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Arbeitsunfall

 Normen 

SGB VII

 Information 

1. Allgemein

Ein Arbeitsunfall ist ein Personenschaden eines Arbeitnehmers, der im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitnehmers steht und einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung begründet.

Voraussetzungen der Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind gemäß § 8 SGB VII:

  • Die Verrichtung des Versicherten ist zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzuordnen (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang):

    Versichert sind immer Tätigkeiten, die den Interessen des Unternehmens zu dienen bestimmt sind, unerheblich ist, ob sie tatsächlich einen objektiven Nutzen bringen.

    Daneben ist wie folgt abzugrenzen:

    • Eigenwirtschaftliche Tätigkeiten des Versicherten dienen der privaten Sphäre und unterliegen auch dann nicht dem Versicherungsschutz, wenn sie während der Arbeitszeit und/oder mit Billigung des Arbeitgebers ausgeführt werden.

    • Gemischte Tätigkeiten setzen (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Bei einer gemischten Tätigkeit, kommt es für den sachlichen Zusammenhang nicht zusätzlich darauf an, ob die versicherte Handlung hypothetisch auch ohne die private Motivation des Geschehens vorgenommen worden wäre (BSG 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R).

      Beispiel:

      Eine Altenpflegerin geht während der Rufbereitschaft mit ihrem Hund spazieren. Als sie den Anruf des Arbeitgebers entgegennimmt, stürzt sie (BSG 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R).

    • Von der gemischten Tätigkeit ist ein Handeln mit gemischter Motivationslage abzugrenzen. Bei diesem wird nur eine einzige Verrichtung ausgeübt, die aber gleichzeitig sowohl einen privatwirtschaftlichen als auch betrieblichen, auf die Erfüllung eines Versicherungstatbestandes gerichteten Zweck verfolgt. Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfüllt dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der versicherten Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenz, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R).

  • Diese Verrichtung hat zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt:

    Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt (BSG 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R).

  • Das Unfallereignis hat einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität):

    Hinweis:

    Dagegen ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens - die haftungsausfüllende Kausalität - nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Rente (LSG Hessen 17.02.2009, L 3 U 292/03).

Von der Unfallversicherung geschützt sind auch Personen, die - ohne zum Betrieb zu gehören oder Arbeitnehmer zu sein - für kurze Zeit wie Arbeitnehmer tätig sind, also Arbeiten übernehmen, die sonst von den Beschäftigten ausgeübt werden.

Als Arbeitsunfälle gelten auch solche Körperschädigungen, die sich bei Botengängen im Auftrag des Vorgesetzten ereignen.

Zu den Voraussetzungen der Anerkennung einer Verletzung während des Betriebssports als Arbeitsunfall siehe "Gesetzliche Unfallversicherung".

2. Betriebsweg

Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfallereignis, das sich auf einem Betriebsweg ereignet hat: Ein Betriebsweg ist eine zurückgelegte Wegstrecke außerhalb des normalen Arbeitsorts. Der Betriebsweg wird im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt und ist abzugrenzen von dem Weg nach und von dem Arbeitsort zum Wohnort (siehe insofern den Beitrag "Arbeitsunfall - Wegeunfall").

Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Als objektive Umstände, die Rückschlüsse auf die Handlungstendenz zulassen, ist beim Zurücklegen von Wegen insbesondere von Bedeutung, ob und inwieweit Ausgangspunkt, Ziel, Streckenführung und ggf. das gewählte Verkehrsmittel durch betriebliche Vorgaben geprägt werden.

Ein teilweise aus privaten / teilweise aus betrieblichen Motiven vorgenommener Weg (Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz) steht dann im inneren bzw sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenzen, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG 18.06.2013 - B 2 U 7/12 R).

Das Bundessozialgericht hat ausnahmsweise bei dem Weg zu einer Nahrungsaufnahme den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einer Nahrungsaufnahme bejaht, wenn die versicherte Tätigkeit ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl verursacht hat, der Versicherte sich bei der Mahlzeit infolge betrieblicher Zwänge besonders beeilen musste, er veranlasst war, seine Mahlzeit an einem bestimmten Ort oder in besonderer Form einzunehmen, die Essenseinnahme im Rahmen einer Kur angeordnet war oder dem Kurerfolg dienlich sein sollte oder ganz allgemein, wenn bestimmte betriebliche Umstände den Versicherten zwar nicht zwangen, aber wenigstens veranlassten, seine Mahlzeit an einem bestimmten Ort einzunehmen - betriebliche Umstände die Einnahme des Essens also wesentlich mitbestimmten (BSG s.o.).

3. Ruhepausen

Bei einem Unfall, der sich während der Ruhepause ereignet, ist bezüglich des Versicherungsschutzes zu differenzieren:

Grundsätzlich unterliegt der Zeitraum der Ruhepausen dem Versicherungsschutz. Dies gilt aber nur, solange der Arbeitnehmer keine dem privaten bzw. persönlichem Bereich zuzuordnende Handlung ausübt:

"Verunglückt ein Versicherter während einer Pause infolge einer Tätigkeit, die er während der Pause ausübt, besteht der innere Zusammenhang nur, wenn diese Tätigkeit dem Betrieb zu dienen bestimmt war. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass alle vom Kläger im Verlaufe des Verfahrens angegebenen Zwecke für die Arbeitsunterbrechung und das Aufsuchen des Flachdachs (Lesen, Rauchen, Luftschnappen/Bewegung) grundsätzlich dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind, weil sie, ebenso wie die Aufnahme von Nahrung, regelmäßig unabhängig von jeglicher betrieblicher Tätigkeit durchgeführt werden oder notwendig werden" (BSG 20.02.2001 - B 2 U 6/00 R).

Die Nahrungsaufnahme unterliegt nicht dem Versicherungsschutz, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Mahlzeiten am Arbeitsplatz eingenommen werden. Liegt ein Verschulden jedoch überwiegend aufseiten des Betriebes, wie etwa bei ungewohnt glattem Boden oder verdorbenem Essen, ist dies als Arbeitsunfall zu werten. Der Versicherungsschutz erstreckt sich aber auf den Weg zur Kantine oder zum Pausenraum.

Auch Unfälle, die sich zwar auf dem Betriebsgelände ereignen, aber keinen Bezug zur betrieblichen Tätigkeit aufweisen, wie z.B. der private Besuch eines Kollegen, fallen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Auch während der Inanspruchnahme von Raucherpausen sowie dem Weg in und von dem Ort der Raucherpause besteht kein Versicherungsschutz.

4. Aufsuchen der Toilettenräume

"... sind die Wege, die Beschäftigte während der Arbeitszeit zum Aufsuchen der Toilettenräume zurücklegen, nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich unfallversichert. (...) Im Rahmen des Handlungsziels kommt es folglich darauf an, dass die Verrichtung des Verletzten vor dem Losgehen zur Toilette der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und er nach dem Toilettenbesuch die versicherte Tätigkeit fortsetzen wollte." (BSG 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R).

5. Betriebsveranstaltungen

Für die Einordnung von Unfällen während betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltungen als Arbeitsunfälle gelten gesonderte Anforderungen.

6. Verschulden

Für die Anerkennung als Arbeitsunfall kommt es grundsätzlich nicht auf das Verschulden des Versicherten an.

Auch Arbeitsunfälle, die erst durch ein gefahrschaffendes Fehlverhalten des Arbeitnehmers verursacht werden (Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften / Arbeitnehmerschutzvorschriften), unterliegen dem Versicherungsschutz, wenn der Versicherte ausschließlich betriebsbedingte Zwecke verfolgte.

Der Versicherungsschutz ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Unfall durch eine von dem Arbeitnehmer selbst geschaffene Gefahr ausgeht.

Aber: Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es nicht. Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Dabei hat das Bundessozialgericht stets klargestellt, dass ein solches Verhalten den Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließt, wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt, die selbstgeschaffene Gefahr bekommt also erst dann Bedeutung, wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (BSG 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R).

Der Versicherungsschutz ist jedoch ganz oder teilweise für Unfälle zu versagen, die der Versicherte sich vorsätzlich zugezogen hat oder die er beim Begehen einer strafbaren Handlung erlitten hat.

7. Alkohol

Bei unter Alkoholeinfluss stehenden Geschädigten ist zu unterscheiden:

Stand der Verletzte unter Vollrausch oder wies bei einer geringeren Alkoholkonzentration erhebliche Reaktions- und Handlungsmängel auf, ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen. War der Verletzte alkoholisiert, zeigte aber kein alkoholbedingtes Fehlverhalten, ist ein Arbeitsunfall vom Versicherungsschutz der Unfallversicherung gedeckt.

Bei Unfällen bei der beruflich veranlassten Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss besteht Versicherungsschutz, wenn der Fahrer zwar nicht mehr verkehrssicher, aber noch relativ kontrolliert das Fahrzeug führen konnte und der Alkoholeinfluss nicht die einzige Unfallursache war.

Dies wirkt sich wie folgt auf die Beweislast aus: Der ursächliche Zusammenhang zwischen der unfallbringenden und der versicherten Tätigkeit ist grundsätzlich ein anspruchsbegründendes Merkmal. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ein negatives Tatbestandsmerkmal, dessen Nichtbeweisbarkeit zulasten des Versicherungsträgers geht.

Sind andere Unfallursachen durch den Versicherten nicht beweisbar, greift die Rechtsprechung mithilfe eines Anscheinsbeweises auf die allgemeine Lebenserfahrung zurück, nach der der Alkoholeinfluss alleiniger Grund für die Unfallverursachung war.

8. Haftungsausschluss

Für bestimmte Personengruppen bestehen Haftungsbeschränkungen.

 Siehe auch 

Arbeitsschutz

Arbeitsunfall - Berufskrankheit

Arbeitsunfall - Haftungsbeschränkung

Arbeitsunfall - Wegeunfall

Gesetzliche Unfallversicherung

BSG 18.09.2012 - B 2 U 20/11 (Abgrenzung der Tätigkeit eines Arztes als Nothelfer oder als Notarzt)

BSG 12.05.2009 - B 2 U 12/08 R (Gemischte Tätigkeit)

BSG 18.03.2008 - B 2 U 12/07 R (Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls)

BSG 08.12.2005 - B 13 RJ 40/04 R (Arbeitsunfall in Spanien)

BSG 11.05.1995 - 2 RV 30/94

BSG 30.04.1991 - 2 RU 11/90

BSG 25.10.1989 - 2 RU 26/88

BSG 31.03.1981 - 2 RU 29/79

BSG 27.08.1981 - 2 RU 23/80

BGH 25.09.1990 - VI ZR 285/89

Boecken: Entgeltfortzahlung bei nebentätigkeitsbedingten Arbeitsunfall bzw. Unfall; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - NZA 2001, 233

Eichenhofer/Wenner: Kommentar zum SGB VII; 2. Auflage 2019

Marburger: Aktuelle Rechtsprechung zum Arbeitsunfall; Die Berufsgenossenschaft - die BG 2011, 575

Plagemann/Radtke-Schwenzer: Aktuelle Entwicklung im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2020, 1337