Rechtswörterbuch

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Abrissverfügung

 Normen 

Baden-Württemberg: § 65 LBO,BW
Bayern: § 82 BayBO
Berlin: § 79 BauO Bln
Brandenburg: § 74 BbgBO
Bremen: § 82 BremLBO
Hamburg: § 76 HBauO
Hessen: § 82 HBO,HE
Mecklenburg-Vorpommern: § 80 LBauO M-V
Niedersachsen: § 79 NBauO
Nordrhein-Westfalen: § 58 Abs. 6 BauO NRW 2018
Rheinland-Pfalz: § 81 LBauO,RP
Saarland: § 82 LBO,SL
Sachsen: § 80 SächsBO
Sachsen-Anhalt: § 79 BauO LSA
Schleswig-Holstein: § 86 LBO,SH
Thüringen: § 77 ThürBO

 Information 

1. Allgemein

Die Bauordnungsverfügung, eine bauliche Anlage abzureißen, setzt als besonders einschneidendes Mittel zur Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften grundsätzlich voraus, dass die bauliche Anlage formell und materiell baurechtswidrig ist und ein rechtmäßiger Zustand nicht auf anderem Wege hergestellt werden kann (vgl. Urteil des OVG NRW 13.02.1987 - 10 A 29/87).(1)

Formelle Baurechtswidrigkeit (formelle Illegalität) der baulichen Anlage liegt vor, wenn

  • eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt ist oder von einer bestehenden Genehmigung in nicht unwesentlichem Umfang abgewichen wird (OVG NW a.a.O.),

  • eine Genehmigung durch Aufhebung (z.B. aufgrund Rücknahme / Widerruf oder Zeitablauf unwirksam wurde,

  • eine notwendige Bauanzeige fehlt (vgl. z.B. § 51 LBO,BW; § 63 Abs. 3 BauO NRW 2018),

  • bei genehmigungsfreien oder nur geringfügig genehmigungsbedürftigen Vorhaben abweichend von den Voraussetzungen der Freistellungs- bzw. Vereinfachungsverfahren gebaut wird.

Materiell baurechtswidrig (materielle Illegalität) ist die bauliche Anlage, wenn sie gegen materielle Vorschriften des Bauplanungsrechts (hier insbesondere die Vorschriften über die Zulässigkeit von Bauvorhaben, §§ 30 ff. BauGB), des Bauordnungsrechts (z.B. Vorschriften über die Abstandsflächen) oder gegen sonstige Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt.

Auch bei Vorliegen eines Widerspruchs mit dem heute geltenden materiellen Recht steht einem Abriss aber der aus Art. 14 GG folgende Bestandsschutz entgegen, wenn die Anlage zu einem früheren Zeitpunkt materiell legal war. Auf das Vorliegen einer Baugenehmigung kommt es dabei nicht an, sodass auch sog. "Schwarzbauten" Bestandsschutz genießen können.

Im Falle einer genehmigungsfreien Anlage genügt ein Verstoß gegen materielle öffentlich-rechtliche Vorschriften für den Erlass der Abrissverfügung.

Liegt formelle und materielle Illegalität vor, entscheidet die zuständige Bauaufsichtsbehörde über den Erlass der Abrissverfügung nach pflichtgemäßem Ermessen.

Zur Durchsetzung der bestandskräftig gewordenen Abrissverfügung stehen der Bauaufsichtsbehörde die in den Verwaltungsvollstrechungsvorschriften enthaltenen Zwangsmittel zur Verfügung.

In der Abrissverfügung ist auch die Anordnung enthalten, den Bauschutt zu beseitigen, vgl. den Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen 31.10.1994 - 10 A 4084/92.

2. Wann ist die Ergreifung von Rechtsschutzmaßnahmen geboten?

Am häufigsten ist wegen des Vorliegens eines Ermessensfehlers der Behörde bei der Entscheidung über die Abrissverfügung die Ergreifung von Rechtsschutzmaßnahmen erforderlich. Ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist der Erlass einer Abrissverfügung u.a. dann, wenn

  • die Bauaufsichtsbehörde übersehen hat, dass durch Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechtswidrigkeit des Baus zulässigerweise beseitigt werden könnte,

  • nicht oder unzureichend geprüft worden ist, ob nicht auch ein nur teilweiser Abbruch verfügt werden kann, weil die bauliche Anlage im Übrigen genehmigungsfähig ist oder

  • ein rechtmäßiger Zustand auch durch Auflagen, durch Anordnung bestimmter baulicher Maßnahmen oder durch Verfügung einer Nutzungsuntersagung (die in Betracht kommt, wenn das Gebäude als solches baurechtsmäßig ist und nur die konkrete Nutzung gegen materielles Recht verstößt) hergestellt werden könnte.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet den Erlass einer Abrissverfügung, wenn nur ein geringfügiger Verstoß gegen materielles Recht vorliegt und andererseits großer wirtschaftlicher Schaden entstünde.

Beispiel:

Eine bauliche Anlage überschreitet den vorgeschriebenen Abstand zu einem anderen Gebäude nur um wenige Zentimeter (OVG Niedersachsen 28.2.1983 - 6 A 69/82).

3. Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen die Abrissverfügung stehen dem Betroffenen Widerspruch und Anfechtungsklage als Rechtsbehelfe zur Verfügung. Ist die Abrissverfügung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt worden, kommt zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bei dem zuständigen Verwaltungsgericht auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (von Widerspruch und Anfechtungsklage) in Betracht.

Zu beachten ist, dass auch wenn die Abrissverfügung bestandskräftig geworden ist, die Maßnahmen zum Vollzug der Verfügung noch mit Erfolg abgewehrt werden können, und zwar dann, wenn sich die bodenrechtliche Situation seit dem Eintritt der Bestandskraft der Verfügung derartig verändert hat, dass die Verfügung nunmehr rechtswidrig ist (BVerwG 19.01.1977 - 4 C 31/75).

 Siehe auch 

Bauordnungsrecht

Bauordnungsverfügung

Nutzungsuntersagung - bauordnungsrechtliche

Schwarzbau

Stilllegungsverfügung

Stilllegungsverfügung - umweltschutzrechtliche

BVerfG 02.09.2004 - 1 BvR 1860/02 (im Außenbereich erichtete Schwarzbauten)

BVerwG 18.04.1996 - 4 B 38/96 (Temporäre Ungleichbehandlung bei Abrissverfügungen)

OVG Mecklenburg-Vorpommern 06.02.2008 - 3 M 9/08 (Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Beseitigungsanordnung)

OVG Nordrhein-Westfalen 26.03.2003 - 7 A 4491/99 (Abrissverfügung und Unwirksamkeit der Satzung)

Gädtke/Johlen/Wenzel/Hanne/Kaiser/Koch/Plum: BauO NRW. Kommentar; 13. Auflage 2019

Glöckner/Berg: Bau- und Architektenrecht. Kommentar; 2. Auflage 2015

Jeromin: LBauO Rh-Pf, Kommentar; 4. Auflage 2016

Kuffer/Wirth: Handbuch des Fachanwalts Bau- und Architektenrecht; 5. Auflage 2017

Lembcke: Handbuch Baukonfliktmanagement: Mediation, Schlichtung, Adjudikation, Schiedsgutachten; 1. Auflage 2013

Ulbrich: Formularbuch des Fachanwalts Bau- und Architektenrecht; 4. Auflage 2018

Anmerkung 1:
Fast alle Länder haben für einen derartigen Eingriff in den Landesbauordnungen eine besondere Rechtsgrundlage vorgesehen, vgl. z.B. § 65 LBO,BW, nur in NRW fehlt eine entsprechende Spezialermächtigung, sodass die bauordnungsrechtliche Generalklausel des § 58 Abs. 6 BauO NRW 2018 einschlägig ist. Dies hat sich auch nach dem Inkrafttreten der neuen LBauO zum 01.01.2019 nicht geändert.