Schwerer Schlag für Musikindustrie: Auch LG München verwehrt Musikindustrie Akteneinsicht bei P2P Filesharing Ermittlungen

Abmahnung Filesharing
02.05.2008907 Mal gelesen

 Für die Musikindustrie und die sie vertretende Kanzlei Rasch wird es schwieriger. Nachdem das LG Saarbrücken, Beschluss vom 28.01.2008 - Az 5 (3) Qs 349/07 - 2(6) Js  682/07, bereits die Akteneinsicht zu Lasten der Musikindustrie verwehrt hatte, folgt nun auch das Landgericht München, Beschluss v. 12.03.2008 - Az.: 5 Qs 19/08.

  

Leitsatz:

 

Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Filesharing ist der Musik-/Filmindustrie keine Akteneinsicht zu gewähren, da dem überwiegende schutzwürdige Interessen der beschuldigten Person entgegenstehen. Denn aus dem Umstand, dass eine bestimmte IP-Nummer einer bestimmten Person zugeordnet werden kann, folgt noch nicht, dass diese Person auch zu der angegebenen Tatzeit über den genannten Anschluss die vorgeworfenen Urheberechtsverletzungen begangen hat, so dass diesbezüglich nicht ohne weiteres ein hinreichender Tatverdacht bejaht werden kann.

  

Geradezu mustergültig zeigt das Gericht auf, dass die derzeitige Vorgehensweise der Musikindustrie so nicht mehr haltbar ist. Es ist damit zu rechnen, dass die Abmahnwelle mittelfristig wohl deutlich zurückgehen wird und die Verfahrensrisiken für die Musikindustrie deutlich höher werden. Die "Goldgräberzeit" der Abmahnwelle ist wohl vorbei. Im Einzelnen:

 

I.

 

Das Landgericht München stütz die Argumentation dabei auf mehre Gründe und führt zunächst - die zivilrechtlichen Grundlagen berücksichtigend - lehrbuchartig wie folgt aus:

 

1. Vorliegend sei zu beachten, daß sich das Verfahren gegen "Unbekannt" richtet und als solches eingestellt wurde. Es fehle also an der Feststellung eines Beschuldigten. 

 

2. Wie aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt sei, und wie sich auch aus der Antragsbegründung erschließen lasse, richte sich das Interesse der Antragstellerin nicht auf die Verfolgung von konkreten Urheberrechtsverletzern, sondern auf die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen Inhaber von Netzzugängen, gleich ob diese selbst einen Urheberrechtsverstoß begangen haben oder nicht. Sie sollen nämlich zivilrechtlich als sog. "Störer" gem. § 97 Abs.1 UrhG in Anspruch genommen werden.

Es sei jedoch nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die Geltendmachung bloßer zivilrechtlicher Ansprüche, ohne daß eine Straftat nachweisbar wäre, zu ermöglichen.

 

3. Die "Auslieferung" der Anschlußinhaber, für die im übrigen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs.2 EMRK spricht, an die Antragstellerin liefe daher auf eine auch dem Zivilrechtprozeßrecht fremde "Ausforschung" hinaus. 

 

4. Darüber hinaus dürfte es in einer Vielzahl von Fällen bereits an dem vorbezeichneten zivilrechtlichen Anspruch der Antragstellerin fehlen: Ein Anspruch aus § 97 Abs.1 UrhG gegen den Anschlußinhaber setzt entweder die eigenhändige Benutzung des Anschlusses oder zumindest dessen mangelhafte Überwachung voraus. 

 

Anders als die Antragstellerin meine, ist der Inhaber einer Internetanschlusses trotz im Internet häufig vorkommender Urheberechtsverletzungen ohne das Vorliegen weiterer Anhaltpunkte nicht verpflichtet, Familienangehörige bei der Nutzung seines Anschlusses zu überwachen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.07 - Az.: 11 W 58/07 mwN.). 

 

5. In Betracht komme überdies eine Nutzung des drahtlosen Anschlusses ("WLAN") durch außenstehende Dritte.

 

Eine zivilrechtliche Haftung des Anschlussinhabers sei damit nicht offenkundig sondern im Gegenteil fraglich. 

 

6. Die Gewährung von Akteneinsicht würde damit die Gefahr begründen, daß die Ermittlungsbehörden die Inanspruchnahme zivilrechtlich nicht Verpflichteter durch die Anspruchstellerin begünstigen würde - dies untermauert mit dem Hinweis auf geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.

 

Hier liegt auch der Unterschied zum von der Antragstellerin bemühten Vergleich mit einem Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB, bei dem möglicherweise auch ohne ermittelten Unfallfahrer Akteneinsicht gewährt werden wird.

 

Anders als § 97 Abs.1 UrhG gibt § 7 StVG dem Unfallgeschädigten einen Anspruch, der von eigenem Verschulden oder einer Störereigenschaft des Fahrzeughalters unabhängig ist.

 

Überdies ist das Interesse des Unfallopfers zuvörderst darauf gerichtet, den flüchtigen Unfallfahrer herauszufinden. Die Antragstellerin will hingegen - nach eigenem Vortrag - in erster Linie nicht die konkreten Urheberrechtsverletzer ermitteln, sondern pauschal gegen die Anschlußinhaber mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen vorgehen. 

 

II.

 

In strafrechtlicher Hinsicht kommt es dann zur Interessenabwägung nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO, wonach eine beantragte Akteneinsicht zu versagen sei, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen der beschuldigten Person entgegenstehen, d.h. wenn deren Interesse an der Geheimhaltung ihrer in den Akten enthaltenen persönlichem Daten größer ist als das berechtigte Interesse des Geschädigten, den Akteninhalt kennen zu lernen. 

 

Die Überprüfung welche Werke auf einem Computer gespeichert seien, stelle einen erheblichen Eingriff in die Intimssphäre des Beschuldigten dar. Anders als die Antragstellerin meine, würde dieser Eingriff auch nicht dadurch relativiert, daß die jeweiligen IP-Adressen nur temporär vergeben werden: Entscheidend sei die dem Fernmeldegeheimnis unterliegende Information, daß und welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt von welchem Computer aufgerufen wurden. Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Abwägung, die informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und Persönlichkeitsrechte der Anschlußinhaber höher zu bewerten, begegne keinen Bedenken, zumal - wie ausgeführt - deren eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Urheberrechtsverstoß nicht bewiesen sei. 

  

III.

 

Danach setzt sich das Gericht auch noch mit der Frage des Eigentumsschutz nach ARt. 14 GG auseinander.

 

Zwar unterfalle, wie die Antragsstellerin richtig vortrage, auch das Urheberrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dessen Schutzumfang. Diese würden jedoch vorliegend nicht durch Akte der öffentlichen Gewalt, sondern durch Private beeinträchtigt. Es sei der Antragstellerin zwar zuzugeben, daß (auch) der Eigentumsschutz durch die öffentliche Gewalt grundsätzlich zu gewährleisten ist. Auf welche Art und Weise, in welcher Intensität und in welcher Priorität gegenüber anderen staatlichen Aufgaben dem nachgekommen wird, unterliege jedoch nicht der Kontrolle durch dieses Gericht. Ein Anspruch auf Einsicht in Ermittlungsakten könne jedenfalls daraus nicht hergeleitet werden, zumal, wie ausgeführt, auch Grundrechte Dritter abzuwägen sind.

  

IV.

 

Auch die Frage der Kosten für die Ermittlungsbehörden und die bedenkliche Ausnutzung und daraus resultierende "Verstopfung" staatlicher Resourcen wird erörtert:

 

Die Staatsanwaltschaft habe nach der gesetzgeberischen Intention, wie sie in §§ 406e Abs.5, 2. Hs, 478 Abs.1 S.3, 475 Abs.2 StPO ihren Niederschlag gefunden hat, bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht auch den schonenden Einsatz justizieller Mittel im Auge zu behalten.

 

Eine positive Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin sei erst nach Anhörung sämtlicher davon Betroffener möglich, was mit ganz erheblichem Aufwand verbunden wäre. Darüber hinaus wäre den so Betroffenen ihrerseits ebenfalls Akteneinsicht zu gewähren.

 

Um nicht jedem betroffenen Anschlußinhaber die Personendaten sämtlicher anderer Inhaber zu offenbaren, müßten die Ermittlungsergebnisse mit hohem Aufwand jeweils anonymisiert werden. 

 

V.

 

Auch sei kein Verstoß gegen Art. 19 Abs.4 GG gegeben.

 

Die dort niedergelegte Rechtswegegarantie betreffe schon nach dem Wortlaut nur die Rechtsmittel gegen Akte der "öffentlichen Gewalt".

 

Daran fehle es vorliegend: Die Antragstellerin begehre vielmehr Unterstützung bei der Durchsetzung vermeintlicher zivilrechtlicher Ansprüche. Die diesbezügliche (abschlägige) Entscheidung der Staatsanwaltschaft werde mit vorliegender Entscheidung gerichtlich überprüft.

 

Damit sei der Garantie des Art. 19 Abs.4 GG Genüge getan.