Unfall ohne Fahrradhelm - Über das Mitverschulden zur faktischen Helmpflicht

Verkehrsrecht
09.07.2013416 Mal gelesen
Nach der Pressemitteilung 9/2013 vom 17.06.2013 hat das Schleswig-Holsteinische OLG, Urteil vom 05.06.2013 (AZ: 7 U 11/12), entschieden, daß bei Kopfverletzung ohne Helm grundsätzlich ein Mitverschulden des Radfahrers anzunehmen ist.

Das Gericht führt aus, daß einen Radfahrer grundsätzlich ein Mitverschulden an seinen Kopfverletzungen trifft, wenn ein Helm diese hätte mindern oder verhindern können, auch wenn der Unfallgegner sich verkehrswidrig verhält. Hier wurde konkret ein Mitverschulden des Fahrradfahrers von 20% angenommen. Die Radfahrerin war mit der Fahrertür kollidiert, als diese von einem parkenden Autofahrer ohne Überprüfung des rückwärtigen Verkehrs geöffnet wurde. Sie stürzte und zog sich schwere Kopfverletzungen zu.

Die Fahrradfahrerin treffe ein Mitverschulden an den erlittenen Schädelverletzungen, weil sie keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe (sogenanntes Verschulden gegen sich selbst). Der Mitverschuldensanteil werde im konkreten Fall mit 20% bemessen. Hierbei berücksichtige das Gericht zum einen, daß ein Helm nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen die Kopfverletzung der Fahrradfahrerin zwar in einem gewissen Umfang hätte verringern, aber nicht verhindern können, und zum anderen, daß das grob fahrlässige Verhalten des Fahreres des PKW den Mitverschuldensanteil der Fahrradfahrerin deutlich überwiege.

"Fahrradfahrer sind heutzutage jedoch im täglichen Straßenverkehr einem besonderen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden. Aufgrund der Fallhöhe, der fehlenden Möglichkeit, sich abzustützen (die Hände stützen sich auf den Lenker, der keinen Halt bietet) und ihrer höheren Geschwindigkeit, z.B. gegenüber Fußgängern, sind Radfahrer besonders gefährdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Gerade dagegen soll der Helm schützen. Dass der Helm diesen Schutz auch bewirkt, entspricht der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und wird auch nicht ernsthaft angezweifelt. Die Anschaffung eines Schutzhelms ist darüber hinaus wirtschaftlich zumutbar. Daher kann nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begibt."

Es besteht für Fahrradfahrer nach dem Gesetz keine allgemeine Helmpflicht. Diese wird aber faktisch durch die Hintertür aufgrund des Mitverschuldensanteils eingeführt.

Ähnliches ist bei der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen festzustellen. Diese bis zum BGH schon ständige Rechtsprechung leitet aus der Nichtbeachtung der Richtgeschwindigkeit zwar keinen Schuldvorwurf ab. Bei der Auslegung des Begriffs des unabwendbaren Ereignisses berücksichtigt sie aber das dieser Empfehlung zugrunde liegende Erfahrungswissen, daß sich durch eine höhere Geschwindigkeit als 130 km/h die Unfallgefahren auf der Autobahn deutlich erhöhen.

Nach einem Urteil des OLG Nürnberg vom 09.09.2010, Aktenzeichen: 13 U 712/10 kann ein Autofahrer sich nicht auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls berufen, wenn er die auf der Autobahn geltende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h erheblich (hier um 30 km/h) überschritten hat und dabei in einen Unfall verwickelt wird. Die Betriebsgefahr entfällt in einem solchen Fall auch bei einem erheblichen Verschulden des Unfallgegners nicht vollständig. Hätte der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermieden werden können, rechtfertigt dies eine Mithaftung von 25 Prozent. Dies konnte gutachterlich festgestellt werden, nachdem der Unfallgegner und spätere Kläger unachtsam auf die Autobahn aufgefahren war.

Faktisch wird durch die Rechtsprechung somit ein Tempolimit festgelegt, da allein eine an sich erlaubte Geschwindigkeitsdifferenz sanktioniert wird, die naturgemäß immer die Betriebsgefahr erhöht.

Auf einen Fahrradfahrer bezogen wäre es interessant zu sehen, wie die Rechtsprechung den Fahrer eines sog. E-Bikes wertet, denn dieser gehört de facto zum motorisierten Straßenverkehr und erreicht teilweise Geschwindigkeiten, die über den kleinsten Motorrollern u.ä. liegen.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

Mail:kanzlei@anwalthesterberg.de