Wer nicht gehört wird muss auch nicht fühlen - Bußgeld oder Fahrverbot setzen rechtliches Gehör des Betroffenen voraus

anwalt24 Fachartikel
27.01.20104083 Mal gelesen
Jeder Beschuldigte hat Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser elementare Grundsatz des Strafverfahrens gilt auch für Betroffene eines verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahrens. Auch dort ist die Gewährung rechtlichen Gehörs eines der wesentlichen Verfahrensrechte. Die Verletzung dieses Rechts kann in vielfältiger Weise passieren. Kommt es zu einer Verletzung dieses Rechts durch Bußgeldstelle oder Gericht und wird dies qualifiziert durch den Betroffenen oder seinen Rechtsanwalt gerügt, stellt das einen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der Bußgeldentscheidung führt.
Mit Eintritt der Verjährung ist die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit ausgeschlossen. Wegen der kurzen Verfolgungsverjährung von nur drei Monaten wirkt es sich für einen Betroffenen günstig aus, wenn die Behörde im Anhörungsverfahren das rechtliche Gehör nicht ordnungsgemäß gewährt. In diesem Zusammenhang ist diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 5.3.2009 (OLG Hamm, 3 Ss OWi 860/09)interessant.
 
Der Betroffene war mit dem Firmenfahrzeug einer GmbH unterwegs als er am 27.2.2007 in eine Radarfalle geriet. Auf den von der Bußgeldstelle übersandten Fragebogen für Fahrzeughalter meldete sich am 28.3.2007 ein von der Gesellschaft bevollmächtigter Anwalt und teilte mit, dass es sich bei dem geblitzten Fahrzeug um ein Firmenfahrzeug handele, das von mehreren Personen genutzt würde. Am 5.4.2007 ersuchte die Bußgeldbehörde die am Ort des Fahrzeughalters ansässige Behörde im Wegen der Amtshilfe den verantwortlichen Fahrer mit Hilfe des Radarfotos zu ermitteln. Nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass ein verdächtiger Fahrer nicht angetroffen wurde, ersuchte die Bußgeldbehörde die Stadt um Übersendung der Kopie eines Passfotos eines Gesellschafters der GmbH, der bei einem früheren, mit demselben Fahrzeug begangenen, Verstoß schon einmal aufgefallen war, weil die "bisherigen Ermittlungen zu keinem befriedigenden Ergebnis hinsichtlich der Identitätsfeststellung geführt" hätten.
 
Am 5.6.2007 wurde gegen diese Person schließlich ein Bußgeldbescheid erlassen.
 
Das war zu spät, entschied das Rechtsbeschwerdegericht. Die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit war mit Ablauf des 27.5.2007 bereits verjährt. Eine rechtzeitige Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG) habe nicht stattgefunden. In Betracht gekommen sei hier nur eine Unterbrechung der Verjährungsfrist durch eine Anordnung der Vernehmung des Betroffenen oder die Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Beides habe aber nicht vorgelegen:
 
Nur wenn dem für eine Geschwindigkeitsüberschreitung verantwortlichen Fahrer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, ist die dreimonatige Verjährungsfrist zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit wirksam unterbrochen.
 
Wird nach einer Kennzeichenanzeige lediglich der Halter angeschrieben, führt dies nicht zur Verjährungsunterbrechung. Der Text des Anhörungsschreibens muss einen konkreten Bezug zu einem individuell bestimmten Betroffenen aufweisen.
 
Die erste Vernehmung (§ 33 I 1 S.1 OWiG) muss sich gegen eine individuell bestimmte Person richten, die von der Bußgeldbehörde verdächtigt wird. Es darf im Anhörungsbogen daher nicht offen bleiben, ob der Befragte als Betroffener oder als Zeuge angehört wird. Andernfalls wird die Verjährung durch den Anhörungsbogen nicht unterbrochen.
 
Wird der Betroffene lediglich als "Fahrzeughalter" vorgeladen, spricht dies dafür, dass er zunächst als Zeuge und nicht als Betroffener gehört werden soll.
 
Das Ersuchen der Behörde bei der Polizei, den Fahrer namentlich zu ermitteln stellt ebensowenig einen Unterbrechungshandlung i.S.d. § 33 I 1 OWiG dar, wie das Aufsuchen des Halters zur Ermittlung verantwortlichen Fahrers, wenn dieser nicht angehört wurde.
 
 
Weitere Beispiele für die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Bußgeldverfahren: 
 
(OLG Hamm,  3 Ss OWi 622/09)
 
Verdoppelt das Gericht das Bußgeld im Urteil, ohne dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben bzw. einen rechtlichen Hinweis zu erteilen, ist das Urteil auf die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs hin aufzuheben. Das Gericht muss den Betroffenen auf die Absicht, die Geldbuße zu verdoppeln, hinweisen. Der entsprechende Hinweis muss im Protokoll der Hauptverhandlung vermerkt sein.
 
(OLG Hamm, 3 Ss OWi 191/05)
 
Auch wenn der Bußgeldrichter ein im Bußgeldbescheid nicht angekündigtes Fahrverbot verhängen will, ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs gegeben, wenn der Betroffene bzw. sein Verteidiger zuvor nicht auf diese Veränderung hingewiesen werden. Dieser Hinweis wird durch einen rechtlichen Hinweis darauf, dass für das Gericht vorsätzliches Handeln in Betracht kommt, nicht überflüssig.
 
(OLG Köln, 8 Ss-OWi 128/05)
 
Auch die Nichtgewährung des letzten Wortes an den Betroffenen zum Ende einer Gerichtsverhandlung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen. Allerdings soll eine Versagung rechtlichen Gehörs nicht schon darin begründet sein, dass der Richter, noch während der Betroffene seinen Schlussvortrag hält, damit beginnt die Urteilsformel niederzuschreiben. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass der Richter in der Lage sei, seine Aufmerksamkeit zu teilen, also gleichzeitig den Ausführungen des Betroffenen zu folgen und sich eine Überzeugung zu bilden.
 
(OLG Köln, 8 Ss-OWi 48/04)
 
Es kann auch darin eine Verletzung rechtlichen Gehörs bestehen, dass das Gericht trotz eines vom Verteidiger rechtzeitig gestellten Verlegungsantrages den Termin zur Hauptverhandlung mit der Begründung aufrecht erhält, der Termin sei schon einmal wegen Verhinderung des Betroffenen verlegt worden. Gegen das insofern erlassene Verwerfungsurteil hatte der Verteidiger des Betroffenen erfolgreich Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Fürsorgepflicht des Gerichtes und das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 3c der Menschrechtskonvention (MRK) gebieten es, ? auch in Bußgeldsachen - dem Betroffenen eine Hauptverhandlung in Gegenwart seines gewählten Verteidigers zu ermöglichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Verfahren mit nicht ganz einfachen Rechtsfragen und erheblichen Folgen verbunden ist (hier ein Monat Fahrverbot und 4 Punkte).
 
(OLG Hamm, 5 Ss 415/08)
 
Ebenso wenig darf ein Gericht den Einspruch des zur Hauptverhandlung nicht persönlich erschienenen Betroffenen, dessen Verteidiger jedoch anwesend war , mit der Begründung zurückweisen, das Gericht müsse sich wegen eines in Betracht kommenden Fahrverbotes einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen machen. Das OLG Hamm gab einer Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen den Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Soest mit der Begründung statt, dieser sei durch die Verwerfung seines Einspruchs wegen nicht entschuldigtem Ausbleibens in der Hauptverhandlung in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden. Der Verteidiger hatte gegenüber dem Gericht bereits drei Wochen zuvor, die Entbindung seines Mandanten von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nach § 73 Abs.2 OWiG beantragt und begründet, dass die Voraussetzungen (Einräumung der Fahrereigenschaft des Betroffenen, keine weitere Einlassung zur Sache durch den Betroffenen) gegeben seien. Unter diesen Voraussetzungen, so das OLG Hamm, hätte der Amtsrichter dem Entbindungsantrag stattgeben müssen. Daran ändere auch nichts, dass vorliegend ein Fahrverbot in Betracht kam.
 
 
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Der Verfasser, Rechtsanwalt Demuth, Düsseldorf, ist überwiegend als Verteidiger in Straf- und Bußgeldsachen regional und überregional tätig. Weitere Infos: www.cd-recht.de