Serie zum Internetrecht für Eltern – Shoppingtour mit dem Account der Eltern

Internet, IT und Telekommunikation
01.05.2012388 Mal gelesen
Wissen Sie, wie oft Ihre Kinder im Internet unterwegs sind? Wissen Sie, was sie dort treiben? Wissen Sie, was die (rechtlichen) Folgen eines von Ihnen als unbedenklich angesehenen Handelns ihres Nachwuchses sein können? Das Netz ist kein “rechtsfreier Raum“, in dem die Gesetze der normalen Welt nicht gelten. Diese Serie soll Eltern daher auf verschiedene problembehaftete Fallkreise aufmerksam machen.

Die (mögliche) Rechtsscheinhaftung in der Rechtsprechung

An einer wirksamen Stellvertretung wird es in den meisten Fällen fehlen. Eine Haftung (bzw. ein Vertragsabschluss) kommt dann nur noch im Rahmen einer sogenannten Anscheinsvollmacht in Frage. Eine solche liegt im Gegensatz zur Duldungsvollmacht bereits dann vor, wenn Sie das Handeln Ihres Kindes nicht kennen, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätten erkennen können und der Shopbetreiber annehmen durfte, Sie duldeten und billigten das Handeln Ihres Kindes (vergleiche BGH, Urteil vom 05.03.1998, Az. III ZR 183/96). Die Annahme einer solchen Anscheinsvollmacht wird von der Mehrzahl der Gerichte bei Internet-Vertragsabschlüssen jedoch abgelehnt.

So entschied etwa das OLG Köln (Urteil vom 13.01.2006, Az. 19 U 120/05), dass ein Shopbetreiber im Zweifel zunächst beweisen müsse, dass bei Vertragsabschluss tatsächlich auch die angegebene Person - und nicht ein Dritter - handelte. Die bloße Registrierung auf dessen Seite genüge aufgrund der vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten nicht, um einen Rechtsscheintatbestand zu schaffen. Der bloße Passwortschutz sei nicht ausreichend, um ein schutzwürdiges Vertrauen des Shopbetreibers annehmen zu können (so auch OLG Köln, Urteil vom 06.09.2002, Az. 19 U 16/02).

Ähnlich äußerte sich das LG Bonn in einem Urteil vom 19.12.2003 (Az. 2 O 472/03). Hier hatte nach Aussage des beklagten Vaters dessen 11-jähriger Sohn ein Auto ersteigert, während beide Elternteile außer Haus waren. Der Kläger verlangte die Zahlung des fälligen Kaufpreises, was das Gericht auf einer Linie mit der vorgenannten Entscheidung des OLG Köln ablehnte. Eine Anscheinsvollmacht könne auch in dem Fall nicht angenommen werden,

"dass ein haushaltsangehöriges, minderjähriges Kind des Inhabers des Mitgliedsnamens unbefugt dessen Passwort sich verschafft und zur Teilnahme an der Auktion unter dessen Mitgliedsnamen verwendet. Die Familienangehörigkeit des Kindes begründet aus Sicht des Rechtsverkehrs regelmäßig keine Vollmachtstellung mit Wirkung für und gegen die Eltern. Im Übrigen macht es für den Anbieter der Internetauktion - hier den Kläger - keinen Unterschied, ob sich ein beiden unbekannter Dritter oder ein nur dem Inhaber des Mitgliedsnamens bekannter Dritter unbefugten Passwortzugang zur Internetauktion verschafft. In keinem Fall darf der Anbieter einer Internetauktion darauf vertrauen, dass der Bieter mit dem Inhaber des Mitgliedsnamens identisch und zur Verwendung von Mitgliedsnamen und Passwort berechtigt ist."

Nach Ansicht des Gerichtes komme für derartige Fälle auch keine Aufsichtspflichtverletzung nach § 832 BGB und ein entsprechender Schadensersatzanspruch in Betracht.

Auch das OLG Hamm entschied in einem Urteil vom 16.11.2006 (Az. 28 U 84/06) in einer Linie mit den vorgenannten Gerichten.

Teilweise wurde eine Haftung des Accountinhabers jedoch dann angenommen, wenn dieser sein Passwort fahrlässig weitergegeben hatte. Ein sehr wichtiges Urteil hat hier - auch wenn es hier im Kern um die Verletzung von Marken- und Urheberrechten ging - der BGH (BGH - "Halzband", Urteil vom 11.03.2009, Az. I ZR 114/06) gefällt. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Accountinhaber die Anmeldedaten zu seinem eBay-Konto nicht ausreichend gesichert, sodass sich eine Dritte Person Zugang verschaffen und verschiedene Artikel ins Netz stellen konnte. Dabei beging dieser jedoch verschiedene Schutzrechtsverletzungen, für die im Endeffekt der Accountinhaber selbst haften musste. Der BGH nahm die grundsätzliche Argumentation der vorgenannten Gerichte auf, begründete seine weitergehende Ansicht aber damit, dass die

"möglichen Einschränkungen der vertraglichen Haftung des Kontoinhabers für die unberechtigte Benutzung seines Kontos durch einen Dritten [.] sich daraus erklären, dass eine Haftung in solchen Fällen nur dann gerechtfertigt ist, wenn die berechtigten Interessen des Geschäftsgegners schutzwürdiger sind als die Interessen desjenigen, der aus der Sicht des Geschäftsgegners der Geschäftsherr ist. Für eine entsprechende Interessenabwägung sei im Streitfall [.], jedoch schon deshalb von vornherein kein Raum, weil sich derjenige, der die Kontaktdaten seines eBay-Mitgliedskontos pflichtwidrig nicht unter Verschluss hält, grundsätzlich nicht auf ein gegenüber dem Schutz der in Rede stehenden Rechtsgüter vorrangiges Interesse berufen kann."

Entscheidend war jedoch, dass es hier - zum einen - nicht um eine vertragliche Haftung bzw. den Vertragsabschluss an sich, sondern um eine deliktische Haftung ging sowie - zum anderen - lediglich die Voraussetzungen eines Unterlassungs- und nicht eines Schadensersatzanspruches besprochen wurden. Ein solcher setze ein Verschulden voraus, so der BGH:

"Nach den - von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte das Passwort zu seinem Mitgliedskonto nicht unter Verschluss gehalten, sondern in dem auch seiner Ehefrau zugänglichen Schreibtisch so verwahrt, dass diese ohne Schwierigkeiten davon Kenntnis nehmen konnte. Damit hat er seine Pflicht, die Zugangsdaten so geheim zu halten, dass Dritte davon keine Kenntnis erlangen können, in einer Weise verletzt, die seine Haftung für die von seiner Ehefrau möglicherweise unter Verwendung dieser Daten begangenen Rechtsverletzungen begründen kann. Die Haftung des Beklagten setzt, soweit es um den Unterlassungsanspruch geht, hier - anders als die Störerhaftung - keinen Verstoß gegen weitere Prüfungspflichten voraus. [.] Das für den Schadensersatzanspruch erforderliche Verschulden wird allerdings im Regelfall nur zu bejahen sein, wenn der Beklagte zumindest damit rechnen musste, dass seine Ehefrau die Kontaktdaten zu dem rechtsverletzenden Handeln verwendete."

Ein neueres Urteil des BGH vom 11.05.2010 (Az. VIII ZR 289/09), das sich tatsächlich um den Missbrauch eines eBay-Kontos drehte, weicht daher nicht von der durch das Halzband-Urteil vorgezeichneten Linie ab, wenn es die vertragliche Haftung eines eBay-Nutzers verneint, wenn "ein Dritter unter unbefugter Verwendung dieses Mitgliedskontos" Erklärungen abgibt:

"Der Umstand, dass sich der Ehemann der Beklagten von deren Zugangsdaten auf nicht näher bekannte Weise Kenntnis verschafft hat, besagt aber noch nicht, dass die Beklagte mit einer unbefugten Nutzung ihres Mitgliedskontos durch ihren Ehemann hätte rechnen müssen.

[.]

Unabhängig davon scheidet eine Anscheinsvollmacht auch deswegen aus, weil der Ehemann der Beklagten deren eBay-Zugang [.] im vorliegenden Fall zum ersten Mal genutzt hat. Es fehlt daher an einem von der Beklagten geschaffenen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Kläger hätte stützen können [.]. Auf das Erfordernis einer gewissen Häufigkeit oder Dauer der unbefugten Verwendung ihres Mitgliedskontos kann nicht schon deswegen verzichtet werden, weil dieses im Internetverkehr aufgrund der bei eBay erfolgten Registrierung allein der Beklagten zugeordnet wird. Denn auch wenn den Zugangsdaten für die Internetplattform eBay eine Identifikationsfunktion zukommt, weil das Mitgliedskonto nicht übertragbar und das ihm zugeordnete Passwort geheim zu halten ist [.], kann hieraus angesichts des im Jahr 2008 gegebenen und auch derzeit vorhandenen Sicherheitsstandards im Internet auch bei einem eBay-Account [.] nicht zuverlässig geschlossen werden, dass unter einem registrierten Mitgliedsnamen ausschließlich dessen tatsächlicher Inhaber auftritt [.]."

Der Senat ging in seinem Urteil auch auf die AGB des Auktionsportals ein. Der BGH stellt jedoch klar, dass sich

"Eine Haftung der Beklagten [.] schließlich auch nicht aus § 2 Ziffer 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay ableiten [lässt]. Diese sehen zwar vor, dass Mitglieder grundsätzlich für "sämtliche Aktivitäten" haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden. Da diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen jedoch jeweils nur zwischen eBay und dem Inhaber eines Mitgliedskontos vereinbart sind, kommt ihnen keine unmittelbare Geltung zwischen Anbieter und Bieter zu. Sie können allenfalls für die Auslegung der vor ihrem Hintergrund erfolgten Erklärungen Bedeutung gewinnen."

Das LG Aachen nahm in einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 (Urteil vom 15.12.2006, Az. 5 S 184/06) bei einer eBay-Auktion hingegen eine Duldungsvollmacht an. In diesem Fall hatte der Beklagte seine Zugangsdaten jedoch wissentlich an einen Dritten weitergegeben.

Die Mehrheit der Gerichte stimmt also in ihren Begründungen zumindest insoweit überein, als sie davon ausgehen, dass durch die weltweite Verfügbarkeit des Internets das Missbrauchspotenzial eines lediglich passwortgesicherten Accounts als zu hoch einzustufen sei, als dass aus einer Benutzung des Accounts automatisch ein schutzwürdiges Vertrauen des Shopbetreibers erwachsen könnte. Sie grenzen diese Sichtweise jedoch von Fällen ab, in welchen (missbräuchliche) Bestellungen über den Telefon- oder BTX-Anschluss abgegeben wurden (so etwa LG Bonn, siehe oben). In einer solchen Konstellation könne durch die nur für den Haushalt verfügbaren Dienste davon ausgegangen werden, dass auch eine Person aus dem betreffenden Haushalt oder eine sonstige zugangsberechtigte Person das Angebot benutzt habe - insofern treffe den Anschlussinhaber eine Überwachungspflicht. Die Gerichte gehen in der Regel jedoch mit keinem Wort auf eine mögliche Speicherung der IP-Adresse des Vertragspartners ein, die die Beweisführung des Seitenbetreibers zumindest erleichtern könnte. Nichtsdestotrotz ist die wohl herrschende Ansicht der Gerichte zu begrüßen, da sie nur in Ausnahmefällen eine Rechtsscheinhaftung zulässt.

Nur ein Scherz? - Spaßbieten

Eine getrennte rechtliche Betrachtung ist für die Fälle notwendig, in denen Ihr Kind nicht Ihren Account verwendet, um für sich Bestellungen abzuschließen, sondern einen eigenen Account verwendet, bei dem es aber bewusst falsche Daten angibt. Abgesehen von den Fällen, die aus Sicht des Shopbetreibers ebenfalls als Identitätstäuschung zu bewerten sind (weil er den angegeben Namen kennt), sind insbesondere die Sachverhalte relevant, in denen es Minderjährigen lediglich um einen (mitunter nicht böse gemeinten) Scherz geht. Hier kann § 118 BGB einschlägig sein, welcher bestimmt, dass Erklärungen, die in der Erwartung abgegeben werden, dass die mangelnde Ernstlichkeit vom Empfänger erkannt werden wird, nichtig sind. Ein Vertrag kann in diesen Fällen also nicht zustande kommen - denkbar ist jedoch eine Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB. Geht der Erklärende davon aus, dass der (böse) Scherz nicht erkannt werden wird, gilt § 116 BGB, wonach derartig motivierte Erklärungen sehr wohl wirksam sind. Für Minderjährige gilt jedoch ohnehin der Schutz der §§ 104 ff. BGB.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass in Einzelfällen die finanziellen Gefahren zwar ganz erheblich sein können - so ging es in einigen der zitierten Fälle um erhebliche (zum Teil fünfstellige) Beträge; das rechtliche Risiko, für eine von Ihrem Kind getätigte Bestellung im Endeffekt selbst aufkommen zu müssen, ist in den beschriebenen Fällen aber nicht allzu groß. Ihr Kind selbst wird regelmäßig nicht Vertragspartner, da es den Verkäufer im Glauben lässt, dass es nicht als es selbst handelt. Eine weitergehende Haftung scheidet grundsätzlich ebenfalls aus. Sie können sodann nur Vertragspartner des Shopbetreibers werden, wenn sie das von ihrem Kind ausgeführte Geschäft genehmigen, ihm im Vorfeld derartige Bestellungen erlaubt oder diese bewusst nicht verhindert haben. Eine Haftung kommt darüber hinaus nur in den Fällen in Betracht, in denen sie (überdurchschnittlich) fahrlässig gehandelt haben, also etwa das Passwort unmittelbar an Ihren Nachwuchs weitergegeben oder es ungesichert oder nicht ausreichend gesichert zugänglich gemacht haben und davon ausgehen mussten, das diese Zugangsdaten auch (möglicherweise gegen Ihren Willen) missbraucht werden.

 

Weitere Teile der Serie finden Sie hier.