Rechtswörterbuch

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Erbrecht in der EU

 Normen 

VO 650/2012 (EuErbVO)

IntErbRVG

VO 1329/14

 Information 

1. Allgemein

Mit der VO 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist eine Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Erbfälle in der Europäischen Union geschaffen worden.

Ziel der Erbrechtsverordnung ist es, dass die Abwicklung von grenzüberschreitenden Erbfällen (derzeitiges Volumen: 123 Milliarden EUR) nach einheitlichen Regelungen erfolgt. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung soll sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen erstrecken, und zwar auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge.

2. Örtlicher Anwendungsbereich

Die Verordnung gilt in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien.

3. Inhalt

Die Verordnung regelt bestimmte Verfahrensfragen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Erbfällen.

Beispiel:

Nach dem Recht der Erbrechtsverordnung richtet sich das auf den Erbfall anzuwendende Recht nach dem Ort des letzten Aufenthaltes des Erblassers, d.h. bei einem in Deutschland lebenden Franzosen ist deutsches Erbrecht anzuwenden. Der Erblasser kann jedoch auch in einer letztwilligen Verfügung (Testament etc.) die Geltung seines heimatlichen Rechts bestimmen.

Das nationale Erbrecht der Mitgliedstaaten wird durch die Verordnung nicht geändert.

Die EU-Kommission hat einen Leitfaden für Bürgerinnen und Bürger zu dem Thema "Grenzüberschreitende Erbfälle" veröffentlicht. Der Leitfaden stellt die wichtigsten Inhalte und Grundsätze der Erbrechtsverordnung (EU) Nr. 650/2012 vor. Er ist unter dem folgenden Link veröffentlicht:

https://op.europa.eu/o/opportal-service/download-handler?identifier=61afb4c0-a71b-11e7-837e-01aa75ed71a1&format=pdf&language=de&productionSystem=cellar&part=https://op.europa.eu/o/opportal-service/download-handler?identifier=61afb4c0-a71b-11e7-837e-01aa75ed71a1&format=pdf&language=de&productionSystem=cellar&part=

4. Europäische Nachlasszeugnis

Daneben wird mit der Verordnung das Europäische Nachlasszeugnis geschaffen: Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sind, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachzuweisen. Das Europäische Nachlasszeugnis entspricht im EU-Erbrecht dem deutschen Erbschein. Dementsprechend soll das Europäische Nachlasszeugnis folgende Zwecke erfüllen:

  • Nachweis der Rechtsstellung und/oder der Rechte jedes Erben oder gegebenenfalls Vermächtnisnehmers, der im Zeugnis genannt wird, und seines jeweiligen Anteils am Nachlass.

  • Nachweis der Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die in dem Zeugnis als Erbe(n) oder gegebenenfalls als Vermächtnisnehmer genannte(n) Person(en).

  • Nachweis der Befugnisse der in dem Zeugnis genannten Person zur Vollstreckung des Testaments oder Verwaltung des Nachlasses.

Das Verfahren über die Ausstellung, Berichtigung, Änderung oder den Widerruf eines Europäischen Nachlasszeugnisses, die Erteilung einer beglaubigten Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses oder die Verlängerung der Gültigkeitsfrist einer beglaubigten Abschrift und die Aussetzung der Wirkungen eines Europäischen Nachlasszeugnisses bestimmt sich nach den §§ 33 ff. IntErbRVG.

Der EuGH hat nach einer Vorlagefrage des Kammergerichts (Berlin) geurteilt, dass ein deutsches Gericht nicht befugt ist, einen Erbschein auszustellen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hatte und Nachlassvermögen auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats belegen ist, in dem er seinen letzten Aufenthalt hatte oder der Erblasser diese Staatsangehörigkeit besaß (EuGH 21.06.2018 - C 20/17).

In diesem Fall ist den deutschen Erben zu raten, in dem jeweiligen Mitgliedsland ein Europäisches Nachlasszeugnis zu beantragen, mit dem auch in Deutschland die Erbenstellung nachgewiesen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn das Erbe in Deutschland belegen ist.

5. Verfahrensrecht

Die zur Durchführung der VO 650/2012 erforderlichen Verfahrensvorschriften sind in dem Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) geregelt.

Enthalten sind Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit (§§ 2, 47 IntErbRVG), zur Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen erbrechtlichen Titeln sowie zur Anerkennungsfeststellung (§§ 3 - 30 IntErbRVG), zur Entgegennahme von Erklärungen der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft (§ 31 IntErbRVG), zum Aneignungsrecht (§ 32 IntErbRVG), zum Europäischen Nachlasszeugnis (§§ 33 - 44 IntErbRVG) und zur Authentizität von Urkunden§§ 45 und 46 IntErbRVG).

6. Beginn der Anwendbarkeit und Übergangsbestimmungen

Die VO 650/2012 ist gemäß Art. 83 Abs. 1 VO 650/2012 anwendbar auf die Rechtsnachfolge von Personen, die am 17. August 2015 oder danach verstorben sind. Die Übergangsfrist soll es allen Betroffenen ermöglichen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.

Daneben bestehen gemäß Art. 83 Abs. 2 und 3 VO 650/2012 folgende Übergangsvorschriften: Hatte der Erblasser das auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vor dem 17. August 2015 gewählt oder durch eine Verfügung von Todes wegen bestimmt, so ist diese Rechtswahl wirksam,

  • wenn sie die Voraussetzungen der Art. 20 VO 650/2012 erfüllt

    oder

  • wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Rechtswahl geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besass, wirksam ist.

7. Rechtsmissbräuchliche Wahl

Die Anwendung des gemäß Art. 22 Abs. 1 VO 650/2012 (EuErbVO) gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht (BGH 29.06.2022 - IV ZR 110/21).

 Siehe auch 

Internationales Güterrecht

Internationales Privatrecht

Erbfolge

Erbrecht des Ehegatten

Erbschein

http://www.successions-europe.eu (Grundzüge des Erbrechts in den EU-Mitgliedstaaten)

Buschbaum: Die neue EU-Erbrechtsverordnung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2012, 2393

Döbereiner: Das Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 2449

Lorenz: Ehegattenerbrecht bei gemischt-nationalen Ehen - Der Einfluss des Ehegüterrechts auf die Erbquote; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 2157

Milzer: Die gerichtliche Zuständigkeit für den Erbenstreit um das europäische Nachlasszeugnis; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 2997

Weber/Schall: Internationale Zuständigkeit für die Erteilung deutscher Erbscheine: (K)eine Frage der Europäischen Erbrechtsverordnung? Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2016, 3564