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Berufung - Zivilprozess

 Normen 

§§ 511 - 541 ZPO

 Information 

1. Allgemein

Die Berufung ist das statthafte Rechtsmittel gegen Endurteile der ersten Instanz.

Eine unzulässige Hauptberufung ist in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudenken, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird (BGH 02.02.2016 - VI ZB 33/15).

Die Zulässigkeit der Berufung scheitert auch nicht an der Falschbezeichnung der beklagten Partei, wenn sich anhand der weiteren Angaben in der Rechtsmittelschrift sowie des beigefügten Urteils ersehen lässt, wer Beklagter sein soll (BGH 24.07.2013 - XII ZB 56/13). Siehe insofern auch den Beitrag "Rubrum".

2. Voraussetzungen

Die Berufung kann eingelegt werden, wenn

  • der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt

    Auch wenn das Berufungsgericht die Berufung verwirft, weil die Berufungssumme nicht erreicht ist, muss der Beschluss den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben sowie den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (BGH 29.10.2013 - VI ZB 2/13).

    oder

  • die Berufung durch das Gericht des ersten Rechtszuges zugelassen worden ist. Dies erfolgt, wenn die Sache grundlegende Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert.

3. Berufungsgründe / Berufungsbegründung

Die Begründung kann auf zwei Gründe gestützt werden:

  • Die Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO

    oder

  • die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung.

    Der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug gilt, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, nicht für unstreitige Tatsachen. Aus der Auslegung der §§ 529 Absatz 1 Nummer 2, 531 ZPO ergibt sich, dass unter "neue Angriffs- und Verteidigungsmittel" im Sinne des § 531 ZPO lediglich streitiges und beweisbedürftiges Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung ohne Weiteres zugrunde zu legen (BGH 20.05.2009 - VIII ZR 247/06).

    Wird eine Berufung ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt, kann sie ohne Weiteres durch Beschluss verworfen werden, wenn die Berufungsbegründung keine Angaben zu den Tatsachen enthält, die eine Zulassung des neuen Vorbringens rechtfertigen. Dass das Vorbringen zuzulassen wäre, wenn es sich im Verlauf des Berufungsverfahrens als unstreitig erwiese, steht dem nicht entgegen (BGH 09.10.2014 - V ZB 225/12).

Der notwendige Inhalt des Begründungsschriftsatzes ist durch § 520 Abs. 3 ZPO konkretisiert worden: Danach sind in der Berufungsbegründung die Rechtsverletzung, die Anhaltspunkte, aufgrund derer sich Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Tatsachenfeststellung ergeben, sowie die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel anzugeben.

D.h.: Die Berufungsbegründung muss eine aus sich heraus verständliche Angabe enthalten, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen (BGH 03.03.2015 - VI ZB 6/14).

Wird mit der Berufung eine Rechtsverletzung gerügt, z.B. eine Beweiswürdigung, so sind in der Begründung diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die der Berufungskläger als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BGH 13.09.2012 - III ZB 24/12).

Begründung muss alle Streitgegenstände erfassen:

"Eine Berufungsbegründung muss geeignet sein, die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Anfechtung in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand hat sie sich daher grundsätzlich auf alle Teile des Urteils zu erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig" (BGH 05.07.2022 - VIII ZR 137/21).

4. Frist

Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, für die Berufungsbegründung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (BGH 09.06.2010 - XII ZB 132/09).

Die Frist zur Berufungsbegründung kann auf Antrag verlängert werden, ohne Zustimmung des Gegners aber nur bis zu einem Monat. Dabei ist der Prozessbevollmächtigte nicht verpflichtet, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern (BGH 05.06.2012 - VI ZB 16/12).

Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, sofern er erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit dargelegt hat. Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wurde, wenn er nach dem Inhalt der mitgeteilten Gründe auf eine Verlängerung vertrauen durfte (BGH 26.01.2017 - IX ZB 34/16).

Nach dem Urteil BGH 22.06.2005 - XII ZB 34/04 ist die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger (ohne eine Verlängerung der Begründungsfrist zu beantragen) innerhalb der Begründungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hatte und er die Berufungsbegründung nach der Gewährung der Prozesskostenhilfe innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachholt.

5. Form

Die Berufung muss schriftlich durch das beA eingereicht werden. Das Schriftformerfordernis ist erfüllt, wenn dem Berufungsgericht ein Ausdruck der als Anhang einer elektronischen Nachricht übermittelten, die vollständige Berufungsbegründung enthaltenden Bilddatei (hier: PDF-Datei) vorliegt. Ist die Datei durch Einscannen eines vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatzes hergestellt, ist auch dem Unterschriftserfordernis des § 130 Nr. 6 ZPO genügt (BGH 15.07.2008 - X ZB 8/08).

Der BGH hat in der Entscheidung BGH 27.02.2018 - XI ZR 452/16 deutlich gemacht, dass die Unterzeichnung "i.A." auch durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich nicht ausreicht:

"Ein bestimmender Schriftsatz in einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren muss grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterzeichnet sein, der bei dem betreffenden Gericht auftreten darf und Prozessvollmacht hat. Das Erfordernis einer solchen Unterschrift stellt sicher, dass der Unterzeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt. Wird die Unterschrift lediglich mit dem Zusatz "i.A." geleistet, gibt der Rechtsanwalt damit nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig zu erkennen, dass er nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen, sondern gegenüber dem Gericht nur als Erklärungsbote auftreten will, und genügt damit den Formerfordernissen des Gesetzes nicht.

(...). Dabei ist grundsätzlich ohne Bedeutung, ob der Zusatz "i.A." der Unterschrift maschinenschriftlich (...) oder handschriftlich vom Unterzeichnenden hinzugesetzt wird. Die Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift mit dem Zusatz "i.A." ist nur dann unschädlich, wenn der unterzeichnende Rechtsanwalt als Sozietätsmitglied zum Kreis der beim Berufungsgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers zählt und damit unmittelbar in Ausführung des auch ihm selbst erteilten Mandats tätig geworden ist (...). Da eine Auslegung unter Heranziehung von Umständen außerhalb der Urkunde nicht in Betracht kommt (...), muss sich dies aus der Rechtsmittelschrift selbst ergeben."

6. Rücknahme der Berufung

Nach der in § 516 ZPO enthaltenen Regelung kann eine Berufung immer bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurückgenommen werden.

7. Verwerfung der Berufung

Das Berufungsgericht hat gemäß § 522 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (BGH 13.01.2016 - XII ZB 605/14).

8. Zurückweisung der Berufung

8.1 Zurückweisungsbeschluss

Bei der Zurückweisung der Berufung besteht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO folgende Rechtslage: Das Berufungsgericht hat die Berufung durch einstimmigen Beschluss unverzüglich zurückzuweisen, wenn es davon überzeugt ist, dass

  • die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat,

  • die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,

  • die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert

    und

  • eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

    Über die Berufung soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5334), auch wenn das Rechtsmittel letztlich ohne Aussicht auf Erfolg ist, mündlich verhandelt werden, wenn dies aus anderen Gründen angebracht erscheint, insbesondere wenn die Rechtsverfolgung für den Berufungsführer existenzielle Bedeutung hat (z.B. bei einem ärztlichen Behandlungsfehler) oder wenn das Urteil erster Instanz zwar im Ergebnis richtig, aber unzutreffend begründet ist.

Nach § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO hat ein anfechtbarer Beschluss darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

8.2 Rechtsmittel

Der Zurückweisungsbeschluss ist auch anfechtbar: Gemäß § 522 Abs. 3 ZPO steht dem Berufungsführer gegen den Beschluss das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5334) ist die Nichtzulassungsbeschwerde das statthafte Rechtsmittel gegen einen Zurückweisungsbeschluss. Dabei prüft der BGH den Zurückweisungsbeschluss auf das Vorliegen der Zulassungsgründe in § 543 Abs. 2 ZPO.

Dabei ist zu beachten, dass § 544 Abs. 2 ZPO die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH nur bei Beschwerdewerten von mehr als 20.000,00 EUR eröffnet ist.

9. Berufungsurteil

Das Berufungsurteil enthält gemäß § 540 ZPO weder einen Tatbestand noch Entscheidungsgründe. Dafür hat das Urteil folgende Bestandteile zu enthalten:

  • Eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen

    und

  • eine Kurzbegründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.

Gemäß § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO müssen die Bezugnahme und die Kurzbegründung nur im Protokoll und nicht in die Urteilsurkunde aufgenommen werden. Voraussetzung ist aber, dass das Urteil in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde.

 Siehe auch 

Anschlussberufung

Berufung

Prozessvollmacht

Rechtsmittelverzicht

Revision - Zivilprozess

Zivilprozess

BGH 07.11.2012 - XII ZB 325/12 (Falschbezeichnung der Berufung)

BGH 30.06.2011 - III ZB 24/11 (Rücknahme der Berufung nur bis zum Beginn der Verkündung des Berufungsurteils möglich)

BGH 23.06.2008 - GSZ 1/08 (Verjährungseinrede in der Berufung)

BGH 11.10.2000 - VIII ZR 321/99 (Berufung nur zulässig, wenn der in erster Instanz verfolgte Anspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt wird)

Bräuer: Haftpflichtfragen: Fallen der Berufung. Kleines Einmaleins für Anwälte; Anwaltsblatt - AnwBl 2009, 61

Fellner: Zurückweisungsbeschluss: Die Bemessung und Verlängerung der Frist zur Stellungnahme; Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR 2017, 435

Fölsch: Die Berufungszurückweisung durch Beschluss im Blickpunkt aktueller Rechtsprechung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2006, 3521

Dute: Die Bindung des Berufungsgerichts an den Tatbestand - ein haftungsträchtiges Unternehmen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2022, 359

Hirtz/Oberheim/Siebert: Handbuch Berufung im Zivilprozess; 6. Auflage 2020

Lechner: Die Rechtsprechung des BGH zum neuen Berufungsrecht im Lichte der Intentionen des Gesetzgebers; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2004, 3593

Gaier: Der Prozessstoff des Berufungsverfahrens; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2004, 110

Gaier: Das neue Berufungsverfahren in der Rechtsprechung des BGH; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2004, 2041

Meller-Hannich: Die Neufassung von § 522 ZPO - Unbestimmte Rechtsbegriffe, Ermessen und ein neuartiges Rechtsmittel; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2011, 3393

Prütting/Gehrlein: ZPO-Kommentar; 15. Auflage 2023

Schnauder: Berufung und Beschwerde nach dem Zivilprozessreformgesetz; Juristische Schulung - JuS 2002, 68 und 162

Stackmann: Fehlervermeidung im Berufungsverfahren; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3665

Stackmann: Die erfolgversprechende Berufungsschrift in Zivilsachen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2003, 169