Rechtswörterbuch

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach Themen im Rechtswörtebuch zu suchen!

Fürsorgepflicht - Arbeitsrecht

 Normen 

§ 241 Abs. 2 BGB

§ 618 BGB

§ 12 AGG

 Information 

1. Allgemein

Die Fürsorgepflicht ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis. Sie korrespondiert mit der Treuepflicht des Arbeitnehmers.

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Gemäß der allgemeinen schuldrechtlichen Bestimmung des § 241 Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis nur unter Berücksichtigung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitnehmers auszuüben.

Fürsorgepflicht bei einem leistungsgeminderten Arbeitnehmer:

"Im Arbeitsverhältnis folgt daraus die Verpflichtung jedes Vertragspartners, seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, seine Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann (....). Die Vertragspartner können deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem Vertragspartner die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen bzw. zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen (...). Im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht kann es auch geboten sein, auf den Wunsch nach Vertragsanpassungen als Reaktion auf unerwartete Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse einzugehen, insbesondere wenn anderenfalls in Dauerschuldverhältnissen Unvermögen des Schuldners droht (...). Eine derartige Vertragsanpassungspflicht wird jedenfalls dann zu erwägen sein, wenn die Vertragsänderung die Interessen des Gläubigers nicht beeinträchtigt, andererseits aber dem Schuldner ohne Vertragsänderung erheblicher Schaden droht" (BAG 13.08.2009 - 6 AZR 330/08).

Dennoch hat das Arbeitsgericht Herne den Antrag eines Arbeitnehmers auf Umsetzung in eine andere Abteilung der (großen) Behörde trotz einer amtsärztlich bestätigten Gesundheitsbeeinträchtigung des Arbeitnehmers durch das Führungsverhalten des Vorgesetzten abgelehnt (ArbG Herne 21.01.2022 - 5 Ca 1586/21). Dem Organisationsermessen der Arbeitgebers sei insoweit der Vorrang einzuräumen.

Das Urteil wurde mit der Entscheidung LAG Hamm 27.10.2022 - 11 Sa 254/22 bestätigt. Nach der Ansicht des LAG liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, mit welchen Maßnahme der Arbeitgeber auf Belästigungen eines Arbeitnehmers durch einen Vorgesetzten reagiert. Dabei muss der Arbeitnehmer auch eine vom Arbeitgeber angebotene Mediation annehmen, auch wenn zuvor bereits Gesprächsversuche zwischen den Parteien gescheitert sind. Ein Anspruch auf Umsetzung auf einen seiner Berufsausbildung entsprechenden Arbeitsplatz besteht nicht. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine große Behörde handelt und viele andere, zur Qualifikation des Arbeitnehmers passende Arbeitsplätze vorhanden und ausgeschrieben sind.

2. Spezielle Ausformungen der Fürsorgepflicht

Die Fürsorgepflicht ist Grundlage vieler arbeitsrechtlicher Bestimmungen:

  • Pflicht des Arbeitgebers gemäß § 618 BGB, die Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahren für sein Leben und seine Gesundheit geschützt ist.

  • Schutz vor sexueller Belästigung.

  • Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers z.B. in der Arbeitsstättenverordnung.

  • Schutz vor Mobbing.

  • Schutz vor Benachteiligungen im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 12 AGG).

    Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen seiner Beschäftigten abzuwenden bzw. ihnen vorzubeugen. Dies gilt auch, wenn die Benachteiligung von anderen Beschäftigten oder Dritten (soweit der Arbeitsbereich betroffen ist) ausgeht. Er ist verpflichtet, gegenüber den Beschäftigten, von denen die Benachteiligung ausgeht, arbeitsrechtliche Sanktionen wie eine Abmahnung, eine Versetzung, eine Umsetzung oder eine Kündigung auszusprechen.

3. Beginn und Ende der Fürsorgepflicht

Sie beginnt mit der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses und besteht auch nach der Beendigung mit gewissen Pflichten (z.B. Ausstellen eines korrekten Arbeitszeugnisses) fort.

4. Verpflichtung zum Schutz der Sachen des Arbeitnehmers

Auch die Pflicht des Arbeitgebers, eingebrachte Sachen des Arbeitnehmers zu schützen, ist Teil der Fürsorgepflicht. Dabei ist zu differenzieren:

  • Persönlich unentbehrliche Sachen: Der Arbeitgeber muss eine geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit schaffen. Beispiele: Jacken, Uhr, angemessener Geldbetrag. Bei einem Verstoß gegen die Fürsorgepflicht besteht ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber.

  • Unmittelbar arbeitsdienliche Sachen: Beispiele: Arbeitskittel, Werkzeuge. Es gelten die Grundsätze der persönlich unentbehrlichen Sachen.

  • Mittelbar arbeitsdienliche Sachen: Beispiele: Fahrräder, PKWs. Hier ist die Fürsorgepflicht eingeschränkt. Es besteht nur eine Verwahrungs- und Obhutspflicht.

    Grundsätzlich muss der Arbeitgeber einen Abstellplatz für Fahrräder zur Verfügung stellen, die Pflicht zur Bereitstellung eines Parkplatzes besteht nur in Ausnahmefällen. Stellt der Arbeitgeber einen Parkplatz zur Verfügung, obliegt ihm die Verkehrssicherungspflicht. Es besteht aber keine Überwachungspflicht, d.h. der Arbeitgeber haftet nicht für Beschädigungen durch Dritte.

  • Sonstige Sachen des Arbeitnehmers.

 Siehe auch 

Abmahnung

Arbeitsunfall

Arbeitszeugnis

Direktionsrecht

Gleichbehandlungsgrundsatz

BVerfG 23.05.2005 - 2 BvR 583/05 (Fürsorgepflicht bei der Abordnung)

BAG 17.02.1998 - 9 AZR 130/97 (Ärztliche Empfehung zum Wechsel des Arbeitsplatzes)

Compensis: Die Fürsorgepflichtverletzung im Anwaltsarbeitsverhältnis; Betriebs-Berater - BB 1996, 321

Kleinebrink: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beim betrieblichen Gesundheitsmanagement; Der Betrieb 2021 - DB 18

Schaub: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers; Neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2004, 3593

Schliemann: Fürsorgepflicht und Haftung des Arbeitgebers beim Einsatz von Arbeitnehmern im Ausland; Betriebs-Berater - BB 2001, 1302

Schwarz-Seeberger: Fürsorgepflicht des Dienstgebers; Die Mitarbeitervertretung - ZMV 2012, 307