Scheinselbstständigkeit im Goethe-Institut – Zur Sozialversicherungspflicht von Dozenten, Lehrern, Trainern und Erziehern

Soziales und Sozialversicherung
31.01.20171806 Mal gelesen
Mehrere Medien berichten Ende Januar 2017, dass das Goethe-Institut Deutschkurse von scheinselbstständigen Dozenten durchführen lasse. Zu dieser Einschätzung sei jedenfalls die Deutsche Rentenversicherung gekommen.

Das Goethe-Institut setzt offenbar in großem Umfang Deutschlehrer als Honorarkräfte ein. Den Berichten zufolge geht die Deutsche Rentenversicherung davon aus, dass diese Lehrer nicht selbstständig, sondern abhängig beschäftigt sind und somit der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen. Über Einzelheiten des Prüfverfahrens und die Hintergründe, die den Rentenversicherungsträger zu seiner rechtlichen Bewertung veranlassen, lässt sich den Berichten leider nichts entnehmen.

Grund genug, die Kriterien für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Dozenten genauer darzustellen, denn das Thema hat weit über den Einzelfall des Goethe-Instituts hinaus Bedeutung. Zahlreiche große Bildungsträger arbeiten mit freiberuflichen Dozenten und Trainern.

siehe hierzu: Scheinselbstständigkeit oder Sozialversicherungspflicht bei freiberuflichen Dozenten und Coaches im Dienst großer Bildungsträger

Sozialversicherungsrechtlich ist Folgendes zu beachten:

1. Der betroffene Personenkreis ist weit zu fassen: Es geht nicht nur um Dozenten im engen Sinne, sondern allgemein um Lehrer, Trainer, Übungsleiter, Coaches und Erzieher.

2. Betroffen sind sog. "Solo-Selbstständige," also Personen, die als Einzelunternehmer auftreten und selbst keine versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigen (Mini-Jobs zählen hierbei nicht).

3. Selbständig tätige Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, sind in der gesetzlichen Rentenversicherung kraft Gesetzes versicherungspflichtig (§ 2 Nr. 1 SGB VI).

Das bedeutet, dass diese Personen auch dann der Versicherungspflicht unterliegen, wenn sie nicht scheinselbstständig sind, sondern als "echte" Selbstständige anerkannt sind. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung müssen sie ausschließlich aus ihren eigenen Einkünften zahlen. Es gibt keinen Arbeitgeberanteil. Der Auftraggeber bleibt außen vor.

Dieser Beitragsanteil muss in der Honorarkalkulation berücksichtigt werden.

In der Praxis ist zu beobachten, dass diese Pflichtversicherung vielen Dozenten (Trainern, Coaches etc.) überhaupt nicht bekannt ist. Sie haben sich über Lebensversicherungen o.ä. privat abgesichert und leben in dem Glauben, dass dies ausreicht bzw. die gesetzliche Versicherungspflicht verdrängt. Diese Annahme ist falsch! Dieser Personenkreis muss u.U. mit hohen Nachforderungen rechnen.

4. OB ein Auftragnehmer selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern muss nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalles beurteilt werden, das in seinen Entscheidungen immer von folgendem Grundsatz ausgeht: "Maßgebend sind die Verhältnisse nach Annahme - also bei Durchführung - des einzelnen Auftrags"

vgl. BSG - Urteil vom 25.04.2012 - B 12 KR 24/10 R

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung setzt danach voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Eine selbstständige Tätigkeit ist dagegen vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

5. Für die Gruppe der Lehre und Erzieher (Dozenten, Trainer etc.) geht das Bundessozialgericht von folgender Überlegung aus:

Die Gesetzgebung zur Sozialversicherung selbst anerkennt, dass der Beruf eines Lehrers sowohl in Form abhängiger Beschäftigung als auch in Form selbständiger Tätigkeit ausgeübt werden kann. Denn § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ordnet für selbständig tätige Lehrer, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung an (s.o. Ziff. 3).

BSG - 12.02.2004 - B 12 KR 26/02 R

Lehrkräfte, die im Rahmen schulischer Lehrgänge an allgemeinbildenden Schulen tätig werden, sind in der Regel abhängig beschäftigt.

Bei Lehrkräften, die für Volkshochschulen oder andere Bildungsträger einzelne, zeitlich und thematisch abgegrenzte Kurse erteilen, ist die rechtliche Einordnung nach den Besonderheiten des Einzelfalles vorzunehmen.

Für eine Selbstständigkeit sprechen demnach u.a. folgende Merkmale (nicht abschließend):

  • Honorarverträge werden einzeln, semesterweise abgeschlossen,
  • Verträge werden für mehrere Fächer unabhängig voneinander abgeschlossen,
  • das Honorar wird pro nachgewiesener Unterrichtsstunde gezahlt,
  • keine Entschädigung für Unterrichtsausfall,
  • Für die Teilnahme an Konferenzen wird ggf. ein Zusatzhonorar gezahlt,
  • es besteht keine Verpflichtung, andere Kollegen zu vertreten,
  • es werden keine anderen Kenntnisse vermittelt, außer die das eigene Fach betreffenden,
  • ein Kurs findet nur bei hinreichender Teilnehmerzahl statt,
  • Vertretung wird im Dozententeam unter einander geregelt,
  • keine Pflicht zur Teilnahme an Fortbildungen,

Gegen eine Selbstständigkeit würde es sprechen, wenn der Dozent in den Schulbetrieb derart eingegliedert ist, dass er verpflichtet ist, mehrere Fächer zu unterrichten und im Rahmen eines vorgegebenen Stundenplans angewiesen werden kann. Für eine Abhängigkeit spricht es auch, wenn ein Dozent zur Vertretung ausfallender Kollegen verpflichtet werden kann.

Der Prüfdienst der Rentenversicherung muss also, wenn er die Prüfung ordnungsgemäß durchführt, jedes einzelne Vertragsverhältnis untersuchen. Pauschalfeststellungen sind nicht zulässig.

6. Ein Auftraggeber, wie z.B. das Goethe-Institut, der freiberufliche Dozenten für die Durchführung von Kursen einsetzen will, muss konsequent darauf achten, dass die o.g. Kriterien eingehalten werden.

7. Die Medienberichte machen außerdem deutlich, dass die Rentenversicherungsträger vor großen Namen nicht zurückschrecken und auch auf die wirtschaftlichen und organisatorischen Folgen, die ihre Entscheidungen für die Institute haben können, keine Rücksicht nehmen. So geriet in Niedersachsen z.B. die frühere CDU-Landesregierung unter Druck, weil in Ganztagsschulen außerschulisches Personal für ganztagsspezifische Aufgaben eingesetzt wurde. Mit diesen Mitarbeitern wurden Honorarverträge abgeschlossen, d.h. die freien Mitarbeiter arbeiteten auf selbstständiger Basis an den Schulen und trugen ihr Versicherungsrisiko selbst. Diese Handhabung wurde von der Deutschen Rentenversicherung beanstandet. Im Rahmen einer großangelegten Betriebsprüfung sollten sämtliche Verträge überprüft werden. Nach dem Regierungswechsel 2013 einigte sich die neue Landesregierung mit der Deutschen Rentenversicherung und erkannte deren Rechtsauffassung an. Nach Medienberichten sollten Beiträge in Höhe von 12,5 Millionen EUR nachgezahlt werden.

siehe hierzu: Scheinselbstständigkeit der Honorarkräfte an Niedersächsischen Schulen

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