Über den Umgang mit einwilligungsunfähigen Patienten

Gesundheit Arzthaftung
25.03.20111755 Mal gelesen
Das seit 2009 gültige Patientenverfügungsgesetz sollte den langjährigen Diskussionen über Verbindlichkeit, Inhalt und Form von Patientenverfügungen ein Ende setzen. Die neuen §§ 1901a und 1901b BGB lassen immer noch viele Fragen offen. Die Häufigsten sollen nachfolgend beantwortet werden.

Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat gegenüber dem Heilauftrag des Arztes Vorrang. Zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes muss der Patient Einwilligungsfähigkeit besitzen, d.h., er muss die Art, Bedeutung und Tragweite der Maßnahmen - nach entsprechender ärztlicher Aufklärung - erfassen können. 

Solange ein Patient einwilligungsfähig ist, kann er nach einem ärztlichen Beratungs- oder Aufklärungsgespräch sämtliche Entscheidungen der ihn betreffenden Behandlungen allein treffen. Dies betrifft auch Entscheidungen über lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen. 

Einer Einbeziehung Dritter bedarf es erst, wenn der Patient seinen Willen nicht mehr äußern kann. Er ist dann bezüglich der zur Verfügung stehenden ärztlichen Maßnahmen einwilligungsunfähig. Dabei muss als erstes geprüft werden, ob sich der Wille des Patienten aus einer vormals schriftlich erstellten Patientenverfügung ergibt. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung, in der die Art und Weise einer künftigen Behandlung für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit bestimmt wird. Mit ihr kann der Patient seinen Willen äußern, ob und in welchem Umfang bei bestimmten Krankheitszuständen ärztliche und pflegerische Maßnahmen getroffen oder unterlassen werden sollen. Der Patientenverfügung liegt meist eine separate Vorsorgevollmacht bei, in der der Bevollmächtigte mit Namen und Anschrift benannt ist.

Verliert ein Patient seine Einwilligungsfähigkeit und gerät er in eine Situation, für die er in der Patientenverfügung Entscheidungen über die einzuleitende ärztliche und pflegerische Versorgung  getroffen hat, ist sein ehemals geäußerter Wille grundsätzlich bindend. In den Fällen, in denen keine Patientenverfügung vorliegt, sollte die Bestellung eines Betreuers beim Betreuungsgericht angeregt werden. Gleiches gilt, wenn zwar eine Patientenverfügung, aber keine Vollmacht vorliegt. 

Noch immer unterschreiben Angehörige von Betroffenen Krankenhausverträge, Einwilligungen in schwere Operationen und andere Erklärungen, weil sie irrig annehmen, vertretungsberechtigt zu sein, obwohl sie keine Vollmacht besitzen und auch nicht zum Betreuer bestellt wurden. Auch wenn dieser Fehler meist folgenlos bleibt, birgt er erhebliche Risiken für den Unterzeichnenden, da er für alle  eingegangenen Verpflichtungen persönlich haftet, wenn sich später herausstellt, dass der Betroffene hierfür nicht aufkommen kann. Diese Haftungsgefahr besteht auch, wenn der später bestellte Betreuer oder der spätere Erbe die Erklärungen des vollmachtlosen Angehörigen nicht genehmigt.   

Zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung muss der Patient volljährig gewesen sein. Es bedarf der Schriftform, aber keiner notariellen Beurkundung oder Beglaubigung.  Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit wird nicht gefordert, ebenso wenig die Eintragung in ein Vorsorgeregister.

Die Umsetzung der Patientenverfügung kann nur unter Mitwirkung eines Dritten, d.h., des in Gesundheitsangelegenheiten Bevollmächtigten oder gesetzlichen Betreuers, erfolgen. Diese Person trifft stellvertretend die Entscheidungen über die erforderlichen ärztlichen Maßnahmen entsprechend des in der Patientenverfügung geäußerten Willens.

Die schriftlich abgefasste Patientenverfügung kann jederzeit formlos, d.h. auch mündlich, widerrufen werden. Der Widerruf braucht noch nicht einmal sprachlich artikuliert werden. Es genügt dabei ein eindeutiges Zeichen oder Kopfnicken auf die Frage der Aktualität des in dieser Urkunde bekundeten Willens. Allerdings bedarf es auch für den Widerruf der Einwilligungsfähigkeit.

Ist der Patient zum Zeitpunkt des Widerrufes nicht mehr einwilligungsfähig, muss die Entscheidung der Bevollmächtigte oder Betreuer treffen. Maßgebend ist stets der individuelle Wille und nicht das objektive Wohl des Patienten.

Die Vorlage einer Patientenverfügung im einwilligungsunfähigen Zustand ordnet eine Verbindlichkeit in der Weise an, dass der Bevollmächtigte oder Betreuer dem geltenden Willen des Patienten Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat. Der einzubeziehende Dritte muss stets prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Wird dies bejaht, ist die Patientenverfügung bindend und zwar unabhängig von der Art und des Stadiums der Krankheit. Dies gilt auch dann, wenn der Sterbe- und Leidensprozess noch längst nicht eingetreten ist. Muss die Entscheidung über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen getroffen werden, ist die geforderte Genehmigung des Betreuungsgerichtes nur (!) dann nicht einzuholen, wenn sich der Bevollmächtigte oder Betreuer und der behandelnde Arzt darüber einig sind, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen dem Willen des Patienten entspricht. Grundsätzlich fällt die Prüfungspflicht der Patientenverfügung in den Verantwortungsbereich des Bevollmächtigten oder Betreuers.  Ist der behandelnde Arzt aber der Annahme, dass diese Person die Patientenverfügung missbräuchlich interpretiert und nicht im Sinne des Patienten entscheiden will, dann sollte er (oder eine andere Person) das Betreuungsgericht einschalten. Bei einem Dissens muss sich der Arzt wegen einer unterlassenen Einschaltung des Betreuungsgerichtes verantworten.

Auch bei Zweifeln, ob der Patient bei Errichtung der Patientenverfügung einwilligungsfähig war oder ob sein aktuell geltender Wille wirklich Beachtung findet, sollte das Betreuungsgericht angerufen werden. In einer solchen Situation kann sich der Arzt nur Rechtsklarheit verschaffen, indem er dem Betreuungsgericht die Entscheidung überlässt. Auf diese Weise sichert er sich auch haftungs- und strafrechtlich ab.

Bis zur Bestellung eines Betreuers darf eine medizinisch notwendige Behandlung im wohlverstandenen Interesse des Patienten begonnen und weitergeführt werden.

Wenn ein ärztliches Tätigwerden dringend erforderlich ist, kann das Betreuungsgericht auch durch eine Eilentscheidung einen vorläufigen Betreuer bestellen. In diesem Fall ist die Dringlichkeit der Betreuerbestellung darzulegen und ein ärztliches Attest über den Zustand des Patienten vorzulegen, woraufhin der Patient persönlich durch den Richter angehört wird. Bei Gefahr im Verzug bestellt das Gericht auch ohne Anhörung des Patienten einen vorläufigen Betreuer, mit dem dann die weitere Behandlung abgesprochen wird.

Wenn umgehend eine schwerwiegende Therapieentscheidung zu treffen ist, bevor ein (auch nur vorläufiger) Betreuer bestellt werden konnte, kann der Arzt das Betreuungsgericht anrufen, das innerhalb von einem Tag die Einwilligung des einwilligungsunfähigen Patienten in eine bestimmte ärztliche Maßnahme durch eine Eilentscheidung ersetzen kann.  

Praxen und Kliniken wird empfohlen, entsprechende Musterschreiben an das Betreuungsgericht griffbereit zu haben.

Ein Arzt oder eine andere medizinisch fachkundige Person darf einen Patienten über den möglichen Inhalt einer Patientenverfügung beraten. Die inhaltliche Gestaltung ist nicht vorgeschrieben. Die therapeutischen Maßnahmen, die sich der Patient in einer Patientenverfügung erbittet oder verbittet, müssen nur konkret formuliert sein. Einer Nennung von Diagnosen bedarf es nicht. Beschreibungen und Prognosen wie "irreversibler Eintritt des Sterbeprozesses",  "irreversibler Bewusstseinsverlust" und "apallisches Syndrom" genügen, um eine das Leben verlängernde Intensivbehandlung, Reanimation oder künstliche Ernährung ablehnen zu können. Allgemein gehaltene Formulierungen wie der Wunsch "in Würde zu sterben", wenn das "Leben nicht mehr erträglich ist" oder Anweisungen wie  "keine lebensverlängernden oder intensivmedizinischen Maßnahmen durchzuführen" sind hingegen nicht verbindlich.

Für den Patienten ist es ratsam, die Patientenverfügung alle paar Jahre auf der letzten Seite durch Setzen eines neuen Datums mit Unterschrift zu aktualisieren, um eventuelle Zweifel an ihrer Wirksamkeit auszuschließen.   

Verfasserin: Jana Staudte Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht, www.ra-staudte.de | info@ra-staudte.de