Vollstreckung in kritischer Phase ist für sich alleine genommen noch kein Insolvenz-Anfechtungsgrund

Vollstreckung in kritischer Phase ist für sich alleine genommen noch kein Insolvenz-Anfechtungsgrund
02.08.2013269 Mal gelesen
Eine in den drei Monaten vor Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Vollstreckungswege oder unter Vollstreckungsdruck erlangte Leistung ist nach Ansicht des Amtsgerichts Bergen (Rügen) nicht allein deshalb anfechtbar, weil sie auf einer Vollstreckungshandlung oder -androhung beruht.

Eine Arbeitnehmerin hatte gegen ihren Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht Stralsund am 22. Oktober 2008 ein vollstreckbares Teilanerkenntnisurteil über einen Hauptbetrag in Höhe von 1.575,00 Euro erwirkt. Aufgrund dieses Titels hat die Arbeitnehmerin am 8. Dezember 2008 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt. Drittschuldner war die Deutsche Bank, bei der die Gemeinschuldnerin ein Geschäftskonto unterhielt.

 Der beantragte Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist erlassen und zugestellt worden. Auf seiner Grundlage hat die Arbeitnehmerin unter Berücksichtigung von Zinsen und Kosten am 15. April 2009 vom Drittschuldner einen Betrag von 1.773,07 Euro erlangt. Bereits mit Datum vom 3. Februar 2009 war Insolvenzantrag gestellt worden.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 7. September 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Insolvenzverwalter nimmt die Arbeitnehmerin auf Rückgewähr des vollstreckungsweise unter dem 15. April 2009 von Seiten der Drittschuldnerin erlangten Zahlbetrages zur Masse in Anspruch.

Es läge eine inkongruente Deckung im Sinne der Insolvenzordnung vor.  Die Arbeitnehmerin habe bereits vor Einleitung der Vollstreckungsmaßnahmen von der drohenden Insolvenz gewusst. Sie müsse daher den von der Drittschuldnerin erhalten Betrag herausgeben.

Die Arbeitnehmerin bestreitet, dass sie bei Einleitung der Zwangsvollstreckung von der drohenden Insolvenz gewusst habe.

Der Insolvenzverwalter klagt daher gegen die Arbeitnehmerin auf Herausgabe der erhaltenen Zahlung.

Das Amtsgericht wies seine Klage ab.

Bei dem Zahlungsfluss vom 15. April 2009 handele es sich nicht um eine so genannte inkongruente Leistung im Sinne der Insolvenzordnung. Die Leistung ist kongruent und im Übrigen auch sonst nicht anfechtbar.

Nach herrschender Meinung sei eine im Vollstreckungswege beigetriebene oder unter Vollstreckungsdruck erfolgte Leistung, sofern sie in der zeitlich umrissenen "kritischen Phase" stattfindet, also längstens drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder, erst Recht, nach der Stellung des Eröffnungsantrages, in jedem Fall als anfechtbar anzusehen. Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes wäre der Klage hier stattzugeben, denn die Arbeitnehmerin hat den Betrag in der kritischen Phase erhalten. Selbst der Vollstreckungsantrag der Arbeitnehmerin vom 8. Dezember 2008 fällt schon in die kritische Phase. Auf der Basis der herrschenden Auffassung müsste die Klage in diesem Fall ohne Beweisaufnahme Erfolg haben.

Der herrschenden Auffassung ist jedoch nicht zu folgen:

Eine Leistung, auf die ein nach materiellem Recht vorhandener titulierter Anspruch besteht, der fällig und auch sonst einredefrei und seinem Inhalt nach auf Geldzahlung gerichtet ist und sich in einem Geldzufluss beim Gläubiger realisiert, sowohl seiner "Art" nach als auch zu der "Zeit" zu beanspruchen war, wie es die Insolvenzordnung wörtlich formuliert, ist kongruent.. Anspruchsinhalt und Zufluss sind hier buchstäblich kongruent, sie decken sich.

Der Gläubiger erlange etwas, das ihm nach Art, Umfang und Zeitpunkt zusteht, und er bedient sich hierzu nicht eines illegitimen Druckmittels, das in irgendeiner Form der Korrektur mit Hilfe der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften bedürfte, sondern eines regulären staatlichen Verfahrens zur Durchsetzung eines rechtswirksam zustande gekommenen Titels.

Folgerichtig könne sich die herrschende Auffassung allenfalls auf eine ausdrücklich nur analoge Anwendung des § 131 Abs. 1 InsO stützen. Auch eine solche analoge Anwendung sei aber letztlich nicht überzeugend begründbar. Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die Voraussetzung einer jeden Analogie wäre, ist nichts ersichtlich.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

(Quelle: Amtsgericht Bergen (Rügen), Urteil vom 19.02.2013; 23 C 513/12)

 

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