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Europäische Bürgerinitiative

 Normen 

VO 2019/788

EBIG

BT-Drs. 20/2241

Art. 11 Abs. 4 EUV

Art. 24 AEUV

 Information 

1. Allgemein

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens (Bürgerinitiative) eingeführt. Ziel ist es, Bürgern eine direkte Teilnahme an der Gesetzgebung der Europäischen Union zu ermöglichen.

Mit einer erfolgreichen Bürgerinitiative können die Organisatoren die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

Rechtsgrundlagen sind Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 24 AEUV sowie Art. 203a der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Gemäß Art. 24 AEUV werden die Einzelheiten der Europäischen Bürgerinitiative in einer EU-Verordnung festgelegt.

Rechtsgrundlage ist seit dem 01.01.2020 die VO 2019/788.

Ziel der neuen Verordnung ist es gemäß dem Erwägungsgrund 5 der Verordnung, die Europäische Bürgerinitiative für Organisatoren und Teilnehmer zugänglicher, unbürokratischer und leichter handhabbar zu gestalten und ihre Weiterbehandlung zu verbessern, damit sie ihr Potenzial als Instrument zur Förderung der öffentlichen Debatte voll entfalten kann. Auf diesem Wege sollte auch die Beteiligung möglichst vieler Bürger am demokratischen Beschlussfassungsverfahren der Union ermöglicht werden.

2. Verfahren

Bevor die Organisationen mit der Sammlung von Unterstützungsbekundungen bei Unterzeichnern für eine geplante Bürgerinitiative beginnen, sind sie verpflichtet, die Bürgerinitiative bei der Kommission anzumelden.

Die Internetseite zur Registrierung von Bürgerinitiativen kann unter der folgenden Adresse eingesehen werden: http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/welcome?lg=de. Die Internetseite informiert auch allgemein über die Europäische Bürgerinitiative.

Die Unterzeichner einer Bürgerinitiative müssen aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten stammen. Dabei müssen in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten die Unterzeichner zumindest die zum Zeitpunkt der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative in Anhang I der VO 2019/788 genannte Mindestzahl an Bürgern umfassen.

Für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen dürfen nur Formulare verwendet werden, die den in Anhang III der VO 2019/788 dargestellten Mustern entsprechen und in einer der Sprachfassungen vorliegen, die im Register für die betreffende geplante Bürgerinitiative angegeben sind.

Die Sammlung der Unterstützungsbekundungen unterliegt einer Frist: Gemäß Art. 8 VO 2019/788 müssen die Unterstützungsbekundungen innerhalb von zwölf Monaten nach der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative erfolgen. Nach Ablauf dieses Zeitraums wird im Register vermerkt, dass der Zeitraum abgelaufen ist, und gegebenenfalls, dass nicht die erforderliche Anzahl an Unterstützungsbekundungen eingegangen ist.

Die VO 2019/788 über die Europäische Bürgerinitiative gilt unmittelbar in Deutschland. Die Durchführung und Anwendung der Norm erfordert jedoch nationale Zuständigkeitszuweisungen und Verfahrensfestlegungen. Diese sind mit dem "Gesetz zur Europäischen Bürgerinitiative (EBIG)" erlassen worden.

Zuständigkeit:

Zuständig ist gemäß § 1 EBIG Bundesverwaltungsamt. Dieses ist u.a. zuständig für die Koordinierung der Überprüfung der Unterstützungsbekundungen, das Ausstellen der Bescheinigung über die Anzahl der gültigen Unterstützungsbekundungen.

Durch Artikel 12 Absatz 1 der EBI-Verordnung ist jeder Mitgliedstaat nun - unabhängig vom Wohnort des Unterstützers - nur noch für die Zertifizierung der Unterstützungsbekundungen seiner eigenen Staatsangehörigen zuständig. Die Zuständigkeit für Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten, die auf dem eigenen Staatsgebiet wohnhaft sind, ist damit entfallen.

§ 1 Abs. 4 EBIG stellt fest, dass das BVA für seine Aufgaben nach den Absätzen 1 bis 3 keine Gebühren oder Auslagen erhebt.

Online-Sammelsystem:

Durch die neue EBI-Verordnung wurde ein zentrales Online-Sammelsystem eingeführt, das von der Kommission betrieben wird. Die parallel dazu bestehende Möglichkeit, individuelle Online-Sammelsysteme zu nutzen, für deren Zertifizierung das BSI zuständig war, ist mit Ablauf des 31. Dezember 2022 entfallen.

Kontaktstelle:

Das Bundesverwaltungsamt ist gemäß § 1 Abs. 2 EBIG auch die deutsche Kontaktstelle. Aufgabe der Kontaktstelle ist es die Organisatorengruppen gemäß dem geltenden Unionsrecht und dem geltenden einzelstaatlichen Recht bei der Einleitung einer EBI durch Informationen und sonstige Hilfestellung kostenlos unterstützen. Dies gilt auch für den Zugang von Menschen mit Behinderungen.

Sammeln von Unterstützungsbekundungen:

§ 2 EBIG normiert Vorgaben für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen. Die Organisatoren müssen Unterstützungsbekundungen getrennt nach Mitgliedstaaten sammeln. Deutsche mit Wohnsitz im Ausland haben die Möglichkeit, sich auf Formularen zu beteiligen, die Deutschland zugerechnet werden. Relevant ist dies insbesondere für Deutsche, die außerhalb der EU leben.

Durch die neue EBI-Verordnung wurde die Möglichkeit geschaffen, bei Unterstützungsbekundungen ein elektronisches Identifizierungsverfahren zu nutzen. Die Anwendung dieses Verfahrens richtet sich nach der "VO 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt". Deutschland hat die hiernach erforderlichen Vorkehrungen getroffen und auf nationaler Ebene für die Möglichkeit gesorgt, den elektronischen Identitätsnachweis gemäß § 18 des Personalausweisgesetzes zur elektronischen Identifizierung zu nutzen.

Auch nach der neuen EBI-Verordnung besteht die Möglichkeit, Unterstützungsbekundungen durch Unterzeichnung mit einer elektronischen Signatur im Sinne der VO 910/2014 oder in Papierform abzugeben.

Zertifizierung von Unterstützungsbekundungen:

Durch die neue EBI-Verordnung wurde die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Zertifizierung von Unterstützungsbekundungen geändert. Nach Art. 12 Abs. 1 VO 2019/788 ist jeder Mitgliedstaat nun - unabhängig vom Wohnort des Unterstützers - nur noch für die Zertifizierung der Unterstützungsbekundungen seiner eigenen Staatsangehörigen zuständig. Das Gesetz wurde in § 3 Abs. 1 EBIG an diese Änderung angepasst.

§ 3 Abs. 2 EBIG bestimmt, dass die Überprüfung stichprobenartig durchgeführt wird. Diese Möglichkeit ist ausdrücklich in Erwägungsgrund (25) vorgesehen und soll genutzt werden, um den Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Umfang zu halten. Das Stichprobenverfahren entspricht nationalen Gepflogenheiten, da verschiedene Landesgesetze die Möglichkeit stichprobenartiger Überprüfung von Unterschriften bei Volksbegehren vorsehen. Die Stichprobengröße soll im Einzelfall durch das Bundesverwaltungsamt bestimmt werden.

Mindestalter:

Die neue EBI-Verordnung eröffnet den Mitgliedstaaten in Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 die Möglichkeit, das Mindestalter für die Unterstützung einer EBI von dem Wahlalter zum Europäischen Parlament abzukoppeln und unabhängig davon auf 16 Jahre festzusetzen. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber mit § 4 EBIG Gebrauch gemacht. Erklärtes Ziel ist es, junge Menschen früher in politische Entscheidungen und Prozesse einzubinden und es ihnen zu ermöglichen, aktiv am politischen Leben teilzunehmen. Aber: Die Organisation einer EBI ist nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 der neuen EBI-Verordnung weiterhin EU-Bürgern vorbehalten, die das zur Ausübung des aktiven Wahlrechts bei Wahlen zum Europäischen Parlament erforderliche Mindestalter erreicht haben. In Deutschland liegt dieses Grenze damit weiterhin bei 18 Jahren.

Neuer Ordnungswidrigkeitstatbestand:

Durch § 5 EBIG wurde zum 01.01.2023 eine neue Ordnungswidrigkeit eingeführt: Der Fall, dass eine Person das Ergebnis der von deutschen Staatsangehörigen gesammelten Unterstützungsbekundungen einer EBI erhöht, indem sie eigene personenbezogene Daten mehrfach oder fremde oder fiktive personenbezogene Daten für die Unterstützung verwendet, war von dem Ordnungswidrigkeitenkatalog des EBIG zuvor nicht erfasst. Nach Artikel 9 Absatz 6 in Verbindung mit Anhang III der EBI-Verordnung darf jede Person eine EBI nur einmal und unter Angabe ihrer persönlichen Daten unterstützen. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach und versucht eine EBI durch Angabe unzutreffender Daten bzw. durch Mehrfachangabe der eigenen Daten zu unterstützen, so besteht die Gefahr, dass hierdurch das Ergebnis der entsprechenden EBI verfälscht wird. Gegebenenfalls könnte eine EBI allein hierdurch das notwendige Quorum in Deutschland erlangen und so auch auf EU-Ebene zu einem verfälschten Ergebnis führen.

 Siehe auch 

Bürgerentscheid

Europäisches Parlament

Petition

Unionsbürgerschaft

Volksentscheid

Bühlmeier/Zimmermann: Die reformierte Europäische Bürgerinitiative; Ausbildung, Prüfung, Fortbildung (Zeitschrift für staatliche und kommunale Verwaltung) - apf/GA 2021, 27