision

Wettbewerbsverbot - Wirtschaftsrecht

Christoph: Muss der Handelsvertreterausgleich neu berechnet werden?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 647

Ensthaler: Gemeinschaftskommentar zum Handelsgesetzbuch mit UN-Kaufrecht; 8. Auflage 2015