Wussow - Informationen zum Versicherungs- und Haftpflichtrecht (Bsp. eines Beitrags aus dem Arzthaftungsrecht)

Immissionsschutzrecht
19.02.20061824 Mal gelesen

Oberstichwort:

Thema

Grober Verstoß gegen die therapeutische Aufklärungspflicht

Beweislastumkehr (§§ 823 BGB; 286 ZPO)

  

Grundlagen

 

Ein grober Behandlungsfehler des Arztes führt grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen. Nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden dagegen nicht (vgl. BGHZ 85, 212 = VersR 1982, 1193; VersR 1996, 1535; VersR 1997, 362; VersR 2004, 909). Eine Beweislastumkehr ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn

 

-          ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. BGHZ 129, 6 = VersR 1995, 706; VersR 1998, 457; VersR 1996, 1535; VersR 2004, 909),

-          sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (BGH, VersR 1981, 954),

-          der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (BGH, VersR 2002, 1026; VersR 2004, 909).

  

Aktuelles

 

Aus einer Entscheidung des BGH vom 27.04.2004 (VersR 2005, 228) geht hervor, daß eine Verletzung der Pflicht des behandelnden Arztes zur therapeutischen Aufklärung als grober Behandlungsfehler zu werten ist und regelmäßig zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden führt.

 

Da beim Patienten eine beginnende Glaskörperabhebung als Vorstufe einer Netzhautablösung nahe lag und die behandelnde Ärztin dies erkannt hatte, sei sie verpflichtet gewesen, dem Patienten ihre Erkenntnisse ebenso wie ihren Verdacht bekannt zu geben (Diagnoseaufklärung; vgl. BGHZ 29, 176 = VersR 1959, 312). Außerdem hätte sie den Patienten im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht darauf hinweisen müssen, er müsse bei fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt aufsuchen und im übrigen alsbald den Befund überprüfen lassen, damit mögliche Heilungschancen wahrgenommen werden konnten. Das Unterlassen einer derartigen Aufklärung stelle einen groben Behandlungsfehler dar (vgl. BGH, VersR 1995, 1099).

 

-          Beim Vorliegenden dieses groben Behandlungsfehlers sei es Sache der Ärztin gewesen, darzulegen und zu beweisen (Beweislastumkehr), daß ein ordnungsgemäßer Hinweis an den Patienten, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen Folgen weder verhindert noch abgemildert hätte. Da ein derartiger Hinweis der Ärztin geeignet gewesen wäre, den Patienten zu einer kurzfristigen Kontrolluntersuchung zu veranlassen, welche geeignet gewesen wäre, Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung erkennbar zu machen und frühzeitige Behandlungsmaßnahmen durchzuführen, die ihrerseits die später eingetretene Netzhautablösung vermindern oder feststellbar hätten vermindern können, sei von einem Nachweis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden auszugehen.

-          Soweit das Berufungsgericht den Ursachenverlauf in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten und dann Anzeichen für eine Netzhautablösung sowie für den Erfolg einer vorbeugenen Behandlung nicht gesehen habe, widerspreche dies den Grundsätzen des erkennenden Senats zu den Rechtsfolgen eines groben Behandlungsfehlers. Eine Unterteilung des Ursachenzusammenhangs in unmittelbare und mittelbare Ursachen sei dem Haftungsrecht fremd (BGH, VersR 1998, 200; 1999, 862; 2000, 1282).

  

Schlußbetrachtung

 

Nach der vorliegenden Entscheidung des BGH vom 16.11.2004 (VersR 2005, 228), welche als Fortführung der Entscheidung des BGH vom 27.04.2004 (VersR 2004, 909) zu verstehen ist, genügt es für eine Umkehr der Beweislast, daß der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden nicht. Soweit der BGH ausführt, für die Annahme einer Beweislastumkehr sei maßgebend, ob sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die geschuldete therapeutische Aufklärung als insgesamt grob fehlerhaft erweise, soll diese einheitliche Bewertung des pflichtwidrigen Verhaltens in Anlehnung an die Entscheidung vom 27.04.2004 (VersR 2004, 909) der Rechtssicherheit dienen. Insbesondere soll der Rechtssuchende bzw. sein Anwalt bereits frühzeitig in die Lage versetzt werden, das Prozeßrisiko in tatsächlicher Hinsicht abzuschätzen. Dies würde erschwert, wenn an die Stelle einer Gesamtbetrachtung der Handlungsweise des Arztes eine Aufspaltung in eine "einfache" und eine "grobe" Pflichtwidrigkeit erfolgen würde. Vielmehr ist es erforderlich und ausreichend, daß für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge der Beweislastumkehr bereits an einer Stelle des Kausalverlaufes eine "grobe" Pflichtwidrigkeit festgestellt wird.