Rechtswörterbuch

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Absprachen im Strafverfahren

 Normen 

§ 257b f. StPO

§ 265a StPO

§ 470 S. 2 StPO

Nr. 4141 Vergütungsverzeichnis zum RVG

 Information 

1. Allgemein

Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten über die weitere Vorgehensweise.

In den §§ 265a, 470 S. 2 StPO sind Absprachen vorgesehen.

2. Die gesetzliche Regelung der Verständigung

Gemäß § 257c StPO kann das Gericht in geeigneten Fällen in der Hauptverhandlung mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens eine Verständigung treffen. Die Initiative zur Verständigung kann dabei nicht nur von dem Gericht, sondern auch von den anderen Verfahrensbeteiligten ausgehen.

§ 257c Absatz 2 StPO grenzt den Gegenstand einer Verständigung ein. Nach Satz 1 dürfen dies nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten (z.B. der Verzicht auf weitere Beweisanträge, ein Geständnis oder die Zusage von Schadenswiedergutmachung).

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers können Verständigungsgegenstand u.a. grundsätzlich die Maßnahmen sein, über die das erkennende Gericht verfügen kann, somit Maßnahmen, die es im Erkenntnis treffen kann (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/12310). Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung sollten hingegen nicht angetastet werden. Danach erweist sich die Verständigung über Art und Ausmaß einer Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer (Überlange Gerichtsverfahren) als zulässiger Verständigungsgegenstand (BGH 25.11.2015 - 1 StR 79/15).

Das Beweisantragsrecht aller Verfahrensbeteiligten und die Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bleiben insoweit unberührt, als der Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist.

Nicht ausgeschlossen ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11736), dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten abgibt, wie z.B. eine Einstellung des Strafverfahrens.

Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Die Vorgabe für das Geständnis ist, dass es von dem Gericht in Bezug auf die Anforderungen seiner Aufklärungspflicht für genügend erachtet wird.

§ 257c Absatz 3 StPO bestimmt die wesentlichen Verfahrensgänge bei einer Verständigung:

Zunächst gibt das Gericht bekannt, welchen Inhalt die Verständigung nach seiner Auffassung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Damit ermöglicht diese Vorschrift die Mitteilung der gegenwärtigen Strafeinschätzung des Gerichtes, die für den Angeklagten in seiner Entscheidung, sich auf eine Verständigung einzulassen oder nicht, von großer Bedeutung ist.

Das Tatgericht muss vor einer Verständigung auch offenlegen, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht (OLG Frankfurt am Main 11.02.2015 - 1 Ss 293/14).

Anschließend erhalten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Verständigung kommt zustande, wenn der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft den Vorstellungen des Gerichtes zustimmen. Hingegen kann nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11736) ein Widerspruch des Nebenklägers das Zustandekommen einer Verständigung nicht hindern.

Bei Vorliegen der in § 257c Absatz 4 StPO aufgeführten Voraussetzungen entfällt die Bindung des Gerichtes an ein in Aussicht gestelltes Verfahrensergebnis.

3. Sonstige informelle Absprachen

Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig (BVerfG 19.03.2013 - 2 BvR 2628/10).

Zulässig sind nach der obigen Entscheidung jedoch Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine, weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb in der Hauptverhandlung zu informieren ist.

4. Rechtsmittelverzicht

Gemäß § 302 Absatz 1 Satz 2 StPO ist ein Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung ausgeschlossen (BGH 29.09.2009 - 1 StR 376/09).

Die Rechtsmittelrücknahme hingegen ist schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht ausgeschlossen (BGH 14.04.2010 - 1 StR 64/10).

 Siehe auch 

Absehen von Strafe

Ermittlungsverfahren

Hauptverhandlung

Zwischenverfahren

BVerfG 05.03.2012 - 2 BvR 1464/11 (Anforderungen an die Sachaufklärung)

BGH 03.03.2005 - GSSt 1/04 (Zulässigkeit von Urteilsabsprachen)

Brand/Petermann: Der "Deal" im Strafverfahren, das Negativattest und die Beweiskraft des Protokolls; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 268

Dißars: Ungeklärte Rechtsfragen der tatsächlichen Verständigung. Rechtsnatur, Anwendungsbereiche, Voraussetzungen; Neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2010, 2141

Jahn/Müller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren - Legitimation und Reglementierung der Absprachenpraxis; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2009, 2625

Satzger/Schluckebier/Widmaier: StPO - Strafprozessordnung. Kommentar; 3. Auflage 2017

Walther: Der Öffentlichkeitsgrundsatz im Kontext der Verständigung im Strafverfahren; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2015, 383