Rechtswörterbuch

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach Themen im Rechtswörtebuch zu suchen!

Gleichheitsgebot

 Normen 

Art. 3 GG

Art. 6 GG

Art. 33 GG

Art. 38 GG

 Information 

1. Das allgemeine Gleichheitsgebot

1.1 Inhalt des Gleichheitsgebots

Das Gleichheitsgebot ist eines der Grundrechte.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Die Rechtsprechung hat zu diesem Gebot folgende Grundsätze erlassen:

"Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen" (BVerfG 18.07.2019 - 1 BvR 807/12).

"Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen" (BVerfG 23.06.2015 - 1 BvL 13/11).

1.2 Verletzung des Gleichheitsgebots

Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist in folgenden Schritten zu prüfen:

  • Ist eine Gruppe in einer bestimmten Weise rechtlich behandelt?

  • Ist eine andere Gruppe nicht in dieser Weise rechtlich behandelt?

  • Können beide Gruppen unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammengefasst werden?

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen folgende Grundsätze (BVerfG 23.05.2001 - 1 BvR 1392/99):

"Dabei liegt es grundsätzlich in der Zuständigkeit des Gesetzgebers, die Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will. Der Gesetzgeber muss allerdings seine Auswahl sachgerecht treffen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachbereichs, der geregelt werden soll (...). Art. 3 Abs. 1 GG ist danach verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (...)."

2. Die gesetzlich geregelten speziellen Gleichheitsgebote

2.1 Gleichberechtigung von Männern und Frauen

Die in Art. 3 Abs. 2 GG vorgegebene Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist Aufgabe der Gleichstellungsdurchsetzung.

Von dem Grundsatz der Rechtsgleichheit wird im Grundgesetz selbst beispielsweise durch die Regelungen in den Art. 6 Abs. 4 GG, Art. 12a Abs. 1 , Abs. 4 S. 2 GG abgewichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau durch biologische oder funktionale Unterschiede im Hinblick auf das zu regelnde Lebensverhältnis erlaubt bzw. geboten (BVerfGE 43, 226). Darüber hinaus wurde in der Rentenalterentscheidung des BVerfG als weiterer Grund für eine Ungleichbehandlung der der Kompensation für erlittene Nachteile entwickelt (BVerfG 28.01.1987 - 1 BvR 455/82).

2.2 Weitere Differenzierungskriterien

Eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes enthalten ferner die in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltenen Differenzierungsverbote. Die dort aufgeführten Merkmale (Geschlechts, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen) dürfen nicht für eine Benachteiligung oder Bevorzugung herangezogen werden.

Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus (BVerfG 25.10.2005 - 2 BvR 524/01):

"Diese Verfassungsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz (...), indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Danach darf das Geschlecht grundsätzlich nicht Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung sein. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt. (...) An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Fehlt es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, lässt sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren."

Beispiel:

Bei Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BPolG muss die Bundespolizei grundsätzlich nicht darlegen und beweisen, dass ein Merkmal nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG für die Auswahl einer dieses Merkmal aufweisenden Person kein mittragendes bzw. mitentscheidendes Kriterium gewesen ist. Allein aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG folgte keine prozessuale Beweislastumkehr. Wird bei Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BPolG jedoch anstelle einer "Jedermann-Kontrolle" eine Vorauswahl der zu kontrollierenden Personen getroffen, weil bei diesen eine zwar unspezifische, aber gesteigerte Nähe zum Normzweck angenommen wird, setzt eine solche zielgerichtete Auswahl eine schlüssige, die Auswahlentscheidung tragende Begründung voraus (OVG Rheinland-Pfalz 21.04.2016 - 7 A 11108/14).

2.3 Behindertengleichstellung

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden; eine Schlechterstellung Behinderter ist nur zulässig, wenn dafür zwingende Gründe vorliegen. Untersagt sind auf die Behinderung bezogene Ungleichbehandlungen, die für den behinderten Menschen zu einem Nachteil führen. Eine verbotene Benachteiligung liegt nicht nur bei Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen der Behinderung verschlechtern. Eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird. Das Verbot der Benachteiligung Behinderter ist Grundrecht und zugleich objektive Wertentscheidung. Aus ihm folgt - über das sich aus dem Wortlaut unmittelbar ergebende Verbot der Benachteiligung hinaus - im Zusammenwirken mit speziellen Freiheitsrechten, dass der Staat eine besondere Verantwortung für behinderte Menschen trägt. Nach dem Willen des Verfassungsgebers fließt das Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen als Teil der objektiven Wertordnung auch in die Auslegung des Zivilrechts ein (BVerfG 24.03.2016 - 1 BvR 2012/13).

Beispiel:

"Das scheinbar neutrale Verbot, Hunde in die Orthopädische Gemeinschaftspraxis mitzuführen, benachteiligt die Beschwerdeführerin wegen ihrer Sehbehinderung in besonderem Maße. Denn das Durchgangsverbot verwehrt es ihr, die Praxisräume selbständig zu durchqueren, was sehenden Personen ohne Weiteres möglich ist. Das Kammergericht stellt darauf ab, dass die Beschwerdeführerin selbst gar nicht daran gehindert werde, durch die Praxisräume zu gehen, sondern sich wegen des Verbots, ihre Führhündin mitzunehmen, nur daran gehindert sehe. Hierbei beachtet es nicht den Paradigmenwechsel, den Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG mit sich gebracht hat. Denn es vergleicht die Beschwerdeführerin nicht mit anderen - nicht behinderten - selbständigen Personen, sondern erwartet von ihr, sich von anderen Personen helfen zu lassen und sich damit von ihnen abhängig zu machen. Dabei verkennt das Gericht, dass sich die Beschwerdeführerin ohne ihre Führhündin einer unbekannten oder wenig bekannten Person anvertrauen und sich, ohne dies zu wünschen, anfassen und führen oder im Rollstuhl schieben lassen müsste. Dies kommt einer - überholten - Bevormundung der Beschwerdeführerin gleich, weil es voraussetzt, dass diese die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre (zeitweise) aufgibt" (BVerfG 30.01.2020 - 2 BvR 1005/18).

Hinweis:

Das Urteil ist insoweit überholt, als dass nach dem neuen § 12e BGG Träger öffentlicher Gewalt sowie Eigentümer, Besitzer und Betreiber von beweglichen oder unbeweglichen Anlagen und Einrichtungen Menschen mit Behinderungen den Zutritt zu ihren typischerweise für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglichen Anlagen und Einrichtungen nicht wegen der Begleitung durch den Assistenzhund oder Blindenführhund verweigern dürfen; sie trifft insoweit eine Duldungspflicht.

2.4 Beruflicher Zugang zu Ämtern und Arbeitsstellen des öffentlichen Dienstes

Art. 33 GG verbürgt gleiche Staatsbürgerrechte für die aufgeführten Personenkreise.

Zu den weiteren Inhalten siehe die Beiträge "Konkurrentenschutz öffentlicher Dienst" und "Beförderung eines Beamten".

2.5 Nichteheliche Kinder

Art. 6 Abs. 5 GG enthält den Auftrag an den Gesetzgeber, nichtehelichen und ehelichen Kindern die gleichen Lebensbedingungen zu schaffen.

2.6 Gleichheit der Wahl

Die Gleichheit der Wahl ist in Art. 38 GG festgelegt.

 Siehe auch 

Behindertengleichstellung

Gleichbehandlungsgrundsatz

Gleichstellungsdurchsetzung

Grundrechte

Grundrechte - Drittwirkung der

Britz: Der allgemeine Gleichheitssatz in der Rechtsprechung des BVerfG. Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch Gesetz; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 346

Di Fabio: Steuern und Gerechtigkeit. Das Freiheits- und Gleichheitsgebot im Steuerrecht; Juristenzeitung - JZ 2007, 749

Engel: Erbschaftsteuer bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes?; Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ 2003, 75

Kempny/Lämmle: Der "allgemeine Gleichheitssatz" des Art. 3 Abs. 1 GG im juristischen Gutachten; Juristische Schulung - JuS 2020:

  • Teil 1: Persönlicher Anwendungsbereich: Seite 22
  • Teil 2: Ungleichbehandlung, Rechtfertigung: Seite 113
  • Teil 3: Rechtfertigung, Rechtsfolgen: Seite 215