Wer haftet für baubedingte Schäden am Nachbargrundstück?

Wer haftet für baubedingte Schäden am Nachbargrundstück?
09.03.201518738 Mal gelesen
Wird im Zuge von Bauarbeiten die Substanz eines Nachbargebäudes geschädigt, kann es teuer werden. Aber wer haftet in diesen Fällen und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen? Hiermit setzt sich das Kammergericht in einem soeben veröffentlichten Urteil vom 18.10.2012 (Az. 22 U 226/09) auseinander.

Der Fall:

Ein Grundstückseigentümer (AG) beauftragte einen Generalunternehmer (GU) mit der Planung und Durchführung von umfangreichen Bauarbeiten auf seinem Grundstück. Der GU seinerseits schließt Verträge mit einem Planer und den bauausführenden Unternehmen ab, u.a. betreffend das Gewerk Spezialtiefbau/Baugrube.

Vor Beginn der Baumaßnahme fanden Begehungen des Nachbarobjekts zur Dokumentation des Gebäudezustandes statt, an denen u.a. ein vom GU beauftragter Sachverständiger teilnahm. Im Zuge der Bauarbeiten wurde das Nachbargebäude aufgrund der Bodenerschütterungen beschädigt. Nach Abschluss der Rohbauarbeiten wurde der Zustand des Nachbargebäudes erneut dokumentiert. Der Sachverständige fertigte ein Gutachten, in dem ein Erstattungsbetrag für Gebäudeschäden von insgesamt ca. 70.000 Euro ausgewiesen wird.

Die Nachbarn haben ihrerseits ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses gelangt zu Schadensbeseitigungskosten insgesamt ca. 180.000 Euro. Zudem machen sie weitere ca. 20.000 Euro für Mietminderungs-, Gutachter- sowie Rechtsanwaltskosten geltend. Insgesamt verlangen sie also ca. 200.000 Euro von dem AG und dem GU als Gesamtschuldner. Das Landgericht hat AG und GU gesamtschuldnerisch wegen schuldhafter Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Zahlung von insgesamt ca. 130.000 Euro verurteilt. Hiergegen legten beide Parteien Berufung ein.

Die Entscheidung des Kammergerichts:

Das Kammergericht ändert das erstinstanzliche Urteil ab und verurteilt AG und GU gesamtschuldnerisch zur Zahlung von ca. 90.000 Euro (Urteil vom 18.10.2012, Az. 22 U 226/09). Die konkrete Berechnung des zuerkannten Schadensersatzes beruhte hier auf einer Einzelfallbetrachtung. Lehrreich sind aber die Ausführungen des Kammergerichts zur rechtlichen Begründung der Schadensersatzansprüche der Nachbarn:

1. Ansprüche gegen den AG

Eine deliktische Haftung des nach § 823 Abs. 1 BGB wegen einer schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht könne nicht angenommen werden. Zwar habe ein Bauherr eine eigenverantwortliche Pflicht zur Überprüfung, ob von seinem Bauvorhaben Gefahren für das Nachbargrundstück ausgehen. Jedoch genüge der Bauherr dieser Verpflichtung regelmäßig schon dadurch, dass er sorgfältig ausgewählte, fachkundige Architekten, Ingenieure und Bauunternehmen beauftragt. Dies reiche zur Entlastung des Bauherrn nur dann ausnahmsweise nicht aus, wenn auch für ihn erkennbar eine erhöhte Gefahrenlage gegeben war oder wenn Anlass zu Zweifeln bestand, ob die eingesetzten Fachkräfte den Gefahren und Sicherheitserfordernissen ausreichend Rechnung tragen würden. Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der geschädigte Grundstücksnachbar. Hier musste, so das Kammergericht, der AG keine Zweifel an der fachgerechten Durchführung der Arbeiten haben. Er hatte ein fachkundiges Unternehmen mit den Arbeiten beauftragt. Auch die Einholung des Bestandsgutachtens über den Zustand des Nachbargebäudes zeugt von einem professionellen Vorgehen.

Auch eine Haftung des AG nach § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 909 BGB scheidet aus. Nach § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert. Ein solcher "Stützverlust" des Nachbargebäudes war hier gerade nicht eingetreten.

Schließlich scheide auch eine Haftung des AG nach §§ 823, 831 BGB, weil der Bauunternehmer nicht Verrichtungsgehilfe des AG ist.

Dem Nachbar steht gegen den AG aber ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf eine Geldentschädigung zu, weil sein Gebäude durch Bodenerschütterungen infolge der Bauarbeiten beschädigt worden ist. Der nachbarrechtliche Entschädigungsanspruch des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gewährt dem Nachbarn eine Entschädigung als Ausgleich dafür, dass er die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück dulden muss. Besteht die Beeinträchtigung in einer Substanzschädigung, kann der Anspruch auf vollen Schadensersatz gehen. Er umfasst dann den Ausgleich aller Folgen, die sich aus der Beeinträchtigung der Nutzung des betroffenen Grundstücks entwickeln.

2. Ansprüche gegen den GU

Auch insoweit sind die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung des GU nach § 823 Abs. 1 BGB nicht erfüllt, denn auch dieser hat seinerseits Spezialisten mit einschlägiger Sachkunde beauftragt. Auch eine Haftung des GU nach §§ 823, 831 BGB scheidet aus, weil die von ihm beauftragten Fachleute keine Verrichtungsgehilfen sind.

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kann nicht gegenüber dem GU geltend gemacht werden, weil der GU außerhalb des Nachbarschaftsverhältnisses steht.

Gleichwohl haftet auch der GU für die durch die Bauarbeiten verursachten Gebäudeschäden, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte. Dem Nachbarn steht gegen den GU ein Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung von Sorgfaltspflichten aus dem mit dem AG geschlossenen Generalunternehmervertrag zu. Die Nachbarn waren in den Schutzbereich des GU-Vertrages einbezogen. Ein solcher Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird angenommen, wenn der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt, die Ausführung der Leistung sich also auch auf den Dritten auswirken kann. Diese so genannte Leistungsnähe ist im Falle des Nachbarn, der wegen der räumlichen Nähe der benachbarten Grundstücke bestimmungsgemäß und nicht nur rein zufällig mit den Bauleistungen in Berührung kam, gegeben.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung des GU hat das Kammergericht hier schon allein aus dem Grund angenommen, dass es zu Schäden am Nachbargrundstück kam. Das erforderliche Verschulden wird dabei vermutet. Den GU traf hier zwar kein eigenes Verschulden, da er Fachleute mit entsprechender Qualifikation (Planer, ausführende Unternehmen) beauftragt hatte. Der GU muss sich allerdings auch das Verschulden der von ihm beauftragten Fachleute zurechnen lassen. Denn diese sind seine Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB.

Gesamtschuld von AG und GU

AG und GU wurden als Gesamtschuldner verurteilt. Das heißt, der Nachbar kann sich aussuchen, von welchem der beiden Gesamtschuldner er den Schaden - in voller Höhe - ersetzt verlangt. Dies ist für den Nachbarn ein erheblicher Vorteil, bspw. wenn einer der Gesamtschuldner insolvent wird.

Fazit

Wie die Entscheidung zeigt, können durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück geschädigten Grundstückseigentümern Ansprüche sowohl gegen den Bauherrn als auch gegen das ausführende Unternehmen zustehen. Mit der Begründung des Kammergerichts (Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte) wären ebenfalls Ansprüche bspw. gegen einen vom Bauherrn beauftragten Architekten denkbar. Der Bauherr sollte vor Beginn einer Baumaßnahme unbedingt für ausreichenden Versicherungsschutz Sorge tragen.

RA Dr. Andreas Schmidt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln

E-Mail: a.schmidt@smng.de